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No one in the world ever gets what they want and that is beautiful: Three Thousand Years of Longing ist vielleicht mein liebster George-Miller-Film

Ich würde nicht behaupten, dass Three Thousand Years of Longing George Millers bester Film wäre — manchmal ist die offensichtliche Antwort die richtige, Fury Road ist the one to beat. Aber Three Thousand Years of Longing ist der Film Millers, an den zu denken in mir die wärmsten Gefühle auslöst, über den ich mich regelmäßig freue, dass er überhaupt existiert. Es ist einer dieser Filme, die sich anfühlen, als würde man dem Filmemacher zuschauen, wie er vor laufender Kamera das Studio ausraubt: Es muss Miller klar gewesen sein, dass ein solcher Film nicht zu vermarkten ist, dass er hier im Grunde Geld verbrennt, aber irgendwie hat er dennoch ein Studio überzeugt, dieses seltsame, unkommerzielle, schwer zu kategorisierende passion project zu finanzieren.

Three Thousand Years of Longing, für diejenigen, die ihn bislang verpasst haben (aka die meisten), erzählt von Alithea (Tilda Swinton), einer britischen »Narratologin«, die, während einer Konferenz in Istanbul eine alte Glasflasche kauft, in der, stellt sich heraus, ein Djinn steckt. Der Djinn (Idris Elba) gewährt ihr drei Wünsche, doch Alithea, vertraut mit unzähligen Sagen und Geschichten über erfüllte Wünsche, zögert, ihre Wünsche einzulösen, aus Angst vor unbeabsichtigten Konsequenzen. Der Djinn, für den die Erfüllung der Wünsche die Freiheit bedeuten würde, versucht Alithea zu überzeugen, indem er ihr seine Jahrtausende umfassende Geschichte erzählt.

Wenn man so will ist Three Thousand Years of Longing George Millers Version eines Richard-Linklater-Films: Für den Großteil des Films führen Alithea und ihr Djinn die Sorte ausschweifende, philosophische Diskussion, die Filme Linklaters wie die Before-Trilogie oder Waking Life antreibt. Sie reden über Geschichtenerzählen, Sehnsucht, Liebe — die ganz großen Themen, und sie tun das mit derselben entwaffnenden Naivität, die Linklaters Figuren oft haben, als hätte noch nie jemand über diese Themen geredet.

Aber Miller wäre nicht Miller, würde er nicht einen Weg finden, auch diesen eher statischen Plot mit seinem patentierten Maximalismus zu inszenieren. Die Geschichten des Djinn sind opulent bebildert, in leuchtenden Farben — ein erfrischender Kontrast zum Trend zu entsättigtem Color-Grading, der das aktuelle Mainstream-Kino prägt. Wie in der Mad-Max-Reihe arbeitet Miller mit Andeutungen, füllt seine Bilder mit surrealen visuellen Ideen, die er bewusst unerklärt lässt. Wie die Mad-Max-Reihe haben diese Sequenzen, vom Voice-Over des Djinn abgesehen, minimalen Dialog.

Der Effekt ist allerdings nicht ganz derselbe wie bei Mad Max: In Mad Max schafft Millers Art des Worldbuilding das Gefühl einer bewohnten, lebendigen Welt, einer, in der jedes Element, jede Figur seine Geschichte hat und die größer ist, als das, was wir sehen; hier fügt sich — vielleicht, weil die Ideen entrückter, surrealer sind, vielleicht wegen dem digitaleren, cleaneren Look, der auch eine gewisse uncanniness hat — nicht alles so sauber zusammen, und ich glaube, das ist so beabsichtigt. Alles macht hier ein Bisschen weniger »Sinn« — der Plot arbeitet mit Auslassungen oder hastet durch Erklärungen, als wollte Miller uns sagen »just go with it«, die Settings und Locations sind eher skizziert als wirklich ausgearbeitet —, und all das gibt den Geschichten des Djinn eine traumähnliche Logik. Miller wechselt gelegentlich auch recht abrupt die Tonalität, von leichtfüßiger, quirky Romanze bis zu Horror, was einer der Gründe ist, warum Three Thousand Years of Longing im Grunde unmöglich zu vermarkten war, aber den Film auch konstant überraschend und abwechslungsreich macht.

Auf einer Ebene ist Three Thousand Years of Longing ein typisches Alterswerk: Ein Großmeister des Mediums erzählt eine Geschichte über die Bedeutung von Geschichten. Solchen Werken stehe ich grundsätzlich skeptisch gegenüber, aber ähnlich wie Spielberg in The Fabelmans sieht Miller das Thema mit einer gesunden Ambivalenz, und geht weit über eine »Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen« oder was auch immer hinaus. Alithea, wie Sammy Fabelman, ist so in ihrer Welt des Geschichtenerzählens verloren, dass sie Gefahr läuft, darüber zu vergessen, noch ein eigenes Leben zu führen. Und zum Leben gehört, scheint der Film nahezulegen, Wünsche, Sehnsüchte zu haben, gerade auch unerfüllte.

Um eine letzte Referenz zu bringen, Three Thousand Years of Longing erinnert mich auch an das Spätwerk der Wachowskis, besonders Cloud Atlas. Three Thousand Years of Longing ist ähnlich (über-)ambitioniert, ähnlich bereit, große Risiken einzugehen, und entsprechend auch ähnlich polarisierend. Er trifft durchaus einige Entscheidungen, die ich fragwürdig finde. Aber er ist auch ähnlich persönlich und offenherzig wie der Wachowski-Film, und wenn ein so großer Filmemacher wie Miller spät in seiner Karriere nochmal einen solchen big swing macht, so viel von sich selbst in sein Werk steckt und sich dabei so angreifbar macht, kann ich nicht anders, als das charmant und berührend zu finden, und froh zu sein, dass Miller sich irgendwie die Chance erschlichen hat, diesen seltsamen Film machen zu dürfen.

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Die Wookiepedia-isierung des Mad-Max-Universums: Furiosa: A Mad Max Saga

Vielleicht ist Furiosa George Millers one for them. Die Sorte Film, die man macht, wenn man vermeiden will, aus Hollywood exkommuniziert zu werden, nachdem man zuerst Mad Max: Fury Road und dann den unvermarktbaren Three Thousand Years of Longing gemacht hat. Das würde erklären, warum Furiosa ein Film der Kompromisse ist: zwischen dem visuellen, kinetischen, nahezu wortlosen Erzählen des Vorgängers und dem konventionelleren alles-muss-ausbuchstabiert-werden Erzähltemplate des aktuellen Blockbuster-Kinos; zwischen den praktischen Effekten und on-location Stunts, für die die Reihe bekannt ist, und der mittels Greenscreen und CGI realisierten Action moderner Studio-Franchises.

George Miller erzählt die Geschichte des Films natürlich anders: Die Idee eines Prequels entstand während der Arbeit an Fury Road, das Drehbuch schrieben Miller und Co-Autor Nick Lauthoris basierend auf der Backstory, die sie sich damals für die Figur von Imperator Furiosa überlegt hatten, und eine erste Fassung war schon vor Drehbeginn von Fury Road fertig. Ursprünglich sollten beide Filme back-to-back realisiert werden. Miller begann ja auch schon früh, öffentlich über ein mögliches Spin-off über Furiosa zu reden.

Das macht insofern Sinn, als dass Furiosa die Art Hintergrundgeschichte erzählt, die sicher irgendwie nützlich ist für Autor*innen und Schauspieler*innen, um ihre Charaktere besser zu verstehen, aber mit der man jetzt nicht unbedingt das Publikum belasten muss. Die Art Geschichte, die George Miller in der Vergangenheit auf ein, zwei Bilder runtergebrochen hätte. Erinnert ihr euch an diese flashbackartig aufblitzenden Visionen, die Max in Fury Road hatte, von einem jungen Mädchen, das überfahren wird, das nach Max’ Hilfe ruft? Erinnert ihr euch, wie wir damals spekuliert haben, wer diese Figur sein soll, an deren Tod Max sich da erinnert (Max’ Kind? Aber damals, im ersten Mad Max, hatte Max keine Tochter, sondern einen Sohn, der auch noch viel jünger war als dieses Kind und anders gestorben ist)? Erinnert ihr euch, wie wir uns damals alle irgendwie geeinigt haben, dass es am Ende egal ist, wer genau diese Figur ist, dass das wichtige die Emotion ist, die in diesen sekundenkurzen Bildern transportiert wird, dass die Offenheit vielleicht sogar zum mythenhaften Charakter der Figur Max Rockatansky und des Mad-Max-Universums beiträgt? Gerade angesichts der Wookiepedia-isierung filmischen Erzählens, der Tendenz aktuellen Blockbuster-Kinos, jeder egalen Nebenfigur eine Backstory geben, jedes Motiv erklären zu müssen, ist Fury Roads Verweigerung solcher Erklärungen erfrischend.

Aber wusstet ihr auch, dass es eine Erklärung gibt? Vertigo veröffentlichte eine vierteilige Comic-Reihe zu Fury Road, geschrieben von Miller, Lathouris und Mark Sexton, die die Vorgeschichte zu einigen Figuren des Films erzählt. Unter anderem füllt sie die Lücke zwischen Mad Max: Beyond Thunderdome und Fury Road, und erklärt dabei, woran Max sich in seinen Fury-Road-Flashbacks erinnert. Ich werde das hier nicht wiedergeben, denn die Antwort ist, erwartungsgemäß, uninteressant. Sie fügt den Flashbacks emotional nichts hinzu, sie ist weder sonderlich überraschend noch befriedigend, und sie beendet jegliche Spekulation in interessantere Richtungen. Es war eine brillante Entscheidung Millers, die Erklärung aus Fury Road zu lassen und Max’ jüngere Backstory auf einzelne Bilder zu reduzieren.

Man ahnt, worauf ich hinauswill: In Furiosa lässt Miller die Erklärung nicht weg. Hier hat jedes Bild eine auserzählte Geschichte, und das nimmt Millers Welt einiges ihrer Magie, und dem Film an Tempo.

Es ist eine Sache, dass Furiosa einiges ausbuchstabiert, das in Fury Road nur angedeutet war. Das ist halt irgendwie das Wesen eines Prequels — ich bin kein Fan davon, aber wusste, worauf ich mich einlasse. Furiosa geht ins Detail über die Welt von Fury Road, erklärt ausführlich die Verhältnisse zwischen den drei »Fortresses of the Wasteland«: die von Immortan Joe geführte Citadelle, Benzinlieferant Gastown, und die Bullet Farm. »Mehr Information« bedeutet aber nicht zwangsweise »interessanter«, und die Welt von Furiosa wirkt eher kleiner als die von Fury Road, obwohl, oder weil, wir mehr über sie wissen, sie detaillierter ausgearbeitet ist. Es war immer eine Stärke der Mad-Max-Filme, dass sie sich auf einen winzigen Teil der postapokalyptischen Welt konzentrierten, und auch diesen nur insoweit ausarbeiteten, als dass er für Max von Bedeutung war. Darüber arbeiteten sie in Andeutungen und Mutmaßungen, und das ließ uns glauben, dass da noch viel mehr war, die Welt viel größer als das, was wir von ihr zu sehen bekamen. Furiosas detaillierteres, expliziteres Worldbuilding gibt uns dagegen das Gefühl, die Welt des Films weitestgehend gesehen und verstanden zu haben — viel mehr als diese drei »Festungen« ist da nicht, hat man den Eindruck. Wie die allermeisten Prequels spricht Furiosa also aus, was nicht hätte ausgesprochen werden müssen, fügt seinem Vorgänger also nichts hinzu, sondern nimmt ihm etwas, Spielraum für Fantasie und Interpretation.

Eine andere Sache, und nochmal deutlich frustrierender, ist dass Miller auch innerhalb von Furiosa selbst ausbuchstabiert, was er früher angedeutet hätte, dass Furiosa, wenn man so will, auch gleich sein eigenes Prequel ist. Der Film beginnt in Furiosas Kindheit, und gut die erste Stunde des Films erzählt, wie Furiosa (Alyla Browne, später Anya Taylor-Joy) als Kind aus dem in Fury Road erwähnten, quasi-paradiesischen »Green Place« entführt wird, zuerst in die Fänge des sadistischen, etwas debilen Dementus (Chris Hemworth, der Bradley Coopers falsche Nase aus Maestro aufträgt) gerät, und später in Immortan Joes (Lachy Hulme übernimmt die Rolle vom 2020 verstorbenen Hugh Keays-Byrne) Citadel ankommt. Dieser Teil des Films, knapp die erste Hälfte, ist, Entschuldigung, sterbenslangweilig. Mir ist grundsätzlich egal, dass wir schon »wissen, wie es ausgeht«, das Problem ist ein anderes: Furiosa (die Figur) erhält über all diese Erzählzeit keine neuen Dimensionen, wir kennen sie am Ende nicht besser als vorher. Wir wussten, dass Furiosa eine toughe Überlebenskünstlerin ist, und diese lange Episode sagt uns: Das war sie schon immer. Wir wussten, dass Furiosa von Verlust, von der sprichwörtlichen »Vertreibung aus dem Paradies« gezeichnet ist, und dieser Prolog bestätigt das und breitet es episch aus, aber fügt emotional keine Facette hinzu. In der einen, kurzen Szene in der Mitte von Fury Road, in der Furiosa auf die Überlebenden der »Vuvalini« trifft und lernt, was aus dem »Green Place« geworden ist, hat Miller mehr über diese Figur und die Welt, aus der sie kommt, erzählt, uns ein facettenreicheres Bild davon gegeben, was sie antreibt, als in dieser ganzen ersten Stunde von Furiosa.

Das einzige an diesem Teil des Films, das sich nicht wie eine unnötige Ausbreitung von Material anfühlt, das Fury Road eleganter, ökonomischer und effektiver verarbeitet hat, ist die Einführung von Dementus, dem Villain des Films. Leider wirkt Dementus in dieser ersten Hälfte wie der uninteressanteste Villain der Reihe. Hemsworth spielt wie jemand, der zu viel mit Taika Waititi rumgehangen hat nunmal so spielt — alberne Grimassen, stupide Witzeleien —, sodass Dementus eher nervt als dass er Furcht einflößen oder faszinieren würde. Die Gruppe von Banditen, die er anführt, ist seltsam generisch verglichen mit denen, die wir aus den Vorgängern kennen: Von Immortan Joes Kult über Aunty Entitys Brot-und-Spiele-Gesellschaft bis zu Lord Humungus’ Fetischkriegern hatten die Gruppierungen, gegen die Max und seine Verbündeten antraten, stets eine eigene Identität, etwas, das sie vereinte, oder wenigstens die Andeutung davon. Dementus’ Gefolgschaft ist, von ein, zwei netten, aber alleinstehenden konzeptionellen oder visuellen Ideen (wie Dementus’ von drei Motorrädern gezogener Streitwagen) abgesehen, einfach »eine weitere Gang des Wastelands«. Was halt die Frage nur unterstreicht, warum wir soviel Zeit mit ihnen verbringen müssen.

Nachdem Furiosa dann bei Immortan Joe angelangt ist — Dementus nimmt Gastown ein und tauscht sie dann mit Joe gegen Ressourcen —, nachdem sie aus dem Bunker, in dem Joe seine Frauen gefangen hält, entkommen ist und sich, als Mann verkleidet, als Mechanikerin etabliert hat, schaltet der Film endlich in eine andere Gangart. Furiosa fährt auf dem War Rig von Praetorian Jack (Tom Burke) mit, quasi in der Rolle, die R2D2 in Luke Skywalkers X-Wing hatte. Von dem Moment an, in dem das War Rig endlich auf der Straße ist, ist Furiosa ein anderer, aufregenderer Film. Die erste große Actionsequenz, eine klassische Miller’sche Straßenschlacht, könnte ein Outtake aus Fury Road sein, und von da anzieht das Tempo an. Furiosa gewinnt Jacks Respekt und er hilft ihr, in die Position zu gelangen, die sie in Fury Road hatte, die es ihr ermöglichen soll, eines Tages zu ihrem Green Place zurückzukehren. Währenddessen arbeitet Dementus daran, die Kontrolle über die beiden übrigen Festungen des Wastelands zu erlangen. Das ganze gipfelt im Krieg zwischen ihm und Immortan Joe, und natürlich läuft es am Ende auf eine Konfrontation zwischen Furiosa und Dementus heraus.

Das ironische ist, dass diese zweite Hälfte des Films nicht nur actionreicher ist, sondern auch erzählerisch interessanter. Miller ist hier wieder in seinem Element, und kehrt zumindest ein Stück weit zurück zu der ökonomischen, beiläufigen Charakterentwicklung und Worldbuilding von Fury Road. Die Beziehung zwischen Furiosa und Jack etwa: ein Echo von der zwischen Max und Furiosa in Fury Road, aber auch eine Mentor-Beziehung, vielleicht, wenn man es so lesen will, auch eine romantische. Sie scheint gerade deshalb so facettenreich, weil Miller hier nicht erklärt, nicht benennt, weil er uns Raum für eigene Lesarten lässt. Selbst Dementus gewinnt in dieser zweiten Hälfte sowas ähnliches wie Tiefe, offenbart sowas wie eine Ideologie. Leider fühlt es sich nicht an wie der Payoff zur ersten Hälfte, im Gegenteil, es unterstreicht eher, was für eine Zeitverschwendung weite Teile dieser waren, wenn Miller hier in ein paar beiläufigen Dialogzeilen und Reaktionen soviel mehr erzählen kann.

Dennoch versöhnt die zweite Hälfte ein Stück weit mit dem Film. Niemand inszeniert Action dieser Größenordnung so virtuos wie Miller, und auch, wenn die CGI-Nachbesserungen hier eine ganze Ecke sichtbarer und gelegentlich störender sind als in Fury Road, basiert die Action nach wie vor auf spektakulärer Stuntarbeit, praktischen Effekten und on-location Setpieces, wie sie nur ein Meister wie er koordinieren kann. Miller findet einige prägnante Bilder, die mir wohl noch lange im Kopf bleiben werden, wie etwa, wenn er das endgültige Schicksal von Dementus zeigt. Und auch, wenn erzählerisch wenig neues erschlossen wird, ist die Zuneigung zu den Figuren für jeden, der Fury Road gesehen hat, groß genug, investiert zu sein.

Aber es bleibt, selbst in seinen besten Momenten, Fury Road light. Die Mad-Max-Reihe hatte ihre Höhen und Tiefen — keiner der Vorgänger ist meiner Meinung nach ansatzweise auf dem Level von Fury Road —, aber bisher hatte jeder der Filme seine eigene Identität. Vielleicht liegt das gerade daran, dass diese Reihe nie wirklich geplant war, dass jeder neue Film immer irgendwie passiert ist: Miller hatte eigentlich kein Sequel zum originalen Mad Max geplant, aber Unzufriedenheit mit dem Ergebnis und die Chance, es mit deutlich höherem Budget noch einmal zu versuchen, führten zu Mad Max 2/The Road Warrior. Beyond Thunderdome entstand aus einer von Mad Max unabhängigen Idee Millers über einen Stamm aus Kindern in einer postapokalyptischen Welt. Und bevor Miller dann mit der Arbeit am Drehbuch zu Fury Road anfing, vergingen fast 20 Jahre, in denen er sich anderen Projekten außerhalb des Mad-Max-Universums widmete.

Furiosa ist das erste »geplante« Mad-Max-Sequel, und so fühlt er sich auch an: kalkuliert, durchgeplant, spürbar Ergebnis desselben kreativen Prozesses wie der Vorgänger — im Gegensatz zu den bisherigen Filmen, die alle ihre eigene Inspiration hatten, alle aus einem separaten kreativen Impuls heraus entstanden sind. Es ist kein schlechter Film, aber es ist eben einer, dem es an eigener Identität fehlt. Obwohl in mehrerem Sinne des Wortes episch angelegt, wirkt Furiosa wie der »kleinste« Film der Mad-Max-Reihe. Er füllt Lücken, aber er regt kaum die Fantasie an, und er entlässt uns nicht mit einem Bedürfnis nach »mehr«.

May 24, 2024 film review kritik rezension george miller mad max furiosa fury road deutsch text

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Musikvertrieb jenseits der Plattformen: Cindy Lees Diamond Jubilee ist die Außenseiter-Erfolgsgeschichte des Jahres

2002 stellten Wilco ihr damals neues Album Yankee Hotel Foxtrot als Stream auf ihrer Website zur Verfügung. 2007 boten Radiohead ihr In Rainbows als »zahl was du willst«-Download an. Aufgenommen wurden diese Entscheidungen als so rebellische wie großzügige Gesten: Hier stellten Künstler die breite, unkomplizierte Verfügbarkeit ihrer Musik, das Erreichen möglichst vieler Menschen, über den kommerziellen Erfolg. Hier zeigten Bands Alternativen auf zu den konventionellen Vertriebswegen, deren Obsoleszenz sich schon damals ankündigte.

Jetzt, 2024, stellt Cindy Lee sein*ihr neues Album Diamond Jubilee als Stream auf YouTube und als »zahl was du willst«-Download auf einer eigenen Geocities-Website zur Verfügung — und es fühlt sich, für manche, wie eine andere Art von Rebellion an: Hier ist ein*e Künstler*in1, so sehen es offenbar einige, der*die sperrig sein will, der*die es potenziellen Hörer*innen bewusst schwer machen will, seine*ihre Musik zu hören. Zumindest kann man das aus Tweets und Reddit-Posts herauslesen, in denen User*innen etwa darüber witzeln, das Album im Dark Web aufgespürt zu haben, oder bekunden, dass es sie Stunden gekostet habe, zu verstehen, wie sie das Album auf ihren Laptop herunterladen können, oder sie kündigen gleich an, das Album gar nicht zu hören, weil es nicht auf den gängigen Streaming-Plattformen verfügbar ist.

Schon bemerkenswert, oder? Dass etwas, was einmal als radikal direkter, unkomplizierter Weg galt, Musik an die Leute zu bringen, heute für manche offenbar eine schwierig bis gar nicht zu nehmende Hürde darstellt. Ist das technologischer Fortschritt, oder vielleicht eher ein trauriger Verlust an Mündigkeit und Fantasie seitens der Konsument*innen? Haben wir uns so daran gewöhnt, dass Plattformen uns nahezu vollautomatisch mit allem Content versorgen, den wir uns wünschen, dass wir nichtmal mehr die Selbstständigkeit aufbringen können, eine Website zu besuchen und auf einen »Download«-Button zu klicken? Können wir uns eine Welt, in der Kunst uns auf andere Weise erreicht als dass irgendein Algorithmus sie uns ausspielt, gar nicht mehr vorstellen?

Aber bevor wir zu pessimistisch werden, lasst uns nicht die eigentliche Geschichte hier aus den Augen verlieren: die, dass Diamond Jubilee trotzdem irgendwie im Zeitgeist angekommen ist. Über Reddit- und Social-Media-Posts, Artikel in Blogs und nicht zuletzt ein Review bei Pitchfork, das Diamond Jubilee die höchste Wertung der Website seit Jahren gibt, hat sich rumgesprochen, wie gut das Album ist, dass es den (minimalen) Zusatzaufwand wert ist. Hörer*innen mögen sich beschweren und Witze reißen über den angeblich so schwierigen Zugang zum Album, aber die meisten scheinen sich davon dann doch nicht vom Hören des Albums abbringen zu lassen. Ausnahmen, wie erwähnt, gibt es — aber vielleicht ist das ein kleiner Preis für den Beweis, dass es Künstler*innen auch in Zeiten der Dominanz von Spotify und Co. noch möglich ist, andere Wege zu gehen, ohne deshalb vollständig auf die verdiente Aufmerksamkeit Anerkennung verzichten zu müssen. Reaktionen wie die beschriebenen lassen mich zwar mit dem Kopf schütteln darüber, dass wir überhaupt hier hingekommen sind: Ein*e Musiker*in bietet ihr Album an in dem Format »Dateien, die auf deinen eigenen Computer heruntergeladen werden, mit denen du machen kannst, was du willst, die du in einem Programm deiner Wahl abspielen und auf beliebig viele Geräte übertragen kannst«, und der*die durchschnittliche Musikkonsument*in sieht das offenbar als ein archaisches Konzept, bestenfalls als eine liebenswerte Schrulligkeit seitens des*der Künstler*in, schlimmstenfalls gar als eine Art Publicity Stunt2, anstatt als Musikvertrieb, wie er im digitalen Zeitalter sein sollte. Aber dass viele dann doch ihre erste, reflexhafte Abwehrhaltung überwinden, stimmt mich optimistisch, dass es vielleicht doch noch eine kleine Chance auf eine andere Zukunft gibt, in der digital vertriebene Kunst nicht auf Plattformen stattfinden muss, um stattzufinden.

Alles, was es offenbar braucht, ist ein Album, das so gut ist, wie Diamond Jubilee. Diamond Jubilee klingt wie das Greatest-Hits-Album eine*r Künstler*in oder Band, die es nicht gibt, eine, die lang genug existiert, dass man unterschiedliche Ären ihres Schaffens festmachen kann, anhand derer sich ein paar Dekaden Musikgeschichte erzählen lassen. Nur ist es eben nicht unsere Musikgeschichte, sondern die eines geisterhaften Paralleluniversums. »Hypnagogic pop« kann man sowas nennen, wenn man denn unbedingt muss. Ein Album, an das ich beim Hören von Diamond Jubilee denken muss, ist The Magnetic Fields’ Meisterwerk 69 Love Songs: nicht, weil Diamond Jubilee auch nur entfernt ähnlich klingen würde, sondern weil Diamond Jubilee, wie 69 Love Songs, auch Musik über Musik ist, weil sich auch hier ein*e Künstler*in musikalische Tradition zu eigen macht und neu erzählt.

OK, es braucht also eine ganze Menge: So schnell werden wir einen Moment wie diesen nicht wieder haben, wenn ein Album wie Diamond Jubilee trotz Verzicht auf die etablierten Vertriebs- und Promotionsstragien die Aufmerksamkeit eines guten Teils der musikbegeisterten Öffentlichkeit für sich gewinnen kann. Es hilft, dass sich anscheinend alle, die Diamond Jubilee hören, über die Brillanz des Albums einig sind, und natürlich, dass Flegel als Mitglied der Band Women und durch sein früheres Werk als Cindy Lee eine vielleicht nicht riesige, aber leidenschaftliche Fangemeinde hat. Vielleicht auch, dass viele von uns sich genau jetzt 3 nach einem Gegenentwurf zum Mainstream-Pop-Diskurs sehnten. Und natürlich ist auch einfach ein gutes Stück Glück dabei bei solchen word-of-mouth-Erfolgsgeschichten: Gut möglich, dass die meisten von uns vom nächsten Diamond Jubilee nichts mitkriegen — oder vom letzten nichts mitgekriegt haben.

Der Moment von Diamond Jubilee scheint, bedauerlicherweise, fast schon wieder vorbei. Während ich das hier schreibe ist meine Timeline dominiert von Hottakes zu Taylor Swifts neuem Album. Es ist nicht wirklich so, als hätte Swifts Release Diamond Jubilee aus dem Gespräch »verdrängt«, es sind zwei verschiedene Gruppen musikinteressierter Menschen, die über das eine und das andere reden. Aber es ist schon irgendwie poetisch, dass genau, als das Gespräch über diese*n Außenseiter-Musiker*in abflacht, das über die berühmteste Künstlerin der Welt (wieder) beginnt. Der Moment von Diamond Jubilee wird genau das bleiben, ein Moment, ein kurzes Aufblitzen einer anderen, besseren Zeit, aber keine permanente Rückkehr dorthin. Aber es fühlt sich gut an, an diese Zeit erinnert zu werden, als Künstler*innen noch auf organische Weise, über word-of-mouth von echtem Mensch zu echtem Mensch bekannt werden konnten, als es noch Einfluss hatte, was kluge Menschen so über Musik schreiben. Sie sind selten geworden, solche »Indie Rock Feel-Good Stories«, aber es ist gut zu wissen, dass sie doch noch nicht ganz unmöglich sind.


  1. »Cindy Lee« ist ein Projekt von Songwriter*in und Drag-Performer*in Patrick Flegel, der*die im Englischen das singuläre »they«-Pronomen nutzt. Das ist immer ein Bisschen sperrig zu übersetzen, ich versuche mal mit Sternchen und, wo möglich und verständlich, Eindeutschung von »they«-Konstruktionen in die hoffentlich grob richtige Richtung zu gehen.↩︎

  2. Diese Anschuldigung habe ich tatsächlich ein paar Mal auf Twitter oder Reddit gesehen. Ich finde sie einigermaßen albern und hoffe, dass ich nicht erklären muss, warum.↩︎

  3. Diamond Jubilee erschien genau zwischen den Hype-Zyklen für Beyoncés Cowboy Carter und Taylor Swifts Tortured Poets Department.↩︎

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Netflix ist längst im Anti-Netflix-Business (eine Art Review von Squid Game: The Challenge)

(English version here)

So schamlos wie Netflix in seiner Adaption von Squid Game als Reality-/Gameshow hat, glaube ich, noch kein Unternehmen einen Torment Nexus präsentiert. Der Begriff, für diejenigen, die weniger chronically online sind, ist eine Referenz an diesen Tweet von Autor/Gamedesigner Alex Blechman:

Sci-Fi Author: In my book I invented the Torment Nexus as a cautionary tale

Tech Company: At long last, we have created the Torment Nexus from classic sci-fi novel Don’t Create The Torment Nexus

Der Tweet wird zitiert, wann immer irgendein Tech-CEO — nicht immer, aber oft genug Elon Musk — irgendeine neue Idee ankündigt, die verdächtig an Technologie in dystopischer Science-Fiction erinnert. Normalerweise ist da allerdings noch ein Bisschen Distanz zwischen Fiktion und Realität — die neusten Auswüchse des AI-Hype, oder Elon Musks Pläne, Menschen Chips ins Gehirn zu pflanzen, oder als »Smart-Home-Assistenten« oder Türkameras getarnte Überwachungstechnologie, oder was auch immer sonst, erinnern an dystopische Sci-Fi-Technologie, sind vielleicht von ihr inspiriert, aber sie sind nicht exakt dieser nachempfunden.

Squid Game: The Challenge aber ist noch einen Schritt weiter: Netflix hat hier explizit und mit Ansage versucht, die dystopisch-allegorische Gameshow aus Squid Game 1:1 in die Realität zu übertragen. Oder, naja, so nah an »1:1« wie das eben geht: Natürlich werden Verlierer*innen in der Reality-Version nicht wirklich erschossen. Aber eine Tintenkapsel in ihren Shirts platzt und sie müssen einen dramatischen Tod spielen und bis zum Ende des jeweiligen Spiels »tot« liegen bleiben, es stirbt also zumindest ihre Würde.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie wenig die Reality-Version von der fiktionalen Serie abweicht: Nicht nur versuchen das Set-Design und die Inszenierung so nah wie möglich Look & Feel des Originals zu kopieren, nicht nur sind fast alle1 Spiele aus der Serie übernommen, durch geschickte Konstruktion der Spiele und inszenatorische Tricks bis hin zur Zuschauertäuschung wird auch versucht, die interne Dramaturgie der Spiele möglichst nah an die der Serie anzugleichen. Wie in der fiktionalen Serie etwa werden auch die Kandidat*innen vor dem Spiel »Marbles« dazu gebracht, Paare zu bilden, nur um dann zu erfahren, dass sie gegen ihre*n Partner*in antreten müssen. Die Hook des Spiels ist also wie in der fiktionalen Serie die Überwindung der Kandidat*innen ihrer moralischen Skrupel, gegen Freund*innen oder, in einem Fall, die eigene Mutter anzutreten.

Dieses penible Imitieren der Fiktion macht die Gameshow aktiv langweiliger. Jede Gelegenheit zur Subversion wird ausgelassen, es gibt keine Überraschungen für Kenner*innen der Serie. Bisweilen hat das ganze den Vibe einer Laientheaterproduktion von Squid Game, und zumindest ich frage mich regelmäßig, warum ich mir das angucken soll, wenn doch die Variante mit »Profis« existiert. Die Gameshow bietet mir wenig an als Belohnung dafür, dass ich den nie anerkannten, aber schwer zu ignorierenden Beigeschmack verdränge, dass man hier eben eine als antikapitalistische Satire gedachte, allegorische Idee als echte Reality-Show adaptiert hat, in der echte Menschen um Summen von echtem Geld spielen, die ihr echtes Leben im echten Kapitalismus signifikant verbessern könnten. Man fragt sich nicht nur, warum genau man weiterschauen sollte, sondern auch, wie einige Zuschauer in den sozialen Medien zum Ausdruck brachten, ob Netflix den Sinn der eigenen Sendung verfehlt hat?

Eine Eigenschaft des »alternativlosen« Kapitalismus, den Mark Fisher in Capitalist Realism beschreibt, ist dass er selbst antikapitalistische Ideen vereinnahmt. »Far from undermining capitalist realism, this gestural anti-capitalism actually reinforces it«, schreibt Fisher in Bezug auf Filme wie Pixars Wall-E, der die Menschheit der Zukunft als fettleibige, gedankenlose Konsummaschinen zeigt:

It seems that the cinema audience is itself the object of this satire, which prompted some right wing observers to recoil in disgust, condemning Disney/Pixar for attacking its own audience. But this kind of irony feeds rather than challenges capitalist realism. A film like Wall-E exemplifies what Robert Pfaller has called interpassivity’: the film performs our anti-capitalism for us, allowing us to continue to consume with impunity. The role of capitalist ideology is not to make an explicit case for something in the way that propaganda does, but to conceal the fact that the operations of capital do not depend on any sort of subjectively assumed belief.

Diese Idee des Publikums, das selbst zum Ziel der Satire wird, greift Alexis Nedd in ihrer Rezension von Squid Game: The Challenge in Indiewire auf:

Whether or not this show is good” could not be further from the point (or further from its own concern). This is a grudging ovation for the ability of Squid Game: The Challenge” to exist as a reality competition show that hates each of its competitors and its audience in equal measure and doesn’t even try to hide that contempt…presumably, and this is just one interpretation of the vibe, because we’re naughty little piggies and they wanna make us squeal.

Aus dieser Perspektive sind die »Bugs« von Squid Game: The Challenge in Wahrheit Features: Der unangenehme Beigeschmack, den die Pervertierung antikapitalistischer Kunst mit sich bringt, das Gefühl, dass man uns hier etwas als minderwertige, langweilige Kopie ein zweites Mal verkauft — all das belastet das Publikum ja nur zusätzlich, macht die Kritik an uns nur schärfer.



Diese Lesart ist stimmig — und kommt Netflix gelegen. Selbst im nicht gerade für seine Menschlichkeit bekannten Reality-Genre sticht der Umgang von Squid Game: The Challenge mit seinen Kandidat*innen oft als besonders kaltherzig hervor: Wir erfahren, wie sehr der Geldgewinn das Leben von Kandidat*innen verändern würde, unmittelbar bevor sie ausscheiden; Kandidat*innen werden für die Dramaturgie der Lächerlichkeit preisgegeben, wie etwa eine Kandidatin im Spiel »Red Light, Green Light«, die es scheinbar nicht schafft, wenige Sekunden stillzuhalten und unter Tränen aufgibt (in Wahrheit dauerte — laut Schilderungen von Kandidat*innen auf TikTok — der Dreh des Spiels nicht, wie das Spiel in der fiktionalen Serie und auch hier vorgegeben, 5 Minuten, sondern mehrere Stunden, was das Aufgeben der Kandidatin verständlicher macht); und natürlich ist da die Inszenierung des Ausscheidens, mit der Tintenkapsel und dem »Sterben« und dem Zwang, für den Rest des jeweiligen Spiels (also, siehe oben, wahrscheinlich mehrere Stunden) reglos liegenzubleiben — Kandidat*innen dürfen sich also nicht wirklich aus dem Spiel zurückziehen, müssen im Grunde weiter für die Produktion arbeiten, selbst, wenn für sie nichts mehr zu holen ist.

Netflix erlaubt sich diese besondere Kaltherzigkeit nicht, wie es einige Nutzer*innen in den sozialen Medien charakterisieren, weil sie Squid Game missverstanden hätten, sondern gerade weil sie Squid Game verstanden haben. Wie Fisher ausführt:

So long as we believe (in our hearts) that capitalism is bad, we are free to continue to participate in capitalist exchange.[…] [W]e are able to fetishize money in our actions only because we have already taken an ironic distance towards money in our heads.

Das erklärt vielleicht, warum auch Zuschauende, die das Original kennen und verstanden haben, mit einigermaßen gutem Gewissen Squid Game: The Challenge schauen. Es illustriert aber auch, aus welcher Position heraus Netflix diese Show produziert hat: Aus der Gewissheit, unverwundbar zu sein. Gäbe es das originale Squid Game nicht, wäre Squid Game: The Challenge nur eine weitere Reality-Show, eine unnötig kaltherzige und ehrlich gesagt ziemlich langweilige. Der Kontext der Original-Serie allerdings lässt Lesarten wie die von Nedd zu, nach denen jeder mögliche kritische Angriffspunkt die Satire der Show nur verschärft. Und, ja, technisch gesehen macht er die Serie auch angreifbar, Torment Nexus und so, aber was hat Netflix zu befürchten, wenn es die schärfstmögliche Kritik ja, in Form der Original-Serie, längst selbst formuliert hat? Im schlimmsten Fall unterstreicht Squid Game: The Challenge nur erneut die Relevanz des originalen Squid Game, ist also mindestens gute PR für Netflix’ Content.

Netflix hat erkannt, dass die klügste Art, mit Kritik an ihnen, ihrem Geschäftsmodell und der kapitalistischen Logik dahinter umzugehen darin besteht, diese Kritik selbst in das Geschäftsmodell zu integrieren. Die Synergy von Squid Game und Squid Game: The Challenge ist nur das jüngste Beispiel dafür: In gleich zwei Episoden der jüngsten Staffel von Black Mirror spielt ein dystopisches Netflix-Stand-in namens »Streamberry« eine Rolle. Black-Mirror-Autor Charlie Brooker erklärte dazu:

They went away and came back quite quickly — weirdly quickly — and said, Yeah, okay.’ There wasn’t any resistance to it, that I could tell. Which is a bit disappointing, because it would be good to be able to say I just did it anyway, because I’m an anarchist!’ But no.

So »weird« ist es aber gar nicht, dass Netflix die Idee akzeptierte: Sie hatten einfach das Marketing-Potenzial erkannt. Sie veröffentlichten eine »echte« Streamberry-Website, ließen User*innen dort »Accounts« anlegen und nutzten die so gesammelten Fotos für Marketing.

Und mit Blockbuster produzierte Netflix eine herzerwärmende Workplace-Sitcom über den letzten Blockbuster-Video-Store, eine Kette, die von Netflix und ihrem Streaming-Modell verdrängt wurde. Es fällt mir, ehrlich gesagt, schwer zu glauben, dass irgendjemand Blockbuster für eine wirklich gute Serienidee gehalten hätte, die sich tatsächlich irgendjemand angucken sollte — es würde mich nicht wundern, wäre diese Serie ausschließlich für den PR-Gag produziert worden, gerade dafür, dass Medien die Ironie der Existenz dieser Serie betonen und so Aufmerksamkeit für Netflix generieren.2

Also nein: Die Entscheidungen, die zur Produktion von Squid Game: The Challenge und Blockbusters und zu Black Mirrors »Streamberry« geführt haben, sind nicht weird und sind nicht die Entscheidungen eines Unternehmens, das die Kritik an seinem Modell (und dem System, in dem dieses Modell existiert) nicht versteht. Sie sind die Entscheidungen eines Unternehmens, das solche Kritik so gut versteht, dass es sie reproduzieren, neu verpacken und uns verkaufen kann. Eines Unternehmens, das sein Modell, nicht unberechtigt, für weitgehend alternativlos hält und weiß, dass dieser Mangel an Alternativen letztlich auch nur eine Marktlücke ist.


  1. Eine Ausnahme ist das Finale, das nicht, wie in der Serie, das titelgebende »Squid Game« ist, sondern »Schere, Stein, Papier«. Das ist allerdings mehr als eine Art »Übersetzung« denn als Subversion zu begreifen: Während die fiktionale Serie in Südkorea produziert wurde, ist die Reality-Adaption eine britische Produktion, und hat internationale Kandidat*innen. »Schere, Stein, Papier« ist international bekannter, simpler und für das internationale Publikum lesbarer, aber der Effekt ist ein ähnlicher: Ein Schulhofspiel wird zum alles entscheidenden, über das weitere Leben der Kandidat*innen bestimmenden Duell.↩︎

  2. Netflix ist nicht allein: Die Apple-TV+-Serie Severance ist zwar keine Satire über Streaming, aber eine über Tech-Unternehmen und moderne Arbeit, und es ist kein Zufall, dass die Ästhetik der Büroräume des fiktiven Konzerns der Serie an die Designsprache von Apple-Stores und -produkten erinnert.↩︎

December 11, 2023 review essay tv netflix squid game reality gameshow deutsch text

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The Magic Circle S2E6 — Ich fühl diesen Fisch nicht: Horse, »Horse« or Marijuana?, WTF Stockphotos

In der letzten Folge der zweiten Staffel von The Magic Circle spielen wir zwei Magic Circle Klassiker: Horse, »Horse« or Marijuana? und unser Bluff-Spiel mit dem »WTF Stockphotos«-Subreddit. Viel Spaß & hoffentlich bis bald!

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September 4, 2023 podcast magicircle magicircles2 comedy gameshow games deutsch trivia quiz audio

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The Magic Circle S2E5 — The Mind of Michael: Filmscore Quiz, Mom & Popkultur

In dieser Folge von The Magic Circle spielen wir ein Quiz mit den, ähem, lustigen Wortspiel-Titeln eines bekannten Filmkomponisten, und erraten in einem jetzt-schon-klassischen Spiel weitere Popkulturfiguren, beschrieben von meiner Mutter.

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August 20, 2023 podcast magicircle magicircles2 comedy gameshow games deutsch trivia quiz film audio

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The Magic Circle S2E4 — Wie man einen Autoreifen halten würde: Solve for X, WTF Stockphotos

In der neuen Folge von The Magic Circle spielen wir eine neue Runde unseres Trivia-Formats »Solve for und dann bringen beide Teams ihr absolutes A-Game für einen Magic-Circle-Klassiker: das WTF-Stockphoto-Spiel!

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August 6, 2023 podcast magicircle magicircles2 comedy gameshow games deutsch trivia quiz audio

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The Magic Circle S2E3 — Was würde Milch tun?: Letterboxd Quiz, Competitive CYOA

In dieser Folge von The Magic Circle spielen wir ein Quiz über hyperspezifische Letterboxd-Listen und eine kompetitive Version von Choose Your Own Adventure”. Viel Spaß!

P.S: Entschuldigt die leichte Verspätung, ich war unterwegs und habe am Wochenende nicht die Zeit gefunden, den Podcast zu veröffentlichen.

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July 24, 2023 podcast magicircle magicircles2 comedy gameshow games deutsch trivia quiz letterboxd film choose your own adventure audio

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The Magic Circle S2E2 — Team Last: imdb Trivia Quiz, Mom & Popkultur

In dieser Folge von The Magic Circle spielen wir eine weitere Runde unseres imdb-Trivia-Quizzes. Außerdem hört ihr die Premiere eines neuen Spiels: Ich habe meine Mutter Popkulturfiguren, die sie nicht kennt, visuell beschreiben lassen — erkennen meine Gäste, welche Figur gemeint ist?

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July 8, 2023 podcast magicircle magicircles2 comedy gameshow games deutsch trivia quiz audio

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Die befremdlichen Methoden von Podcast-Werbung

MedWatch berichtete kürzlich über den Nahrungsergänzungsmittelhersteller Athletic Greens, und dessen Werbung, die man derzeit in diversen deutschsprachigen Podcasts zu hören bekommt. Bekannte Podcaster wie Klaas Heufer-Umlauf (Baywatch Berlin), Micky Beisenherz (Apokalypse und Filterkaffee) oder Fußballer Toni Kroos (Einfach mal luppen) loben das Unternehmen auf eine, nun, besondere Art und Weise:

Schon die Form der Werbung ist speziell. Wäre der mehr als fünf Minuten lange Dialog zwischen Toni und Felix Kroos nicht als Werbung gekennzeichnet gewesen, die Zuhörer:innen müssten denken: Die reden einfach weiter. Auch andere bekannte Podcaster präsentierten ihre Produktempfehlung minutenlang und in der »Ich«-Form. Als subjektive, angeblich persönliche Erfahrungsberichte — natürlich in Abstimmung mit dem Werbepartner. Was zu dem skurrilen, aber natürlich nicht zufälligen Ergebnis führt, dass binnen weniger Tage im Mai nicht nur Toni Kroos, sondern auch Entertainer Klaas Heufer-Umlauf und Moderator Micky Beisenherz offenbar den dringenden Wunsch verspürten, Ratschläge für ihr jüngeres Ich zu erdenken.

MedWatch charakterisiert diese Werbestrategie als »an der Grenze zur Legalität«:

Geht es nach dem Hersteller, sollen Kund:innen das Pulver jeden Morgen mit Flüssigkeit anrühren und trinken. Dann trage AG1 — so das Etikett — »zu einem normalen Energiestoffwechsel«, »zur normalen hormonellen Funktion«, »zu einer normalen Funktion des Immunsystems«, »zu einer normalen kognitiven Funktion« und »zur Aufrechterhaltung eines normalen Blutzuckerspiegels« bei. Damit nutzt Athletic Greens gesundheitsbezogene Werbeaussagen (»Health Claims«), die zwar für einzelne Zutaten des Produkts EU-weit zugelassen sind. In der verwendeten Form jedoch hält der Health-Claim-Experte Alfred Hagen Meyer, Herausgeber juristischer Kommentare zum Lebensmittelrecht, die Werbeaussagen für »eindeutig unzulässig«. Auf MedWatch-Anfrage sagt er: »Health Claims dürfen sich nur auf einzelne Stoffe beziehen, aber keine Aussagen für die Wirkung des Endprodukts treffen.«

Außerdem schaut MedWatch sich die Inhaltsstoffe des beworbenen Produktes »AG1« an und stellt die Frage, wie sinnvoll die Einnahme eines solchen Nahrungsergänzungsmittels wirklich ist:

Tatsächlich sind einige Vitamine und Mineralien, darunter Folsäure und Zink, höher dosiert als vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfohlen. Auch Phosphor ist mit 130 Milligramm je Tagesportion enthalten — das BfR rät gänzlich von einem Zusatz ab. Zur Begründung gibt die Behörde an, dass die Referenzwerte für die Aufnahme des in Nahrungsmitteln weit verbreiteten Phosphors bzw. Phosphats im Mittel bereits überschritten würden. Eine zu hohe Aufnahme wiederum steht im — nicht abschließend geklärten — Verdacht, mit kardiovaskulären Risiken verbunden zu sein. Hersteller Athletic Greens verweist auf Anfrage darauf, dass es »keine europaweiten gesetzlichen Höchstmengenvorgaben für Vitamine und Mineralstoffe« gibt. Die Mengen seien so gewählt, dass »sinnvolle Effekte erzielt werden«.

Ich höre Baywatch Berlin regelmäßig und habe bei der Werbung für AG1 schon seit längerem ein mulmiges Gefühl. Man kommt bei solchen als gut gemeinte, persönliche Empfehlung getarnten Sales-Pitches, gerade, wenn es um irgendwelche dubiosen Pseudo-Gesundheitsprodukte geht, ja kaum umhin, an Multi-Level-Marketing-Programme zu denken: Man stellt sich Klaas Heufer-Umlauf umringt von Kartons voller Flaschen mit Nahrungsergänzungsmittelpulver vor, verzweifelt, dass er das Zeug, das er sich hat aufschwatzen lassen, nicht wieder loswird.

Insofern bin ich dankbar, dass MedWatch sich dem Thema angenommen hat. Der Fokus auf AG1 ist natürlich sinnvoll, es ist wichtig, über Sinn und Unsinn gerade dieser Art Produkt und die Validität solcher »Health-Claims« aufzuklären.

Was dabei allerdings unerwähnt bleibt: Während die Problematik bei solchen angeblich gesundheitsfördernden Produkten zweifelsohne eine besondere Brisanz hat, ist diese Art der Werbung in Podcasts alles andere als ein Ausnahmefall — eher der internationale Standard. Und vielleicht wäre es an der Zeit, mal ganz grundsätzlich zu fragen, ob solche Werbung zulässig ist, und wenn ja, ob sie es sein sollte.

Man muss sich das mal in irgendeinem anderen Medium vorstellen: Gäbe es etwa in Klaas Heufer-Umlaufs Fernsehsendung Late Night Berlin statt eines Werbeblocks eine Rubrik, in der Heufer-Umlauf persönlich irgendwelche Produkte empfiehlt, sie uns ans Herz liegt als wäre er nur ein begeisterter Nutzer anstatt ein bezahltes Werbegesicht, fänden die meisten Zuschauer*innen das wohl einigermaßen befremdlich — zweitranging, ob es sich um Werbung für ein Nahrungsergängzungsmittel handelt oder um Werbung für eine Kochbox, ein Hygieneprodukt oder eine Sprachlernapp (um auf ein paar andere Werbepartner von Baywatch Berlin anzuspielen). In Podcasts ist ähnliches aber Gang und Gäbe. Klar, die Werbeblocks sind (meistens) durch einen Jingle oder ähnliches vom restlichen Inhalt getrennt; aber Moderator*innen sprechen die Werbetexte in demselben Plauderton, in dem der Rest Podcasts gehalten ist, garnieren sie mit persönlichen Empfehlungen, die vielleicht manchmal sogar auf echter Erfahrung mit dem Produkt basieren (was es nicht weniger problematisch macht, sie so während bezahlter Werbeblocks zu geben), oft genug aber auch, wie im Falle von Athletic Greens, eindeutig zumindest in Eckpunkten geskriptet sind. Wäre jemand wie Heufer-Umlauf bereit, Werbung in seinen Fernsehshows ähnlich zu präsentieren?



Das ist übrigens kein speziell deutsches Problem: Amerikanische Podcaster*innen geben dieselben angeblich persönlichen Empfehlungen, für nicht immer unzweifelhafte Produkte. Unter anderem kann man namhafte Podcaster*innen regelmäßig, verpackt als gut gemeinte Empfehlung, irgendwelche »Therapie-Apps« bewerben hören, die kaum den Gang zum (in den USA natürlich teuren) Therapeuten ersetzen können dürften.

Legal ist das alles, gehe ich von aus (wenn auch in speziellen Fällen wie etwa bei Athletic Greens vielleicht »an der Grenze zur Legalität«). Aber es spricht für ein meiner Meinung nach etwas befremdliches Verhältnis einer Branche zu Werbung. Dieses Verhältnis lässt sich auch damit illustrieren, dass große Podcast-Awards wie etwa die Webbys oder die iHeart-Radio-Awards gar Kategorien wie »Best Ad Reads« haben, was unterstreicht, wie Werbung in der Branche wahrgenommen wird: nicht als ein notwendiges Übel, um die eigentlichen Inhalte zu finanzieren, sondern als Teil des Inhalts. Und entsprechend wird sie halt auch gestaltet.

June 27, 2023 podcasts werbung athletic greens ag1 medwatch klaas heufer-umlauf micky beisenherz toni kroos baywatch berlin deutsch text

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The Magic Circle S2E1 — Hallo, mein Name ist Michael Crichton und ich habe einen winzigen Penis: Solve for X, Wiki QI & mehr

Willkommen zur zweiten Staffel von The Magic Circle! Euch erwarten sechs neue Folgen mit neuen Spielen und alten Favoriten, neuen Kandidat*innen & Fan-Favorites (also allen aus Staffel 1 bekannten ;)).

In der ersten Folge spielen wir ein neues, viellleeeeeeicht etwas überkomplexes Trivia-Format, sowie unser aus Staffel 1 bekanntes Wikipedia-Quiz — mit einer neuen Runde über Wikipedias interessanteste Listen!

Holt euch den Season Pass und hört die ganze Staffel schon heute!

Hier findet ihr den RSS-Feed. Direkte Links für alle gängigen Plattformen gibt es hier.

June 24, 2023 podcast comedy magicircle magicircles2 gameshow deutsch trivia games quiz audio

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The Magic Circle Season 2 startet am 25. Juni!

Lang, lang hat es gedauert, aber am 25. Juni ist es endlich soweit: The Magic Circle geht in die zweite Staffel! Sechs neue Folgen, alle zwei Wochen Sonntags.

Zur Auffrischung: The Magic Circle ist ein Podcast, den ich in den späten 90ern oder so1 gestartet habe — eine Audio-Gameshow, in der ich meine Freund*innen in albernen, selbstausgedachten Spielen gegeneinander antreten lasse. Die zweite Staffel sollte eigentlich letztes Jahr schon kommen, das hat aber nicht so geklappt, es hat sich einiges verändert in meinem Leben, andere Dinge waren zeitweise wichtiger und ich habe nicht so recht die Zeit gefunden, daran zu arbeiten, man kennt das.

Jetzt ist die Staffel aber endlich fertig, und ich bin wirklich stolz auf die neuen Folgen und kann kaum abwarten, sie euch zu hören zu geben! Den RSS-Feed und Links für die meisten gängigen Podcatcher findet ihr hier. Wenn ihr den Podcast bereits abonniert habt, prüft vielleicht kurz, ob ihr auch den aktuellen RSS-Feed — den hier — habt. Ich bin in der Zwischenzeit von einem kommerziellen Hoster zu einem selbstgehosteten Feed gewechselt, es sollte alles automatisch umgeleitet werden, aber kann sein, dass das nicht alles reibungslos klappt, ist jetzt alles Handarbeit hier.

Auch für diese Staffel gibt es wieder einen Season Pass: Für einmalig 5€ erhaltet ihr Zugriff auf einen exklusiven Feed, in dem ihr alle Folgen der neuen Staffel ab genau jetzt hören könnt, frei von »Werbung«2, und der euch Zugriff auf diverse Bonus-Inhalte gibt: Die Inhalte der ersten Staffel, darunter eine volle Bonus-Folge, sind schon im Feed, im Laufe der zweiten Staffel werden weitere hinzukommen.3 Hier könnt ihr den Season Pass kaufen.

Hier nochmal ein Teaser, den wir letztes Jahr veröffentlicht haben, mit einem meiner Lieblingsspiele aus der neuen Staffel:


  1. OK, 2021.↩︎

  2. …aka »frei von Verweisen auf den Season Pass«, weil den habt ihr dann ja schon.↩︎

  3. Die Bonus-Inhalte für Staffel 1 und 2 sind ein »Paket«, das heißt: Wer damals den Season Pass für Staffel 1 gekauft hat, muss diesmal nicht noch einmal zahlen, ihr solltet dann bereits eine Email mit dem Link zum neuen Feed bekommen haben. Wenn nicht, meldet euch unter .↩︎

June 9, 2023 podcast magicircle comedy gameshow improv magicircles2 deutsch audio

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Sebastian Hotz’ Mindset: El Hotzos erster Roman hat nicht viel mehr Tiefe als ein Tweet

Beginnen wir diesen Text mit einem Geständnis: Ich wusste bis vor allzu langer Zeit gar nicht, wer El Hotzo ist. Ich glaube, es war während der Arbeit an der ersten Folge von Doomscroll’d, als die anderen eine Referenz auf den Social-Media-Star droppten und ich sie anstarrte, als würden sie sich in einer mir unbekannten Sprache unterhalten.1 Ich finde das noch immer faszinierend, dass jemand technisch gesehen berühmt sein kann, sogar berühmt in meiner spezifischen Bubble, und trotzdem komplett an mir vorbeigehen konnte.

Wie auch immer, mittlerweile weiß ich, wer El Hotzo ist, und grundsätzlich finde ich, das ist einer von den Guten. Niemand hat eine 100% Hitrate, aber Hotzos Tweets sind öfter lustig als nicht, und er hat das nahezu übermenschliche Kunststück geschafft, ein Wirtschaftsstudium zu absolvieren und trotzdem normal zu bleiben. Es bringt mir daher ehrlich keine Freude, zu sagen, dass Sebastian Hotz’2 kürzlich erschienener erster Roman, Mindset, nicht gerade nahelegt, dass Twitters 280 Zeichen Hotz in seinen Ausdrucksmöglichkeiten groß eingeschränkt hätten.

In Mindset geht es um Maximilian Krach, einen dieser Typen auf halbem Weg zwischen Influencer und Guru, die einsamen Männern zu erklären behaupten, wie sie aus ihrem eintönigen Leben ausbrechen und erfolgreich werden können, vom »Schaf« zum »Wolf« werden können, wie Maximilian es einigermaßen abgedroschen formuliert. Und es geht um Mirko, einen dieser einsamen Männer, und wie er sich, trotz der Bemühungen einer älteren Kollegin, von Maximillians Versprechen einlullen lässt. Die Pointe: Maximillians »Erfolg« ist genau so fiktional wie der der Typen, die seine »Seminare« besuchen, er arbeitet noch immer als Lieferant für Dominos, das angebliche Erfolgscoaching ist — auch, wenn die Beteiligten das zunächst nicht zugeben wollen — in Wahrheit eine Art Selbsthilfegruppe für Männer, die nicht wissen wohin sonst mit ihrer Unzufriedenheit mit ihrem Leben (Hotz liefert durchaus ein paar alternative Vorschläge, die seine Figuren tragischerweise ignorieren, etwa in Form eines Lieferantenkollegen, der versucht, Maximillian zum Besuch eines Gewerkschaftstreffens zu überreden).



Das ist alles irgendwie gut gemeint. Es bestätigt, dass Hotz im Großen und Ganzen »auf der richtigen Seite steht«. Und auch, wenn Hotz’ Prosa weitestgehend schmucklos ist, gibt es hier und da einen guten Gag (»Selbstverwirklichung ist etwas für Rapsongs und Menschen mit über zwanzigtausend Followern«), eine einprägsame Formulierung (»Der Beginn eines neuen Tages ist auch heute unvermeidbar«), oder eine kluge Beobachtung (»Einzig der Mensch hat im Zuge irgendeiner seiner zivilisatorischen Entwicklungsstufen beschlossen, dass der eigene Körper nicht die Instanz sein sollte, die über die richtige Schlafdauer bestimmt«).

Aber es ist alles zu unspezifisch, um auf irgendeiner anderen Ebene zu funktionieren, als dem*der Leser*in anerkennend auf die Schulter zu klopfen dafür, dass man, wie Hotz, durchschaut, was »solche Typen« wirklich antreibt. Man identifiziert Maximillian innerhalb einer Seite als »einen dieser Männlichkeits-Grifter«, Mirko als »einen dieser einsamen Typen, die auf sowas reinfallen«, und sie werden nie zu mehr als das: Sie sind Beispiele, die für einen Typ Mann stehen sollen, aber werden nie lebendig als eigenständige Figuren. Und das ist dann sogar für »solche Typen« einigermaßen oberflächlich, und ich weiß nicht, ob es Hotz’ Absicht ist, dass man sein Buch mit dem Gefühl verlässt, dass er etwas reduktiv in der Zeichnung seiner Figuren war, dass er ausgerechnet diesen Typen nicht ganz gerecht geworden ist.


  1. Dafür wussten die beiden nicht, wer dril ist. dril!↩︎

  2. So heißt »El Hotzo« wirklich, für diejenigen, die noch auf meinem Wissensstand ca. 2021 sind.↩︎

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The Fabelmans ist mehr als eine »Liebeserklärung an das Kino«

Es gibt ja kaum eine Art Film, die ich so sehr hasse, wie »Liebeserklärungen an das Kino« — besonders, wenn sie von »Altmeistern« gemacht werden, die seit 40 Jahren über nichts anderes als das Kino nachgedacht haben, wirken solche Filme auf mich oft selbstbeweihräuchernd und weltfremd. Entsprechend hatte ich meine Zweifel hinsichtlich Steven Spielbergs autobiographischem The Fabelmans, der bisweilen als genau solcher Film beschrieben wurde. Ich bin positiv überrascht, dass The Fabelmans ein anderer, interessanterer Film ist.

The Fabelmans ist ein Film darüber, wie der junge Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) seine Leidenschaft fürs Filmemachen entdeckt, ja. Der Film hat, natürlich, den Shot, den jede ~Liebeserklärung an das Kino~ haben muss: der Protagonist in seinem ersten Kinofilm, sein Gesicht beleuchtet vom Projektorlicht, staunend wie Ellie Satler beim Anblick der Dinosaurier. Auch auf Selbstzitate verzichtet Spielberg nicht, und man kann diesen Film durchaus als nostalgische Nabelschau gucken, als einen Film darüber, woher dieser große Künstler ~seine Ideen hat~; man kann zuschauen, wie Sammy und seine Freunde durch die Straßen der Vorstadt radeln, sich an E.T. erinnern und denken, »Ahh, daher kommt das also«.

Viel interessanter aber ist, wie Spielberg auch konfrontiert, was es kosten kann, sein Leben der Kunst zu verpflichten. In einer Sequenz werden die Fabelmans von Sammys Onkel Boris (Judd Hirsch) besucht, einem ehemaligen Löwenbändiger, der Sammy prophezeit, dass seine Obsession mit dem Filmemachen Opfer verlangen wird: »Art will give you crowns in heaven and laurels on Earth, but also, it will tear your heart out and leave you lonely.« Sammy liebe die Menschen in seinem Leben, ja, aber er würde die Kunst immer mehr lieben, behauptet Boris, und während Sammy das vehement abstreitet, geben das Drehbuch von Spielberg und Tony Kushner und Spielbergs Inszenierung Boris recht. In einer der herzzereißendsten Szenen des Films sieht Sammy in dem Moment, in dem sein Vater Burt (Paul Dano) den Kindern die Trennung von Mutter Mitzi (Michelle Williams) offenbart, während die Schwester schreit und weint, im Wandspiegel eine Vision seiner selbst, wie er das Geschehen teilnahmslos mit der Kamera einfängt und sieht, vielleicht, ein, dass sein Onkel Recht hatte. Die Einstellung von Sammys entsetztem Gesicht in dieser Szene ist sowas wie der Gegenpart zu der Einstellung des staunenden Sammy im Kino, und die lange Reihe von Einstellungen staunender Gesichter in Spielbergs Werk — bekanntlich ein Markenzeichen seiner Arbeit — scheint plötzlich wie bloßer Setup für diese eine herzzereißende Pointe.



Spielberg glorifiziert dabei weder den »tortured artist«, noch beweint er das tragische Schicksal des zur Kunst berufenen. Er ist lediglich ehrlich über die Entscheidungen, die er auf seinem Weg zum Filmemacher getroffen hat, und über deren Konsequenzen, über den Grad an Egoismus auch, der nötig war, diese Entscheidungen zu treffen. Und so verdient sich der Film auch, mehr als die durchschnittliche »Liebeserklärung an das Kino«, seine Momente des Triumphes und der Freude, die das Filmemachen Sammy bringt.

Auf einer universelleren Ebene ist The Fabelmans auch ein Film darüber, wie Sammy erkennt, dass seine Eltern echte Menschen, mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen sind, die über »Eltern für Sammy und seine Geschwister sein« hinausgehen. Seth Rogens »Onkel« Benny wird uns zunächst als Familienfreund vorgestellt, stellt sich aber bald als mehr heraus, als jemand, mit dem Mitzi eine (mindestens emotionale) Affäre hat. Sammy erfährt davon — auch deshalb, weil er mit seiner Kamera Momente einfängt, die er sonst wohl übersehen hätte —, und wie sich daraufhin die Beziehung zu seiner Mutter entwickelt, ist eines der interessantesten und berührendsten Elemente des Films: Zunächst wütend auf seine Mutter, erkennt Sammy nach und nach eine Parallele zwischen ihrer Liebe zu Benny und seiner Leidenschaft fürs Filmemachen. Für beide gibt es etwas, das ihnen wichtiger ist als die Liebe zu ihrer Familie, und beide folgen letztlich ihrem Impuls, im Bewusstsein, dass es eine egoistische Entscheidung ist.

Interessant auch, wie der Film mit dem Verhältnis von Erinnertem und Ausgedachtem spielt. Alles fühlt sich irgendwie gleichzeitig echt, erinnert und hochartifiziell an. Figuren benehmen sich wie echte Menschen, sprechen mehr oder weniger naturalistische Dialoge im einen Moment und halten scheinbar vorbereitete Reden, die Sammy irgendeine wichtige Lektion fürs Leben erteilen, im nächsten. Szenen wie die gegen Ende des Films, in der Sammy von seinem Bully konfrontiert wird, müssen ziemlich direkt aus Spielbergs Erinnerung kommen (nur echte Menschen verhalten sich so rätselhaft und erratisch), doch in derselben Szene lässt Spielberg seine Figuren so explizit wie nirgendwo sonst im Film »in die Kamera zwinkern« (vielleicht, sagt Sammy, macht er irgendwann einen Film hierüber). Spielberg erzählt mit The Fabelmans »seine eigene Geschichte«, aber erinnert uns immer wieder, dass diese Geschichte genauso viel Bullshit enthält wie jeder seiner anderen Filme — aber gleichzeitig ist es genau in diesem Bullshit, in den am offensichtlichsten ausgedachten oder zumindest geschönten Momente des Films, wo Spielberg am meisten von sich zu offenbaren scheint, wo am meisten einer anderen, tieferen Art von »Wahrheit« steckt.

March 29, 2023 film review kritik steven spielberg deutsch text

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Now Is Not the Time to Panic: Kevin Wilsons berührender Coming-of-Age-Roman parodiert die »Satanic Panic«

Ende 2019 las ich Kevin Wilsons Nothing to See Here, und seitdem macht Lesen mir ein bisschen weniger Spaß. Vielleicht war es das richtige Buch zur richtigen Zeit, vielleicht liegt es daran, dass es eins der letzten Bücher war, die ich vor der Pandemie zu Ende gelesen habe, vielleicht ist es einfach wirklich so gut — wahrscheinlich ist es eine Kombination aus all dem. Jedenfalls: Seitdem ist, ohne Übertreibung, keine Woche vergangen, in der ich nicht an Wilsons Buch gedacht habe, und kein Buch, das ich seitdem gelesen habe, hatte einen ansatzweise vergleichbaren Effekt.1

Nothing to See Here erzählt von Lillian, die zu Beginn ein ziemlicher Fuck-Up ist, und die dann von ihrer alten Schulfreundin Madison angeheuert wird, sich um die Kinder von Madisons Mann aus früherer Ehe zu kümmern. Die beiden Kinder haben die seltsame Eigenschaft, wenn sie aufgeregt oder wütend werden, in Flammen auszubrechen.

Das ist, finde ich, eine ziemlich grandiose Idee für einen Roman. Es ist aber auch die Sorte Idee, die oft zu Enttäuschungen führt. Derlei High-Concept-Prämissen halten selten, was sie versprechen — zu einfach ist es für Autor*innen, sich darauf auszuruhen, sich auf die Quirkyness, die eine solche Prämisse mit sich bringt, zu verlassen und wenig darüber hinaus anzubieten.

Aber Wilsons Roman hält, was die Prämisse verspricht — und viel mehr: Ich hätte von diesem Roman keinen so nuancierten, berührenden Blick auf Elternschaft erwartet, und keine so schonungslose Darstellung der Traumata, die Eltern in ihren Kindern auslösen können. Alles gefiltert durch die spezifische Perspektive Lillians, eine der eigenartigeren, unvergesslicheren Erzählstimmen, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin.

Will sagen: Meine Hoffnungen für Wilsons kürzlich erschienenen neuen Roman Now Is Not the Time to Panic waren groß. Kann der Roman diese Hoffnungen erfüllen? Nein — ich mein, natürlich nicht, wahrscheinlich waren meine Hoffnungen ein Bisschen zu groß. Aber das heißt nicht, dass Now Is Not the Time to Panic für sich genommen nicht trotzdem lesenswert wäre.

Es geht um Frankie, die in der Kleinstadt Coalfield, Tennessee aufwächst, dort eine ziemliche Außenseiterin ist und sich furchtbar langweilt. Bis sie, im Sommer 1996, Zeke kennenlernt, der nach der vorläufigen Trennung seiner Eltern mit seiner Mutter aus Memphis zu seiner Großmutter gezogen ist. Zeke und Frankie sind angehende Künstler*innen — sie Autorin, er Zeichner —, und entscheiden, zusammen Kunst zu produzieren. Sie entwerfen ein Poster mit einer Zeichnung von Zeke und einem Slogan von Frankie: »The edge is a shantytown filled with gold seekers. We are fugitives, and the law is skinny with hunger for us.« Zeke und Frankie hängen Kopien des Posters überall in Coalfield auf, und lösen damit etwas aus, was später als »Coalfield Panic« bekannt wird, Wilsons Parodie auf die »Satanic Panic« der 80er Jahre: Medien spekulieren wild über den*die Urheber*in des Posters, angebliche Exptert*innen dichten satanische Hintergründe dazu, Menschen fertigen ihre eigenen Varianten des Posters an, Touristen pilgern nach Coalfield. Sogar einige Tote gibt es. 20 Jahre später wird Frankie, mittlerweile eine erfolgreiche Jugendbuchautorin, von einer Reporterin kontaktiert, die herausgefunden zu haben glaubt, dass Frankie die Urheberin des Posters war, und sie überzeugen will, ihre Geschichte in einem Interview zu erzählen.

Wilson hat zwei große Stärken als Autor. Die erste ist sein Gespür für spezifische, aber glaubhafte Details: vom »Meet Cute« der Protagonist*innen bei einer bizarren, brutalen Tradition im örtlichen Schwimmbad, bis zu den spezifischen popkulturellen Reaktionen, die Frankies und Zekes Poster auslöst, etwa einen SNL-Sketch, »where it turned out that Harrison Ford was putting up the posters, though he blamed it on a one-armed man«, oder ein »twenty-seven-song concept album by the Flaming Lips called Gold-Seekers in the Shantytown«.

Wilsons andere große Stärke in Now Is Not the Time to Panic — wie auch schon in Nothing to See Here — ist die Erzählstimme. Frankies Ich-Erzählung hat einen ebenso einzigartigen Sound wie Lillians im Vorgänger. Ihre Gedankengänge und die Metaphern und Sprachbilder, die Wilson ihr in den Mund legt, wirken, als hätte Wilson sie irgendwo aufgeschnappt und mitgeschrieben, es sind die Sorte eigenartiger Gedanken und schiefer Vergleiche, die Menschen im echten Leben ständig denken und von sich geben, aber die sehr, sehr schwierig glaubhaft zu schreiben sind.

Das beste Beispiel für beides, Wilsons Blick für einprägsame Details und starke Erzählstimme, sind natürlich die Worte selbst, die Frankie auf das Poster schreibt: »The edge is a shantytown filled with gold seekers. We are fugitives, and the law is skinny with hunger for us.« Es bedeutet überhaupt nichts, aber man kann sich vorstellen, wie Menschen allerlei Bedeutung hineinlesen können, und das macht die »Coalfield Panic« um einiges glaubwürdiger.2 In weiten Teilen ist der Plot von Now Is Not the Time to Panic vorhersehbar, aber zusammen machen diese Stärken Wilsons Geschichte einprägsamer als den durchschnittlichen Coming-of-Age-Roman.

Wilson hat in verschiedenen Interviews darüber gesprochen, wie sein Tourette seine Arbeit beeinflusst, wie er die intrusive thoughts, die verstörenden Bilder und Gedanken, die sich in seinem Kopf festsetzen, zur Inspiration für sein Schreiben nimmt, und wie er seine Gedankenschleifen als eine Art Schreib-»Werkzeug« nutzt:

[O]ne of the things that helped me creatively is if I know something’s coming back, if I can hold it in my head, I can let it go knowing it’ll come back. And when it comes back, I can do something slight to alter it. And then it’ll come back again. That’s how I tell stories. I tell it in my head over and over and over again, and each time it gains a little depth, a little more nuance.

In Now Is Not the Time to Panic lässt sich dieser Einfluss sehr direkt daran festmachen, dass auch Frankie solche Gedankenschleifen hat, dass sie die Phrase wie eine Art Mantra wiederholt, dass sie gedanklich immer wieder diesen Sommer mit Zeke durchlebt. Und vielleicht ist Wilsons Neurodivergenz und die damit verbundene Arbeitsweise und Perspektive auch ein Grund dafür, warum Now Is Not the Time to Panic im Gedächtnis bleibt, warum diese oberflächlich betrachtet vorhersehbare, oft erzählte Geschichte sich spezifisch und unverbraucht anfühlt. Now Is Not the Time to Panic wird keinen erneuten dreijährigen Lesehangover bei mir auslösen, und es ist zweifelsohne ein weniger vielschichtiges Buch als Nothing to See Here. Aber eines der unterhaltsameren und berührenderen Bücher, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe, ist es trotzdem.


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  1. Ich hätte mich in der Zeit natürlich durch Wilsons bisherige Bibliographie lesen können, aber außer ein paar (sehr guten!) Kurzgeschichten aus Baby, You’re Gonna Be Mine habe ich darauf vorerst verzichtet, weil zu viele interessante neue Bücher erscheinen und, keine Ahnung, ich das Gefühl mag, diese Bücher in der Hinterhand zu haben für den Moment, wenn ich sie brauche (was immer das heißt) oder so.↩︎

  2. Tatsächlich hat Wilson diesen Satz einmal von einem alten Freund gehört, der später an Covid gestorben und dem das Buch gewidmet ist. Aber man muss halt erstmal ein Ohr für solche Sätze haben, und Charaktere schreiben können, denen man sie glaubhaft in den Mund legen kann,.↩︎

January 10, 2023 buch review rezension kritik kevin wilson nothing to see here literatur deutsch text

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Idiocracy, Corona & das Versagen der Linken | DOOMSCROLL’D

Nach einer unverantwortlich langen Post-Produktion ist sie endlich fertig: Die zweite Folge von Doomscroll’d, dem politischen Comedy-Format, das ich mit Conrad Mildner & Leonhard Balk produziere.

Diesmal geht es um Mike Judges Idiocracy, das Konzept »Intelligenzquotient«, und warum die politische Linke während der Corona-Krise versagt hat.

December 15, 2022 idiocracy doomscrolld covid corona intelligenz youtube comedy politik diskurs deutsch video

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This is what it looks like when we’re joyful: Fern Brady bei Taskmaster ist die autistische Repräsentation, die wir verdienen

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Nach einer Sitzung meines ersten Improv-Kurses Anfang des Jahres nahm mein Coach mich beiseite. Wir hatten im Kurs über Lampenfieber geredet, und ich hatte erwähnt, dass ich, als Autist, alltägliche Interaktionen herausfordernder finde als vor Publikum zu performen. Nach der Sitzung sagte er mir, dass die autistische Tendenz, »the quiet part out loud« zu sagen, eine wertvolle Qualität in Improv sei: ein effektiver Weg, Szenen zu einem befriedigenden Ende zu führen, und etwas, das das Publikum liebe.

Ich musste die letzten zehn Wochen öfter an diesen Rat denken, nicht nur, wenn ich selbst performt habe, sondern auch, wenn ich neue Folgen der gerade beendeten, 14. Staffel von Taskmaster geschaut habe. Taskmaster, für diejenigen, die es nicht kennen,1 ist eine britische Panel-/Gameshow, in der eine Gruppe von Comedians in absurden, von Comedian Alex Horne erdachten Aufgaben gegeneinander antritt. »Conceal this pineapple on your person«, »Make this coconut look like a business man« — das ist die Art von Aufgabe, über die wir reden. Die Aufgaben werden vorab aufgezeichnet, und dann in Studio-Shows einem Publikum und »Taskmaster« Greg Davies vorgespielt, der das letzte Wort über die Wertungen hat. Der Cast bleibt jeweils für eine Staffel — dieselben 5 Comedians treten in 10 Studioshows an, und am Ende gewinnt der*die mit den meisten Punkten.

Staffel 14 war eine besondere für mich, weil mit der Schottin Fern Brady die erste offen autistische Kandidatin teilnahm. Vor der Staffel hatte ich nie von Brady gehört, aber als ich die Kandidat*innen der Staffel googelte und den Titel ihres aktuellen Programm las — »Autistic Bikini Queen« —, war das sofort Grund zur Vorfreude: Taskmaster-Aufgaben sind so designt, dass sie — wenn nicht in Punkten, dann in entertainment value — ungewöhnliche, out-of-the-box Denkansätze belohnen, und was ist Autismus wenn nicht eine ungewöhnliche, out-of-the-box Art zu denken?

Brady landete, gemeinsam mit dem ebenfalls extrem unterhaltsamen John Kearns, auf dem letzten Platz der Staffel. Aber sie war ein Publikumsliebling, und während es für den*die Durchschnittszuschauer*in vielleicht nicht erkennbar war — das Wort »autistisch« wurde nie gesagt —, war es für diejenigen, die wussten, worauf sie achten mussten, offensichtlich, dass Bradys autistische Perspektive beeinflusste, wie sie die Aufgaben anging, und wie sie ihre Performances im Studio gegenüber Davies verteidigte. Wie Brady kürzlich selbst in einem Instagram-Post schrieb:

It’s in the ridiculous way I solved my final task, in my openly stimming on camera while I concentrated on my next task, in my screaming at the birds to shut up because I hear all noises at the same volume, in my tendency to anthropomorphise every inanimate object on set.

Brady schreibt, sie habe im Vorfeld den Taskmaster-Subreddit gelesen und festgestellt, wie viele autistische Menschen die Show gucken, und daraufhin eine Entscheidung darüber getroffen, wie sie die Show angehen wollte:

I realised that by being my unmasked self while having fun I’d reach them way better than by doing some serious on-the-nose documentary about how shit my life had been when I was undiagnosed[.]

»Autistische Repräsentation« in Medien und Popkultur ist meistens noch immer vor allem Repräsentation von autistischem Leid. Versuche »positiver« Repräsentation autistischer Menschen fallen oft in das alte Erzählmuster von Charakteren, die ihren Autismus überwinden, die trotz ihres Autismus »funktionieren«. Egal ob in Fiction oder Non-Fiction, das Narrativ, dass ein »erfolgreiches« Leben für autistische Menschen bedeute, möglichst wenig als autistisch aufzufallen, ist überall. Selbst in den wenigen Repräsentationen, die einer autistischen Perspektive Wert zusprechen — sagen wir, Abed in Community —, liegt dieser Wert oft darin, unangenehmes auszusprechen, zu sagen, was gesagt werden muss, auch, wenn das für die Zuhörenden schmerzhaft ist. Und das ist ja schön und gut, aber was wir zu selten sehen, ist dass ein autistischer Blick auf die Welt eine Quelle von Freude sein kann, für autistische Menschen selbst und diejenigen, mit denen wir unsere Perspektive teilen.

Das ist, was Bradys Taskmaster-Teilnahme so besonders macht. Ihre Herangehensweise wird in Taskmaster selbstverständlich belohnt, sie hat erkennbare Freude an der Show und verbreitet Freude mit ihrer erkennbar autistischen Perspektive und Verhalten. Ihr Enthusiasmus für die Show und die Aufgaben war von ihrem ersten Interview mit Alex Horne spürbar, und sie bringt Horne regelmäßig dazu, seine Deadpan-Persona zu brechen, einfach indem sie, zum Beispiel, Alltagsgegenstände beschreibt, oder ihre eigenartige aber durchaus schlüssige Logik beim Lösen einer Aufgabe erklärt, oder, ja, »the quiet part out loud« sagt, wie wenn sie, als Davies eine von ihr mitgebrachte asiatische Suppe probiert, herausplatzt mit »You seem like you just eat roasts«. Brady produziert solche zitierbaren Sätze ohne erkennbare Mühe und sagt sie, als wären sie selbstverständlich, weil sie das wohl auch sind, für sie: Es sind die Sorte Gedanken, die ein autistischer Blick auf die Welt hervorbringt, aber die die meisten von uns lernen, nicht auszusprechen. Brady schreibt in ihrem Instagram-Post auch:

I knew a big part of doing well on Taskmaster was being yourself but if you’re autistic you’re so frequently punished for being yourself that it was a scary move.

Autistische Menschen haben den Ruf, »humorlos« zu sein, und meist wird das unserer Tendenz zugeschrieben, Dinge buchstäblich zu nehmen und daher rhetorische Feinheiten wie Ironie und Sarkasmus misszuverstehen oder zu überhören. Und wie viele Klischees hat das durchaus einen wahren Kern, aber ich glaube, ein anderer Grund für unsere scheinbare Humorlosigkeit ist, dass nicht wenige von uns Lachen und Witzigkeit mit Traumata assoziieren. Im Alltag, vor allem in der Kindheit und Jugend, lachen Menschen uns eher aus und machen Witze über uns, als dass sie unsere eigenen Beobachtungen und Gedanken witzig finden. Was wir für eine interessante Beobachtung oder einfach eine offensichtliche Wahrheit halten, wird dagegen als »unangemessen« abgestraft.

Improv-Comedy zu lernen und zu performen hat sich über dieses Jahr zu einem zentralen Teil meines Lebens entwickelt, und es ist ehrlich desorientierend — auf eine gute Art, größtenteils —, wie sehr ich so neu kalibrieren musste, was erwünscht ist und was nicht. Das, was Zuschauende am witzigsten finden, wofür ich am meisten Lob bekomme, ist meist etwas, was für mich einfach wie die offensichtlichste, selbstverständlichste Reaktion schien — es sind nicht Sätze, die ich mir mühsam aktiv überlege, sondern die naheliegendsten Gedanken, einfach meine erste, authentische Reaktion, die ich mich, ausnahmsweise, tatsächlich aussprechen lasse. Das ist viel schwieriger als es klingt: Ich habe über beinahe drei Jahrzehnte gelernt, diese instinktiven Reaktionen zu unterdrücken oder zu verstecken. »The quiet part out loud« zu sagen ist in alltäglicher Kommunikation mit neurotypischen Menschen selten erwünscht. Mich in einer Umgebung zu bewegen, in der genau diese Instinkte, die ich als »falsch« verinnerlicht habe, belohnt werden, in der sie Grund zur Freude sind, zwingt mich, grundsätzliche Annahmen über mich selbst zu hinterfragen. Es kostet Überwindung, das zuzulassen, und ich bin weit davon entfernt, das auf der Bühne verlässlich zu schaffen.

Brady in Taskmaster zuzuschauen hat mir einen Horizont gezeigt, auf den ich hinarbeiten kann. Ich will mir, wenn nicht im Alltag, dann wenigstens auf der Bühne, erlauben, so verlässlich authentisch und ungefiltert zu reagieren, wie Brady es in der Show getan hat. Ich will auch die Schwächen, die mit meinem Autismus kommen, etwa die eher unterdurchschnittliche Körperkoordination, so enthusiastisch annehmen wie Brady etwa in der Aufgabe, in der sie eine Synchron-Choreographie mit einer Aufnahme von sich selbst aufführen muss und dabei absolut glorreich versagt. Kurz: Ich will so sehr ich selbst sein wie Brady, so furchteinflößend das ist.


  1. There are dozens of you!↩︎

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Sayaka Muratas »Zeremonie des Lebens« aus autistischer Perspektive

In der Titelgeschichte von Sayaka Muratas Kurzgeschichtenband »Zeremonie des Lebens«1 erinnert sich die Erzählerin Maho an eine Episode aus ihrer Kindheit. Im Schulbus »ging es um Dinge, mit denen wir uns gegenseitig füttern wollten«. Von »Wolken« über »Zuckerwatte« landen die Kinder schließlich bei Tieren und überbieten einander mit immer größeren und/oder exotischeren Tieren: ein Elefant, eine Giraffe, schließlich ein Affe. Das inspiriert die Hauptfigur zu ihrem eigenen Beitrag:

Als ich an der Reihe war, rief ich, ohne viel zu überlegen, »Mensch!«, womit ich witzig an den »Affen« anknüpfen wollte. Doch mein Vorschlag löste einen regelrechten Tumult im Bus aus.

»Krank« finden die anderen Kinder ihren Beitrag. Ihre beste Freundin bricht in Tränen aus. Ihre Lehrerin weist sie zurecht und droht: »Das wird ein Nachspiel haben«.

Maho versteht nicht, was sie falsch gemacht, »wieso Affe okay war, Mensch aber nicht«.

Wahrscheinlich hat jeder autistische Mensch eine Erfahrung dieser Art gemacht: Man erkennt irgendein Muster in der ansonsten oft undurchsichtigen Kommunikation der neurotypischen Menschen um einen herum, und tut sein bestes, diesem Muster zu folgen, geht dabei aber einen Schritt zu weit, überschreitet eine Grenze, die nie explizit gemacht wurde, aber über die sich irgendwie alle einig sind.

Murata beschreibt die Atmosphäre im Bus mit dramatischen Worten:

Der ganze Bus fiel mit derartiger Empörung über mich her, dass ich kein Wort herausbrachte und nur zu Boden stieren konnte.

Gemessen daran, wie solche Szenen in der Realität ablaufen, aus einer hypothetischen »objektiven« Perspektive betrachtet, ist das sicher eine überzeichnete Beschreibung. Das Gefühl, was ein solches Erlebnis auslösen kann, trifft Murata aber ziemlich gut.

In der englischen Übersetzung von Ginny Tapley Takemori gefällt mir die Beschreibung noch ein Bisschen besser:

All the humans on the bus, filled with righteousness, were reviling me.2

»All the humans on the bus«, als würde Maho selbst nicht dazu gehören. Als neurodivergenter Mensch in neurotypisch dominierter Umgebung zu interagieren, kann sich anfühlen wie eine ständige Prüfung der eigenen Menschlichkeit.

Aus dem Moment, in dem man an dieser Prüfung scheitert, »einen Schritt zu weit« geht, macht Murata eine Ästhetik, eine Weltanschauung. Sie entwirft ganze Welten basierend auf solchen unfreiwilligen Grenzüberschreitungen und unaussprechbaren Gedanken, und zeigt dabei auf, wie beliebig die Grenzen zwischen akzeptabel und inakzeptabel, sagbar und unsagbar eigentlich sind. Viele ihrer Protagonist*innen sind autistisch oder anderweitig neurodivergent gecodet3 und viele ihrer Geschichten — ob so intendiert oder nicht — lesen sich wie Verarbeitungen konkreter Elemente autistischer Wahrnehmung und Lebenserfahrung. Ich will mir hier nicht anmaßen, irgendjemanden zu diagnostizieren, und andere Perspektiven und Lesarten, etwa queere, feministische und kapitalismuskritische, sind ebenso valide; aber ich glaube, Analyse aus neurodivergenter Perspektive kann ein wichtiger Baustein sein, Muratas Arbeit zu verstehen.

»Zeremonie des Lebens« (die Kurzgeschichte) spielt in einer Welt, in der die Hinterbliebenen bei Trauerfeiern den Körper des Verstorbenen verspeisen und danach Sex miteinander haben in der Hoffnung, so neues Leben zu zeugen, die titelgebende Zeremonie. Maho scheint sich als einzige zu erinnern, dass das nicht immer die Normalität war, dass Menschenfleisch zu essen einst ein Tabu war — ironischerweise eben, weil sie damals einmal dafür bestraft wurde, als einzige das Tabu gebrochen zu haben. Wer sowieso intuitiv meist innerhalb der gerade akzeptieren Normen interagiert, dem fallen sie vielleicht gar nicht auf — erst, wer wie Maho dagegen verstößt, spürt, wie sehr sie unsere Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten begrenzen.

»Ein herrliches Material« funktioniert nach ähnlichem Schema wie »Zeremonie des Lebens«: Eine nach geltenden Normen und Maßstäben grotesk anmutende Praxis ist in der Handlung der Geschichte Normalität. Diesmal ist es die Weiterverarbeitung der Körper Verstorbener als Material für Möbel, Schmuck und Kleidung. Lediglich Naoki, der Verlobte von Erzählerin Nana, findet die Praxis »grausam« und verbietet ihr, Kleidung aus Menschenhaar zu tragen, was ihre Freundinnen wiederum befremdlich finden. Diese Umkehrung von »normal« und »abnormal« ist ein, zugegeben, wenig subtiler Kniff, und Murata hat einen Hang dazu, ihre Figuren in Thesen sprechen zu lassen. So wundert sich Nana:

Ich kann nicht begreifen, was er mit dem Wort »grausam« meint. Naoki sagt, es sei grausam, Menschen als Material zu verwenden, aber ich finde es viel grausamer, stattdessen sämtliche Toten zu verbrennen. Wir verwenden dasselbe Wort, um die Werte des anderen herabzusetzen.

Und viel deutlicher könnte Murata eine ihrer zentralen Ideen — die, dass Normen, Traditionen und Werte menschengemacht und veränderlich sind — nicht ausbuchstabieren. Aber Murata kann sich solche plakativen Passagen erlauben, weil sie an anderer Stelle mehr zeigt als erzählt, weil sie uns nicht nur erklärt, sondern auch fühlen lässt, wie solch radikal andere Werte als unsere entstehen und aufrechterhalten werden könnten. Stellenweise wird die Praxis, menschliche Überreste weiterzuverwerten, mit kühler Logik erklärt (vielleicht die Sorte berechnender, emotionsloser Logik, die autistischen Menschen oft unterstellt wird?) — wäre es nicht Verschwendung, die Verstorbenen einfach wegzuwerfen? Doch im Laufe der Geschichte erhält die Praxis auch eine überraschende emotionale Dimension: Am Ende präsentiert die zukünftige Schwiegermutter Nana einen Hochzeitsschleier, der aus der Haut von Naokis verstorbenem Vater genäht wurde, und Naoki, entgegen seiner Überzeugung, ist überwältigt von seiner Schönheit. Es ist ein verstörender, grotesker Moment — aber, irgendwie, spätestens, wenn Naoki eine Narbe seines Vaters im Schleier wiedererkennt, auch ein berührender. Die Geschichte endet auf einer Note von angemessener Ambiguität: Naoki weiß selbst nicht mehr so richtig, wie er über die Praxis denken soll, Nana scheint einzusehen, dass sie nie ganz verstehen wird, wie ihr Verlobter denkt und fühlt. Dennoch endet Murata auf einer versöhnlichen Note:

Es war Naoki, noch kein Gebrauchsgegenstand, der meine Hand hielt. Wir teilten unsere Körperwärme für die kurze Zeit, in der wir nicht nur Material, sondern Lebewesen sein durften. Dieses Gefühl, am Leben zu sein, war ein kostbarer Moment der Illusion, und ich drückte Naokis schlanke Finger noch fester.

Es ist ein zärtliches, etwas kitschiges Ende, und angesichts des vorangegangenen hat es auch eine gewisse Absurdität, etwas Verstörendes auch, und irgendwie ist das genau der richtige Ton für das Ende einer Geschichte, die letztlich illustriert, wie schwierig es ist, aber auch wie wertvoll es sein kann, sich mit Menschen zu arrangieren, die die Welt anders wahrnehmen als man selbst.

Das Ende von »Ausgebrütet« ist ein verzerrtes Spiegelbild hiervon. Die Geschichte erzählt von Haruka, die laut eigener Aussage »keine Persönlichkeit« hat. Je nachdem, in welchem Umfeld sie bewegt, nimmt sie unterschiedliche Charakterzüge an — etwas das, wie die Geschichte anerkennt, wir alle zu einem gewissen Grad tun, hier aber ins Extrem getrieben wird: Haruki wird buchstäblich zu einem anderen Menschen, je nachdem, in welchem Umfeld und in wessen Gesellschaft sie ist. Die meisten Menschen in ihrem Leben kennen nur jeweils eine ihrer Persönlichkeiten: Die alten Schulfreund*innen kennen sie als Musterschülerin und nennen sie »die Vorsitzende«, die Kommiliton*innen an der Uni als die einfältige »Dummi«, und die Freund*innen aus dem Filmclub als die schöne, zerbrechliche »Prinzessin«. Ihr Verlobter Masashi hat sie als »Dummi« kennengelernt, doch Haruka befürchtet, dass er auf der Hochzeit, wo alle Freund*innen zusammenkommen, die Wahrheit erfahren wird.

Auch diese Geschichte endet damit, dass die Hauptfiguren sich erneut zu einem Leben miteinander bekennen, und mit dem Bewusstsein — seitens der*des Leser*in und der Erzählerin —, dass die beiden einander wohl nie ganz verstehen werden. Aber diesmal ist da ein Element von Selbsttäuschung seitens Masashis: Haruka offenbart ihm am Ende der Geschichte die Wahrheit über ihre verschiedenen Persönlichkeiten, und bietet ihm an, zu entscheiden, auf welche Persönlichkeit sie sich permanent festlegen soll. Doch Masashi akzeptiert die Wahrheit nicht — er glaubt noch immer, dass es eine »echte« Haruka gibt, die sie ihm vorenthält, und dass die Offenbarung der fünf verschiedenen Persönlichkeiten so nur eine neue Art der Täuschung ist. Erst, als Haruka ihm eine solche »echte« Persönlichkeit anbietet, gibt er sich zufrieden.

Doch die »echte« Haruka ist in Wahrheit genau das Gegenteil: eine bewusst von Aki konstruierte Persönlichkeit, die Haruka im Falle eines solchen Konflikts annehmen sollte. Masashi ist eher bereit, diese falsche Persönlichkeit — und die simple Küchenpsychologie dahinter — zu akzeptieren als Haruka in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit zu sehen.

»Ausgebrütet« funktioniert einfach als universelle Geschichte über die Schwierigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuleben und dabei seine Individualität zu behalten. Sie lässt sich aber auch als eine Art Horrorstory über autistisches Masking lesen. Unter diesem Aspekt haben einige Momente der Geschichte zusätzliche Resonanz: Wenn Haruka erst in ihren frühen 20ern bemerkt, dass sie »keine Persönlichkeit« habe, erinnert das an die Krise, die es auslösen kann, wenn man als vor allem spät diagnostizierter autistischer Mensch zum ersten Mal versucht aufzudröseln, wo die über Jahre antrainierte »maskierte« Persönlichkeit aufhört und das »wahre Ich« anfängt.

Und als Aki Haruka ihre neue, konstruierte »Notfallpersönlichkeit« präsentiert, erklärt sie, bewusst eine »unangenehme« Persönlichkeit kreiert zu haben. Denn:

Das Hässliche ist immer eindrücklicher als das Schöne. Die Leute machen viel Aufheben davon und schwärmen, wie »ehrlich und authentisch« es sei. Und sie machen sich eigene Vorstellungen, erfinden eine klischeehafte Geschichte, fühlen sich bestätigt und dementsprechend so richtig wohl.

Auch das — und Masashis Bereitschaft, diese Persönlichkeit mitsamt ihren angeblichen niederen Intentionen, zu akzeptieren — erinnert an eine Erfahrung, die viele autistische Menschen machen müssen: Dass neurotypische Kommunikation mehr »zwischen den Zeilen« stattfindet als autistische, kann für autistische Menschen nicht nur deshalb herausfordernd sein, weil das Lesen »zwischen den Zeilen« weniger in unserer Natur liegt, und wir deshalb nicht immer verstehen, was sie uns, neben der offensichtlichen, buchstäblichen Bedeutung ihrer Worte, eigentlich noch sagen wollen; sondern auch, weil neurotypische Menschen — wohl weil sie es so gewohnt sind, dass ein Großteil der Bedeutung im Subtext und nicht in den Worten selbst steckt — manchmal eine Bedeutung, eine Agenda gar hinter den Worten autistischer Menschen auszumachen meinen, die wir gar nicht intendiert haben. Dass gleichzeitig Haruka selbst nicht erkennt, dass hinter Akis Konstruktion ihrer neuen Persönlichkeit — Aki dichtet der »wahren« Haruka unter anderem Neid auf sie, Aki, an — auch ein gewisses Eigeninteresse steckt, gibt dem ganzen noch eine gewisse bittere Ironie.

In weiteren Geschichten in »Zeremonie des Lebens« behandelt Murata unter anderem Essensaversionen und hyperspezifische Diäten (»Mein wunderbarer Esstisch«, »Die essbare Stadt«) und die Entfremdung vom eigenen Körper (»Puzzle«); sie erzählt von Menschen, die sich nicht als solche identifizieren (»Fiffi«), und von Figuren, die eigentlich für Menschen vorbehaltene Emotionen Objekten gegenüber fühlen (»Liebende im Wind«); nicht zuletzt tauchen immer wieder alternative Beziehungsmodelle auf. All das sind Themen, die universell sind, aber im Leben vieler autistischer Menschen besonders zentrale Rollen einnehmen, oder denen die Betrachtung aus autistischer Perspektive eine zusätzliche Dimension gibt. Tonal bespielt Murata dabei die ganze Bandbreite zwischen dem eher geerdeten, unscheinbaren »Die Ladenhüterin« und dem brachialeren, jedes denkbare Tabu brechenden Nachfolger »Das Seidenraupenzimmer«. »Zeremonie des Lebens« ist mal zärtlich, mal komisch, verstörend, und funktioniert gerade deshalb als Fortsetzung zu dem, was Murata in »Die Ladenhüterin« begonnen hatte, fügt es ihrem Porträt autistischen Lebens doch weitere Facetten und Tonarten hinzu.


Danke fürs Lesen! Vielleicht gefällt dir ja auch mein Text über Kazuo Ishiguros Klara & die Sonne autistischer Perspektive bei 54 Books.

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  1. Die deutsche Übersetzung von Ursula Gräfe ist im Aufbau Verlag erschienen. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.↩︎

  2. Ich kann nicht beurteilen, welche Übersetzung akkurater ist.↩︎

  3. Schon »Die Latenhüterin«, Muratas Durchbruch im Westen, war eines der glaubhaftesten, empathischsten literarischen Porträts einer autistischen Figur, die ich kenne.↩︎

November 15, 2022 review kritik essay literatur buch sayaka murata rezension autismus neurodiversität neurodivergenz deutsch text

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Don’t Worry Darling: Keine Katastrophe, aber auch nicht der Film, der er hätte sein können

Spoiler für Don’t Worry Darling.

Ich wünschte, Don’t Worry Darling wäre ein interessanterer Film.

Ich fand das Drama im Vorfeld in weiten Teilen ziemlich lächerlich: Dass es Spannungen und wahrscheinlich auch unprofessionelles Verhalten von Regisseurin Olivia Wilde am Set gab, daran zweifle ich gar nicht; aber das obsessive Analysieren von allem, was die Beteiligten zum Film sagen — oder, in Florence Pughs Fall, nicht sagen —, das Stilisieren von völlig egalem Premierenfootage zu einer Art Zapruder-Film, der beweisen soll, dass Harry Styles Chris Pine angespuckt habe1, das war alles einigermaßen drüber. Terri White hat einen Punkt, wenn sie schreibt, dass männliche Regisseure, selbst die, von denen wir wissen, dass sie nicht nur unprofessionell, sondern aktiv missbräuchlich am Set sein können, selten Gegenstand einer solchen kollektiven Obsession werden.

Es wäre daher schön, könnte ich schreiben, dass der Film selbst all das Drama und die Gerüchte vergessen macht, dass er für sich stehen kann. Leider ist Don’t Worry Darling die schlimmstmögliche Art von Film nach so einem Vorlauf: Er ist weder richtig gut, noch auf interessante Weise schlecht. Er ist einfach ziemlich egal, die Sorte Film, die man anschaut, milde unterhalten bis gelangweilt ist, um dann, am Ende, wenn »alle Puzzleteile zusammenkommen«, im wesentlichen sowas zu denken wie »Ah. Okay.« und dann nie wieder über den Film nachzudenken.

Es geht um Alice (Florence Pugh). Alice heißt so, weil sie oft in Glasscheiben und Spiegel guckt und in einer Welt lebt, in der der Schein trügt, und weil Matrix auch mit Alice-in-Wonderland-Referenzen gearbeitet hatte. Sie lebt mit ihrem Mann Jack (Harry Styles) in Victory, einer idyllischen 50er-Jahre-Kleinstadt irgendwo in der Wüste. Victory und seine Gemeinde wurden von Frank (Chris Pine) aufgebaut, der auch der mysteriöse CEO des »Victory Projects« ist, für das alle Männer in der Stadt arbeiten. Was genau sie da machen, darüber dürfen sie nicht reden, irgendwas mit »progressive materials«. Alice genießt zunächst die Idylle, das geordnete, routinierte Leben, und nicht zuletzt ihre leidenschaftliche Beziehung mit ihrem Mann, aber bald fängt sie an Fragen zu stellen und versucht dem Geheimnis von Victory auf die Spur zu kommen.

Wer etwa 5 Minuten des Films gesehen und ein Bisschen Wissen über das Subgenre hat, das Wilde hier bedient — oder, ganz ehrlich, wer den Trailer gesehen oder ein einziges Interview mit Wilde zum Film gelesen hat —, wird schnell ungefähr durchschauen, was hier los ist, auch, wenn es dann zwei, drei verschiedene Arten gibt, wie Wilde das auf der Plot-Ebene auflösen könnte (von denen sie die dümmste wählt). Wilde hält sich dennoch bedeckt für den Großteil der Laufzeit des Films, was eine gewisse Überschätzung von sich selbst und der Cleverness ihres Films nahelegt. Den Film aus dieser Motivation heraus zu gucken — als eine Mystery-Box, auf diesen »Aha-Moment« wartend, in dem sich alle Puzzle-Teile, die Wilde und Drehbuchautorin Katie Silberman vor uns ausgebreitet haben, zusammenfügen —, kann jedenfalls eigentlich nur zu Enttäuschung führen: Größtenteils bedient sich Wilde in der Konstruktion ihrer Mystery-Box einfach bei klassischen, besseren Filmen — Stepford Wives, The Matrix —, und anstatt überrascht zu sein oder die Cleverness der Konstruktion zu bewundern rollt man eher mit den Augen und erinnert sich daran, das alles anderswo schon besser gesehen zu haben. Die wenigen eigenen Impulse, die Wilde dem hinzufügt, beschränken sich weitestgehend auf Details der Sorte »wäre es nicht cool, wenn?« — einigermaßen beliebige Visuals und Motive, die irgendwie mysteriös und einprägsam wirken, aber die entweder gar nichts mit Wildes Mystery und ihrer Auflösung wenn man mehr als ein paar Sekunden darüber nachdenkt.

Das wäre in der Theorie gar nicht so schlimm, denn Wilde hat höhere Ziele als eine clever konstruierte Mystery: Don’t Worry Darling soll eine…Dekonstruktion? Satire? Von Incel-Ideologie und Kultur sein. Und würde das funktionieren — hätte Wilde irgendwas interessantes zu diesem Thema zu sagen — und stünde die Plot-Konstruktion irgendwie in diesem Dienste, könnte man die fehlende innere Logik und das Recyclen von Tropes und Motiven aus klassischen Filmen ja ganz gut verzeihen. Leider bleibt die Beschäftigung des Films mit dem Thema oberflächlich, und die Mystery-Box-Struktur ist dafür mitverantwortlich.

Wie gesagt: Man kriegt die Grundzüge des Geheimnisses von Victory einigermaßen früh mit: Offensichtlich handelt es sich um eine irgendwie konstruierte Welt, die die Flucht in eine Vergangenheit verspricht, in der die Welt (angeblich) noch simpler, die Hierarchien klarer waren, in der vor allem Frauen noch wussten, ~wo ihr Platz ist~. Auch lassen Wilde und Silberman Frank eine Sprache sprechen, die an die von Tech-Bros erinnert — halb Business-Pitch, halb Predigt — und, zu einem kleineren Grade, an die von rechten Influencern wie den im Marketing des Films oft von Wilde erwähnten Jordan Peterson.

Man kann also nicht behaupten, als wäre Wildes finaler »Twist« unvorbereitet: Victory ist eine virtuelle Realität, erschaffen von Frank, im realen Leben eben halb Tech-CEO, halb Incel-Guru; Männer wie Jack halten Frauen wie Alice gegen ihren Willen gefangen, ihre Erinnerungen werden unterdrückt, damit sie brav ihre Rollen im Incel-Paradies Victory spielen. Auf dem Papier passt das schon zu dem, was vorher kam, und überrascht höchstens in Details. Trotzdem funktioniert es nicht, trotzdem wirkt es wie aufgesetzt auf eine Geschichte, zu der es nicht ganz passen will.

Das liegt daran, dass es genau das ist, zumindest auf der thematischen Ebene. Der Blick in das Original-Drehbuch von Carey und Shane Van Dyke2, das 2019 auf der »Black List« der angeblich besten unproduzierten Drehbücher stand, ist hier instruktiv.

Vor Silbermans Rewrite war das Drehbuch fundamental anders strukturiert: Was in Wildes fertigem Film der finale Twist ist — die Offenbarung, dass Victory eine virtuelle Realität ist —, erfahren wir (und Alice) bei den Van-Dyke-Brüdern auf Seite 19.3 Vielleicht war das eine Studio-Note, vielleicht war es Wildes oder Silbermans Entscheidung, auf jeden Fall folgt diese Änderung dem aktuellen, ermüdenden Trend, jede erdenkliche Geschichte in eine Mystery-Box-Struktur zu zwängen, und wie so oft leidet das Endergebnis darunter: Es hat eine andere Wirkung, eine solche Offenbarung im ersten Akt oder ganz zum Schluss, als finalen »Twist« zu platzieren. In ersterem Fall ist es ein Teil des Setups, und die Frage des Publikums ist eher, was daraus gemacht wird; in letzterem soll es der finale Payoff sein, eine befriedigende Auflösung der Mystery — und das funktioniert einfach nicht, wenn die Details, wie hier, so undurchdacht sind. Daneben leidet auch unsere Beziehung zu Alice/Evelyn unter dieser Umstrukturierung: Was uns im Skript zum Weiterlesen bewegt, ist die Frage, wie diese Figur aus ihrer Gefangenschaft herauskommt — das kreiert eine viel stärkere Bindung zu ihr als das, was uns der Film bietet, wo es vor allem um die Frage gehen soll, was es mit Victory und dem »Projekt« auf sich hat, an dem die Männer der Stadt arbeiten.

Und während es im Drehbuch natürlich auch irgendwie um Patriarchat und Unterdrückung geht, ist die explizite Bezugnahme auf Incels Wildes und/oder Silbermans Idee. Es ist nicht so, dass das thematisch überhaupt nicht zum Material passen würde, aber auch das würde besser funktionieren, würde Wilde es früher explizit machen. Mit dem finalen Twist zeigt Wilde uns auch, in einer kurzen Sequenz, wie Jacks und Alice’ Leben in der realen Welt, vor Victory, aussah: Wir sehen eine kurze Szene, in der Alice, die in ihrem früheren Leben Ärztin war, von der Arbeit heimkommt. Jack beginnt einen Streit mit ihr, weil sie zu viel Zeit bei der Arbeit verbringe. Alice geht ins Bett, also wendet sich Jack seinem Computer zu, auf dem er einen Podcast oder ein YouTube-Video oder so von Frank hört, der in der Realität offenbar eine Art rechter Influencer ist. Harry Styles ist dabei halbherzig »hässlicher« gemacht, mit längeren Haaren, einer Brille und Dreitagebart. Ich find’s ziemlich sexy, aber die Idee ist glaube ich, eine gewisse Ungepflegtheit zu suggerieren.

Das basiert alles irgendwie auf Material aus dem Drehbuch, aber in dieser Kürze und Verdichtung, und positioniert als der finale Twist, der alles erklären und auflösen soll, ist es lächerlich oberflächlich. Es gibt uns keinen echten Einblick in Jacks Psyche, was essenziell wäre für eine substanzielle Kritik an Incel-Ideologie. Wildes Kritik beläuft sich, in dieser Form, im wesentlichen auf, »Incels sind ungepflegt und verbringen zu viel Zeit im Internet«, was ich doch einigermaßen dünn finde. Ja, die Sequenz lässt sogar die bösartige Lesart zu, dass Jack so viel Zeit im Internet verbringt, weil Alice zu viel arbeitet, was sicher nicht Wildes Intention ist.

Das Drehbuch enthält, wie gesagt, zwar keine offensichtlichen Bezüge zu Incel-Kultur, aber wir bekommen dennoch einen tieferen Einblick in Alice’ und Jacks Beziehung, und verstehen beide auch besser als Figuren. Die wohl schlechteste Entscheidung in Silbermans Adaption des Drehbuchs hat, vermute ich mal, erneut mit dem Ziel zu tun, möglichst viel »Mystery« zu erzeugen: Während Alice und Jack im Film zunächst eine scheinbar harmonische Beziehung führen, ist ihre Beziehung im Drehbuch von Seite 1 an ambivalenter. Sie wirken weniger wie ein junges Paar, das nicht voneinander lassen kann, als wie eines, das schon einiges hinter sich hat und in Victory einen Neuanfang starten will/soll (der natürlich, von Alice’ Seite aus, nicht so gewollt ist). Das heißt, dass von Anfang an Risse sichtbar sind, und was wir dadurch sehen können, ist erhellend: Alice und vor allem Jack sagen früh Dinge, die ihre wahre Persönlichkeit offenbaren, und im Laufe des Skripts erhalten wir ein vollständigeres Bild davon, wie Jack »tickt«, welche hässliche Ideologie er verinnerlicht hat.

Und noch etwas funktioniert so besser: Während Alice im Film zuerst an ihrer Realität zweifelt, und dann, dadurch ausgelöst, an ihrer Beziehung, ist der Verlauf im Skript umgekehrt. Für eine Geschichte über das Patriarchat und die Ideologien und Systeme, die es am Leben haltet, scheint mir das eine logischere, effektivere Progression: Alice vermutet die Probleme zunächst in ihrer Beziehung, erkennt dann aber, dass ihre persönlichen Konflikte mit Jack nur ein Ausdruck von größeren, systemischen Problemen sind.

Das ist alles, zugegeben, nitpicky. Don’t Worry Darling ist keine Katastrophe, und er hat, bei all diesen Schwächen im Skript, auch seine Stärken: Olivia Wilde ist zweifelsohne eine talentierte Regisseurin, sie findet durchaus einige einprägsame Bilder und die etwas nervöse, beunruhigende Kameraarbeit kontrastiert effektiv mit der scheinbaren Idylle Victorys. Florence Pugh, wie immer, ist fantastisch. Man kann sich das schon irgendwie angucken.

Aber ich finde diese Art von mittelmäßigem-bis-schlechtem Film irgendwie besonders ärgerlich: Ein solides Drehbuch wird gekauft und zu einem mittelmäßigen Film adaptiert, anscheinend nichtmal, weil irgendwelche Executives sich einmischen, sondern weil der*die Regisseurin unbedingt ihren eigenen »Take« mitbringen musste, und dabei die Stärken, die das Material bereits hat, übersehen hat. A Quiet Place war zuletzt ein ähnlicher, noch ärgerlicherer Fall: Hier wurde ein ziemlich großartiges, unkonventionelles Drehbuch durch den Fleischwolf von John Krasinskis Eitelkeit gedreht, sodass ein Film herauskam, der trotz seines cleveren und durchaus Effektiv eingesetzten Gimmicks letztlich konventionelle Hollywood-Fließbandware war. Aus einer recht düsteren Geschichte über eine ziemlich abgefuckte Familie, die sich irgendwie zusammenrotten muss, mit einem Ende, das — durchaus gewagt — suggeriert, dass es manchmal besser für eine Familie sein kann, wenn ein toxisches Mitglied aus der Gleichung entfernt wird, wurde eine Geschichte darüber, dass John Krasinski der beste Vater der Welt ist.

Don’t Worry Darling ist ein weniger arger Fall: Hier ist weder das Ausgangsmaterial so stark, noch der Film so weit weg, von dem, was die ursprünglichen Autoren vorhatten. Hier bleibt uns kein potenziell brillanter Film vorenthalten, es ist »nur« so, dass die fertige Version ein Stück schlechter »funktioniert«, merklich weniger effektiv darin ist, die Geschichte zu erzählen und die Ideen zu dramatisieren. Es ist keine Tragödie, wie bei A Quiet Place, und ich hoffe, dass Wilde nicht unfair »bestraft« wird (wie man nach dem Drama im Vorfeld leider erwarten muss).4 Aber es bleibt ärgerlich, dass Wildes Film eben nicht so gut ist, wie er hätte sein können, hätte sie ihrem Ausgangsmaterial mehr vertraut.


Danke fürs Lesen! Vielleicht gefällt dir ja auch mein Review zu Jordan Peeles Nope.

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  1. Sehr glaubhaft, dass jemand mit so streng durchkuratiertem Image wie Harry Styles sowas machen würde.↩︎

  2. Die Enkel von Dick van Dyke.↩︎

  3. Alice und Jack heißen im Drehbuch »Evelyn« und »Clifford«, ich werde hier der Einfachheit halber aber bei den Filmnamen bleiben.↩︎

  4. Ich hoffe dagegen inständig, dass John Krasinski lebenslanges Berufsverbot bekommt, aber das ist eine andere Sache.↩︎

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Eckart von Hirschhausens ARD-Doku steht emblematisch für unseren vergifteten Diskurs zu Long Covid

In einer Szene der ARD-Doku Hirschhausen und Long Covid: Die Pandemie der Unbehandelten interviewen Eckart von Hirschhausen und Anna Brock, Ärztin und Long-Covid-Patientin, den Neurologen Christoph Kleinschnitz. Kleinschnitz hat eine (noch nicht peer-reviewte) Studie zu Long Covid veröffentlicht, in der er zu dem Ergebnis kam, dass bei den meisten LC-Patient*innen keine organischen Ursachen für ihr Leid zu finden sind.

Sagte ich »interviewen«? Ich meinte konfrontieren: Auch, wenn Hirschhausens Voice-Over die Begegnung als neutrales »Gespräch« ankündigt, führen er und Brock sie eher wie eine Art Verhör. Bevor sie an Kleinschnitz’ Tür klopfen, raunt Hirschhausen Brock noch ein »Toi, toi, toi!« zu, als ginge es hier um eine Art Wettkampf. Hirschhausens Eröffnungsfrage lautet: »Halten Sie Frau Brock für eine Spinnerin?« Kleinschnitz darf kaum einen Satz zu Ende sprechen, bevor er von Hirschhausen und Brock oder dem Schnitt der Doku unterbrochen wird. Was beim Zuschauer ankommt ist: Kleinschnitz ist ein »Villain«, jemand, der LC-Patient*innen Böses will, jemand, dessen Thesen nicht ernstgenommen und ergebnisoffen diskutiert, sondern bekämpft gehören.

Ich habe nicht genau mitgezählt, aber gefühlt sagen in der Doku Hirschhausen und seine Interview-Partner*innen ungefähr 54 mal, dass es mehr Forschung zu Long Covid braucht — selbst im demonstrativ niedergeschlagenen Nachgespräch zu der Begegnung mit Kleinschnitz wiederholt Brock diese Forderung. Hier ist also jemand, der zu Long Covid geforscht hat, der eine Studie dazu veröffentlicht hat — und Hirschhausen und Brock behandeln ihn so? Warum? Ist seine Studie vielleicht methodologisch mangelhaft? Gibt es andere, bessere Studien, die Kleinschnitz’ widerlegen? Wenn ja, dann findet das in der Doku und dem Gespräch mit Kleinschnitz, wie wir es präsentiert bekommen, keine Erwähnung. Stattdessen setzen die beiden Kleinschnitz ausschließlich Brocks persönliche Erfahrung und Gefühle entgegen. Und das reicht ihnen, um die Studie nicht nur abzulehnen, sondern ihren Autor als ja, den Feind zu inszenieren. Dass wissenschaftliche Methoden, unter anderem, dafür da sind, dass wir uns eben nicht auf anekdotische Beweise verlassen müssen, sollten Hirschhausen und Brock eigentlich wissen, aber wenn, dann lassen sie es sich nicht anmerken. Die Studie muss in ihren Augen nicht widerlegt oder analysiert werden — sie ist schlecht, weil ihnen das Ergebnis nicht gefällt.

Das ist schlicht wissenschaftsfeindlich. Und es ist leider emblematisch dafür, wie der Diskurs um Long Covid in den Medien1 abläuft.

Damit wir uns verstehen: Ich bin nicht der Meinung, dass das letzte Wort zu Long Covid gesprochen wäre, und dass es sich eindeutig um eine rein psychosomatische Erkrankung handeln würde. Es gibt einige Studien zu LC, die auf organische Ursachen hindeuten. Und es gibt eben auch einige, die dafür sprechen, dass bei vielen Patient*innen die Psyche die größte Rolle spielt. Man muss, will man wirklich den Stand der Forschung zu LC abbilden, beides erwähnen. Einen endgültigen Schluss kann man noch nicht ziehen, aber in meinen Augen spricht derzeit vieles dafür, dass es sich bei dem, was wir so unter »Long Covid« zusammenfassen, eigentlich um mehrere Phänomene handelt: Bestimmt gibt es Patient*innen, deren Leid organisch ausgelöst ist, vielleicht durch einen der drei Mechanismen, die Hirschhausen in seiner Doku vorstellt — Durchblutungsstörungen, Autoantikörper, Virusreste. Aber ich finde es naiv, so zu tun, als würde die Psyche gar keine Rolle spielen, wahrscheinlich, bei einigen anderen Patient*innen, die entscheidende. Dafür spricht der Forschungsstand, nicht zu vergessen der gesunde Menschenverstand: Wir haben schließlich auch alle 2 1/2 psychisch belastende Jahre hinter uns, und wenn danach vermehrt ein Krankheitsbild auftritt, dass eine Menge Symptome mit Depression, Burnout, Angststörungen und ähnlichem teilt, dann kann man natürlich, ohne handfeste Beweise, so tun, als wäre das kompletter Zufall, man kann aber auch ehrlich mit sich und anderen sein und akzeptieren, dass Psychologie und Psychiatrie bei der Bekämpfung von Long Covid mitzureden haben.

Stattdessen wollen uns Medizin-Influencer*innen wie Hirschhausen das Narrativ verkaufen, dass psychosoziale Ursachen ins Spiel zu bringen an sich eine Abwertung des Leides von LC-Patient*innen wäre. Das ist nicht nur unverantwortlich gegenüber LC-Patient*innen, die so beeinflusst werden, einen möglichen Ursachenbereich für ihr Leid auszuklammern und vielleicht nicht die Hilfe zu suchen, die sie brauchen; es ist auch respektlos gegenüber Patient*innen, die andere psychische Krankheiten haben: Wenn Hirschhausen Kleinschnitz fragt, ob er Brock für eine »Spinnerin« halte, möchte ich Hirschhausen fragen: Halten Sie mich für einen Spinner? Denn anscheinend gehört Hirschhausen ja zu denen, die glauben, »psychosomatisch« wäre gleichbedeutend mit »eingebildet«. Das ist Quatsch, die Symptome von psychosomatischen sind so echt wie die von allen anderen Krankheiten; aber die reflexhafte Entrüstung über jede Suggestion, dass psychosoziale Ursachen eine Rolle bei Long Covid spielen, verfestigt genau dieses Narrativ, dass psychische und psychosomatische Krankheiten an sich weniger »echt« wären als organische.

Was ich ja nachvollziehen kann, ist die Angst von Brock und anderen Patient*innen, dass Long Covid — gerade wegen dieses verbreiteten Narrativs — nicht ausreichend ernstgenommen werden könnte, und dass die Patient*innen, deren Leid organische Ursachen hat, daher nicht die Hilfe bekommen könnten, die sie brauchen. Aber die Lösung kann doch nicht sein, dieses Narrativ kritiklos anzunehmen und zu reproduzieren, und lediglich zu betonen, »Aber unsere Krankheit ist keine von diesen eingebildeten«.

Was stattdessen passieren muss, ist ein Schulterschluss von LC-Patient*innen und behandelnden Ärzt*innen nicht nur mit den Patient*innen anderer chronischer, untererforschter Krankheiten wie ME/CFS, sondern auch mit psychisch kranken Menschen und denen, die sie behandeln (deren Leid während der Pandemie übrigens noch mehr als das von LC-Patient*innen heruntergespielt und abgewertet wurde und wird). Anstatt einen Bereich möglicher Ursachen komplett auszublenden, aus Angst, nicht ernstgenommen zu werden, muss gegen genau dieses Narrativ gekämpft werden, dass Krankheiten mit solchen Ursachen nicht ernstzunehmen wären. LC-Patient*innen und ihre Ärzt*innen müssen anerkennen, dass nach derzeitigem Kenntnisstand psychosoziale Ursachen nicht pauschal ausgeschlossen werden können — und sich dafür einsetzen, dass die schon immer alberne Körper/Geist-Unterscheidung in der Medizin weiter aufgeweicht wird, dass bei der Behandlung von Long Covid organische Medizin und Psychiatrie/Psychologie zusammenarbeiten.

Im medizinischen Diskurs passieren solche Überlegungen zum Glück auch. Aber was uns in den Medien präsentiert wird, ist vermehrt eben sowas wie Hirschhausens Doku, in der experimentelle Therapien wie Blutwäsche, deren Wirksamkeit gegen Long Covid nicht belegt ist, völlig unkritisch zur One-Size-Fits-All-Lösung stilisiert werden, während die Überlegung, ob auch psychotherapeutische Ansätze sinnvoll wären, ohne Belege als selbstverständlich lächerlich abgetan wird.

Und leider kann man das nicht abheften unter »die ARD hat eine schlechte Doku gemacht, what else is new?« und ansonsten ignorieren. Das Narrativ, das Hirschhausen hier präsentiert, ist das dominante Mediennarrativ über Long Covid. Es wird sogar von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vertreten, und das ist ein gefährlicher Gedanke, wenn man mal darüber nachdenkt, was passieren könnte, wenn sich herauskristallisiert, dass Long Covid bei manchen, aber nicht allen Patient*innen organische Ursachen hat: Werden diejenigen, deren Leid psychisch ist, dieselbe nicht nur medizinische, sondern auch gesellschaftliche und politische Unterstützung erfahren wie diejenigen, deren Leid organisch ist? Unwahrscheinlich, oder, wenn selbst der Bundesgesundheitsminister Anhänger der Idee ist, dass »psychisch« oder »psychosomatisch« gleichbedeutend wäre mit »eingebildet«, »nicht echt«.

Und wir werden dann in keiner guten Position sein, für die Rechte dieser Menschen einzustehen, wenn wir vorher laut dafür eingestanden sind, dass man Long Covid ernstnehmen müsse, weil es nicht psychosomatisch, »eingebildet« wäre, und damit letztlich dasselbe alte Narrativ über psychische Krankheiten bedient haben, dem Hirschhausen, Lauterbach und Co. anhängen. Wenn wir nicht bald nuanciertere Arten finden, über Long Covid zu sprechen, aufhören, die Debatte darüber zu behandeln wie eine weitere Schlacht im ewigen Kulturkrieg, werden wir viele Long-Covid-Leidende, ganz zu schweigen von Leidenden anderer psychischer Krankheiten, im Stich lassen.


Danke fürs Lesen! Vielleicht gefällt dir ja auch mein Text über Karl Lauterbach und warum ich ihn für einen gefährlichen Spin-Doctor halte.

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  1. Der medizinische Diskurs sieht zum Glück anders aus.↩︎

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Remake: Connie Willis’ prophetische 1995er Novelle über ein dystopisches Hollywood

Connie Willis’ Remake ist von 1995, was ich mehrfach bestätigt habe, weil ich es nicht so ganz glauben konnte: Ohne Kontext könnte man glauben, dass die Novelle über ein Hollywood in einer nahen Zukunft Willis’ Reaktion auf jüngste Entwicklungen unseres aktuellen Streaming-Zeitalter wäre. 1995, das ist das Jahr von Toy Story, 2 Jahre nach Jurassic Park, 4 nach Terminator 2 — die CGI-Revolution war noch in ihren Anfängen, man konnte bestenfalls ahnen, was eines Tages möglich sein würde. Willis konnte es offenbar besser als andere, jedenfalls antizipierte sie schon damals Entwicklungen, die erst jetzt in Begriff sind, Wirklichkeit zu werden. Und ich befürchte, dass ihre Novelle in den nächsten paar Jahren nur noch prophetischer scheinen wird.

In Willis’ dystopischer (naher) Zukunft hat Hollywood weitestgehend aufgehört, neue Filme zu drehen. Stattdessen produzieren sie Remakes und gelegentlich Fortsetzungen klassischer Filme — aber nicht auf die altmodische Art: CGI-Technologie ist so weit fortgeschritten, dass ganze »neue« Filme aus altem Material erstellt werden können. Du brauchst für dein Remake ein Flugzeug eines bestimmten Modells? Gab es da nicht eine Szene im zweiten Indiana Jones — schneide das Flugzeug einfach von da aus, die Technik macht es möglich, bei Bedarf Perspektive, Belichtung usw. digital anzupassen.

Die Studios in diesem Hollywood, die Namen tragen wie »ILMGM« oder »Fox Mitsubishi«, sind noch mehr als unsere aktuellen darauf fokussiert, bestehende »IP« auszuschlachten, ihre Vergangenheit zu verwalten und den letzten Dollar aus jedem ihrer früheren Erfolge rauszuquetschen anstatt neue Risiken einzugehen. Mehr noch: Hier wurde nicht nur die Suche nach neuen Ideen durch das Recyclen bestehender IP ersetzt, dieselben Regeln gelten auch für Darsteller*innen. Denn das ist der wichtigste technologische, naja, Fortschritt in Willis’ Welt: Was mit Requisiten und Sets funktioniert, funktioniert auch mit Schauspieler*innen. Der 1993 verstorbene River Phoenix kann in dieser Welt doch noch eine lange Karriere haben: Ein Remake von Back to the Future ist in Arbeit, mit ihm in der Hauptrolle, bzw. einem digitalen Abbild, das von CGI-Artists manipuliert wird. Anstatt nach neuen Talenten zu suchen warten die Studio Executives also, bis die Legenden von damals lange genug tot sind, damit ihr »Copyright« erlischt, und versuchen dann, sie für ihr Studio zu lizensieren. Es gilt als radikale, riskante Entscheidung, wird doch nochmal ein*e neue Schauspieler*in besetzt, um mit den Nachfolgern von Motion-Capture- und Greenscreen-Technologie neben, sagen wir, Fred Astaire aufzutreten. Aufstrebende Schauspieler*innen versuchen nicht, durch ihre einzigartige Persönlichkeit hervorzustechen, sondern durch besonders überzeugendes Imitieren von James Dean, Marilyn Monroe oder welcher vor Dekaden verstorbene Star auch immer in dieser Saison angesagt ist.

Das jetzt, 2022, zu lesen, hat eine…besondere Wirkung. Dass Studios sich mehr und mehr um die eigene Achse drehen, alles rebooten oder remaken, wofür sie die Lizenz haben, ist offensichtlich, und war wahrscheinlich auch schon 1995 einigermaßen absehbar; mit ihrer Vision von verstorbenen Stars als IP allerdings hat Willis schon eine beeindruckende Weitsicht bewiesen: Erst in den letzten paar Jahren haben Studios — allen voran, wer hätte es gedacht, Disney — angefangen, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Carrie Fisher und Mark Hamill sind nicht nur in den Rollen ihrer gealterten Charaktere ins Star-Wars-Universum zurückgekehrt, sondern auch, von anderen Schauspieler*innen ge-mocapped, als die jungen Luke Skywalker und Leia Organa. Peter Cushing »spielte« in Rogue One erneut Grand Moff Tarkin, obwohl er 1994 verstorben ist.

Es gibt über diese Praxis durchaus kontroverse Meinungen. Viele beschränken sich dabei aber auf die »Uncannyness« der digitalen Abbilder — ein Problem, das in nicht allzu ferner Zukunft, nach ein paar Jahren weiterem technologischen Fortschritt, gelöst sein dürfte. Etwas unterdiskutiert1 ist meiner Wahrnehmung nach die Ethik dieser Praxis, und zu selten wird gefragt, wo das ganze hinführen sollen. Willis’ hat sich diese Frage schon vor beinahe 30 Jahren gestellt, und ich glaube, ihre Antwort ist nicht fern von der Wahrheit: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis verstorbene Darsteller*innen nicht nur in Rollen, die sie zu Lebzeiten gespielt haben, wiedererweckt werden — bald könnten wir wirklich ein Ticket für den neuen River-Phoenix-Film kaufen. Persönlich finde ich diesen Gedanken einigermaßen abstoßend.

Ungewöhnlich für Willis ist es tatsächlich vor allem das Setting das Weiterdenken von technologischen und sozialen Entwicklungen, die den Reiz von Remake ausmachen. Mehr als für besonders prophetische Zukunftsvisionen ist Willis bekannt für ihre dreidimensionalen, spezifischen Charaktere, aber die Figuren von Remake lassen sich so nicht beschreiben: Der Plot ist eine vorhersehbare Film-Noir-Pastiche, die Figuren sind Typen — der trinkende, sich selbst hassende Möchtegern-Künstler/bald eine Art Detektiv; die mysteriöse Frau, die ihn aufregt mit ihren großen Träumen, ihrem Glauben daran, eines Tages in einem echten, klassischen Hollywood-Musical zu tanzen, die ihm aber gleichzeitig nicht aus dem Kopf gehen will. Die Konstellation funktioniert, aber mehr auch nicht: Der Plot dient in erster Linie dazu, uns durch die von Willis’ kreierte Welt zu führen, die Figuren sind unsere Tourguides.

Auf Romanlänge, glaube ich, wäre mir das ein Bisschen dünn, aber in dieser Form, einer kurzen Novelle, reicht es so gerade. Das Klischee wäre, sowas zu schreiben wie »Die eigentliche Hauptfigur in Remake ist Willis’ dystopisches Hollywood«, und so ganz falsch ist das auch nicht. Präziser aber wäre vielleicht: Die wahre Hauptfigur in Remake ist Willis selbst, oder, naja, ihre Erzählstimme, oder so. Willis’ brennende Leidenschaft für das Kino, speziell klassische Hollywood-Musicals, spricht aus jeder Zeile, und wenn wir emotional in irgendwas investiert sind, dann darin, ob man als derart passionierte*r Cineast*in noch irgendwoher Hoffnung für die Zukunft des Kinos schöpfen kann.

Daneben ist es einfach eine Freude, die Takes der Figuren zu lesen, die vielleicht Willis’ Meinung widerspiegeln, vielleicht nicht: Die mysteriöse Tänzerin hat etwa starke Meinungen über Gene Kelly und Busby Berkeley, deren Werk sie als minderwertig gegenüber dem von Fred Astaire sieht, und ihre Rants, ob man da mitgeht oder nicht, zeigen Willis’ tiefe Expertise über das Genre. Oder da ist diese perfekte kleine Replik auf die These, der Grund für den Tod des Hollywood-Musicals sei, dass es ein Genre für »simplere, unschuldige Zeiten« oder so wäre:

[I]t had never existed, that harmless, innocent world. In 1940, Hitler was bombing the hell out London and already hauling Jews off in cattle cars. […] It had never existed, this world of starry floors and backlit hair and easy, careless kick-turns, and the 1940 audience watching it knew it didn’t. And that was its appeal, not that it reflected »sunnier, simpler times«, but that it was impossible. That it was what they wanted and could never have.2

Die eine Konsequenz der Verbreitung digitaler Technologien für die Filmwelt, die Willis nicht vorhergesehen hat — oder auf die sie zumindest nicht in dieser Novelle bestenfalls anspielt —, ist die, dass diese Technologien es auch jedem einzelnen von uns leichter und leichter machen, ohne die Unterstützung der großen Studios Filme zu machen. Das ist vielleicht der Vorwurf, den man Willis’ Novelle machen könnte, aber vielleicht soll das auch genau so: Ihre Hauptfiguren sind Träumer*innen, deprimiert von der Richtung, in die sich Hollywood entwickelt hat. Aber ihre Reaktion darauf ist, sich in Nostalgie zu flüchten, sich das alte, angeblich bessere Hollywood zurückzuwünschen — womit sie letztlich nicht weniger auf die Vergangenheit fixiert sind als die Studios. Eine echte Alternative, eine bessere Zukunft, können sie sich nicht vorstellen. Vielleicht ist das also an dem*der Leser*in: zu realisieren, dass das »klassische Hollywood« — das, ganz ehrlich, auch seine eigenen Probleme hatte — nicht zurückkommen wird, dass Studios weiter machen werden was Studios eben machen in einem kapitalistischen System, das nicht Ideen und kreatives Risiko belohnt, sondern das Setzen auf die »sichere Sache«, auf das Gewohnte, was schon immer funktioniert hat; und dass die Zukunft des Kinos, wenn es eine gibt, nicht möglich wird, indem wir die Studios verändern, sie vom Wert von Kreativität und Originalität überzeugen — ein aussichtsloses Vorhaben —, sondern indem wir sie irrelevant machen.


  1. Um den Release von Rogue One herum hatte diese Debatte ihren Moment, aber seitdem scheinen wir uns schon ziemlich an die Praxis gewöhnt zu haben.↩︎

  2. Sidenote: Aus demselben Grund fand ich die These nie ganz überzeugend, dass ein klassischer, optimistischer, moralisch aufrichtiger Superman würde nicht mehr in unsere »dunklen Zeiten« oder whatever passen würde. Superman wurde 1938 erdacht, seine Erfinder waren jüdisch. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust waren die ersten großen welthistorischen Ereignisse, die Superman-Comics konfrontiert haben.↩︎

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Reviews: Bullet Train, Gladbeck, Kimi & mehr

Hier ein paar kürzere Reviews zu neuen und älteren Filmen und einem Buch, für die ich nicht jeweils einen eigenen Post anlegen will.

Bullet Train ist nicht gut, aber Züge schon

Bullet Train hat mich etwas über mich selbst gelehrt: Ich mag Züge. Sehr. Ich mag Züge, und ich mag Filme, die in Zügen spielen, von Murder on the Orient Express1 über Before Sunrise zu Snowpiercer. Ich hab sogar vage angenehme Erinnerungen an den einen Liam-Neeson-Film, der im Zug spielt, obwohl (oder weil) ich außer »Liam Neeson spielt mit und der Film spielt im Zug« kein anderes Detail darüber nennen könnte wenn mein Leben davon abhinge.

Für Bullet Train bedeutet das konkret: Das sollte mich alles nerven. Auf kaum etwas habe ich noch so wenig Lust wie auf das, was David Leitch, nach einem Drehbuch von Zak Olkewicz, hier macht, dieses Lucky-Number-Slevin-Ding, Tarantino auf Wish bestellt2, Auftragskiller, die zwischen Explosionen von Gewalt Quips und Popkulturreferenzen austauschen und so. Einer der keine-Ahnung-wieviele Killer im Film redet ständig über Thomas the Tank Engine, und das wird nicht, also wirklich gar nicht, irgendwie aus der Figur heraus gerechtfertigt, es ist einfach die Wort-Assoziation »Film-spielt-in-einem-Zug -> Thomas-the-Tank-Engine-ist-ein-Zug«. Am Ende erhält »The Water Bottle« eine coole Intro-Sequenz und Backstory, so wie vorher »The Wolf« und »The Father« und die ganzen anderen coolen Killer mit coolen ihre eigene coole Intro-Sequenz bekommen haben. Es ist die Sorte Humor, die man früher mit »lol so random« beschrieben hat. Brandon Streussnig hat es schon sehr treffend beobachtet: Es ist, als hätte Deadpool-2-Regisseur Leitch Ryan Reynolds’ Persönlichkeit auf einen ganzen Film (und eine Handvoll eigentlich ziemlich okay Schauspieler)3 verteilt.4

Aber, und ich kann das nicht genug unterstreichen: Das alles passiert in einem Zug. Und das reicht mir irgendwie, das kriegt mich ein Bisschen, sorry.

OK, Bullet Train ist nicht ganz frei von legitimen Qualitäten: Leitch, Co-Regisseur von John Wick, ist gut darin, hand-to-hand-Kampfchoreographien in engen Räumen zu inszenieren, und er macht hier ausführlich Gebrauch von diesem Talent. Ich mag den Look des Films, farbenfroh ohne, mit wenigen Ausnahmen, zu überstilisiert zu sein. Und, natürlich, der Cast — so sehr Leitch und Olkewicz sich auch anstrengen, ganz können sie den Charme ihrer Darsteller*innen nicht abstellen.

Aber nichts davon ist genug, dass ich Bullet Train irgendjemandem empfehlen würde, der weniger begeistert von Zügen ist als ich. Irgendwie wirkt der Film gleichzeitig sehr »2022« — die zwanghafte self-awareness aller Beteiligten, der vielleicht von Taika Waititi inspirierte (und schon da nicht lustige) Running-Gag, gewalttätige Gangster Mental-Health- und Achtsamkeitssprache abspulen zu lassen — und wie ein Film, der seit den späten 90ern/frühen 2000ern in irgendeiner Vault liegt.5 Es ist schon alles sehr anstrengend, und man spürt jede einzelne der 126 Minuten Laufzeit. Aber, keine Ahnung, am Ende ist diese Art Film schauen für mich wohl ein Bisschen wie eine lange Reise machen: Immer irgendwie anstrengend, aber doch angenehmer, wenn es im Zug stattfindet.

Gladbeck — Die Geiselnahme: wichtiges Zeitdokument oder nur weiterer True-Crime-Content?

Ich verkneife mir hier, McLuhan zu zitieren, aber es ist schon interessant, einen Film wie Volker Heises Gladbeck — Das Geiseldrama ausgerechnet auf Netflix zu gucken. Ein Film, der anklagt, wie Journalist*innen aus einem Verbrechen — der, nun 1988er Geiselnahme von Gladbeck — das drei Tote forderte, Content machten, und wie eine Bevölkerung diesen Content als Entertainment konsumierte. Dieser Film, anwählbar neben dutzenden anderen Filmen und Serien, die genau das im hier und jetzt tun: Verbrechen als Content verwerten, damit ein Streaming-Service in akuter Bedrängnis holen kann, was zu holen ist aus dem True-Crime-Trend.

Aus Netflix’ Perspektive ist Gladbeck natürlich Teil dieser Strategie. Das ist Heise nicht vorzuwerfen, aber ich finde es schwer auszublenden: Netflix hat sicher nichts dagegen, dass Menschen Gladbeck als ein Zeitdokument gucken und einen Film über unsere Tendenz, das Leid anderer zu unserer Unterhaltung zu machen; aber ich glaube, die Zielgruppe, die Netflix, anders als der Regisseur, vor allem mit diesem Film erreichen will, sind diejenigen, für die Gladbeck nur ein weiteres Stück True Crime ist, für die der Film heute erneut genau die Funktion erfüllt, die das Geiseldrama schon damals für Medien und Bevölkerung hatte.

Ich hatte ziemlich genau die Reaktion auf Gladbeck, die Heise sich wünscht: Empörung, Fassungslosigkeit, und ein guter Schuss Introspektion, denn ich hab mir das ja auch angeguckt, obwohl ich im Wesentlichen schon Bescheid wusste, was damals passiert ist. Insofern »funktioniert« der Film: Auch, wenn man »schon Bescheid weiß«, ist es eindrucksvoll, das mehrtätige Geiseldrama nochmal im Zeitraffer nachzuvollziehen. Heise arbeitet ausschließlich mit Archivmaterial, und ausschließlich mit Material, das direkt während dieser 54 Stunden entstanden ist, die die Geiselnahme von Gladbeck dauerte (nicht zum Beispiel mit nachträglichen Aufarbeitungen, die es ja durchaus gab). All das bekannte Material ist da — die Interviews mit den Tätern, die Glamour-Shots von Fotograf Peter Meyer, der zeitweise die Rolle eines eher unterqualifizierter Vermittlers mit den Geiselnehmern einnahm —, aber auch weniger bekanntes, das teils direkt an das bekannte anschließt und so dessen Entstehung erzählt. Die Montage ist akribisch und effektiv, und wer grundsätzlich zu Reflexion bereit ist über Medien und ihren Konsum, über deren (und die eigene!) eigene Lust an der Sensation, der wird in diesem Film viel Anlass dazu finden.

Aber irgendwie frage ich mich auch…wozu das ganze? Es ist ja nicht so, als hätte noch gar keine Reflexion über Gladbeck, auch kollektive, stattgefunden. Es gibt zig Fernsehdokumentationen (und mindestens einen ARD-Spielfilm), Talkshows thematisierten das Drama und die Rolle von Journalismus und Medien, geschrieben wurde darüber sowieso, der deutsche Presserat änderte seine Richtlinien…was leistet ein Film wie der von Heise, der selbst nicht einordnet, im Jahr 2022 noch? Er archiviert das Geschehene und das Material, schätze ich, und sicher werden viele Netflix-Zuschauer*innen sich dank dem Film zum ersten Mal mit dem Drama beschäftigen, und natürlich werden nicht alle es nur als weitere True-Crime-Story wahrnehmen, viele wird es auch zu derselben Art Reflexion inspirieren wie mich. Aber wenn man sich 2022 nochmal mit diesem ausführlich bearbeiteten Thema beschäftigen will — vor allem in einem Netflix-Film — gäbe es da nicht interessante Fragen darüber zu stellen, inwiefern genau die Tendenzen, denen Medien und Bevölkerung damals so ungezügelt nachgaben, auch heute noch da sind? Es ist leicht, auf Gladbeck als eine Episode von Massenhysterie zu blicken, als eine Ausnahmesituation, aber interessanter ist es vielleicht, den Gedanken zuzulassen, dass das Verhalten der Medien damals eigentlich ganz normal war, dass sie damals nur ein Bisschen schamloser (ehrlicher?) waren?

Heise will, glaube ich, dass man sich genau diese Fragen beim Schauen stellt, dass man die Linie zieht von dieser Episode zum heutigem True-Crime-Boom. Aber sein Ansatz wird niemanden dazu bewegen, solchen Gedanken nachzugehen, der es nicht eh schonmal getan hat, und vielleicht ist das ein Bisschen eine verpasst Chance, wenn man einen Film über das Geiseldrama von Gladbeck im Jahr 2022 auf Netflix veröffentlicht.

Kimi: Rear Window, Covid-Edition

Gegen Ende von Steven Soderberghs Kimi wird Zoë Kravitz’ Angela, die so heißt und nicht Kimi aber von der ich für den Rest meines Lebens, wann immer ich einen Still des Films sehe, denken werde, »Ahh, da ist sie, Kimi selbst!«, wird also Angela von ein paar Shady Typen(tm) gejagt und muss, in einem nervenaufreibenden Moment, mit zitternder Hand beide Schlösser ihrer Wohnungstür aufschließen, bevor die Typen sie erreichen. Soderbergh ist hit-and-miss für mich, seine irgendwie beiläufige Virtuosität wirkt auf mich manchmal kühl und seltsam unbeteiligt an dem, was seine Filme erzählen. Aber Kimi ist einer der Filme, in denen ihm dieser spezifische Soderbergh-Zaubertrick gelingt: Der Film wirkt wie ein spontanes, im Vorbeigehen weggefilmtes Projekt, ein Versuch, aus den Umständen (hier: den Covid-Auflagen) das beste zu machen, und ist entsprechend unprätentiös und schnörkellos; und gleichzeitig ist es ein Film, in dem fast jede Einstellung, jedes visuelle Detail, jede Geste Gewicht hat, symbolisch oder thematisch oder whatever aufgeladen ist — nur eben ohne, dass das den unmittelbaren Zielen des Films als ein unscheinbarer, aber mitreißender Crowdpleaser im Weg stehen würde.

Die Idee, die sich durch den Film zieht, ist dass die Technologien — die primitiven wie die fortschrittlichen —, und manchmal sogar die Menschen, die uns beschützen sollen, uns gefährlich werden können (und umgekehrt). Unsere »digitale Assistentin« (oder wie auch immer man Siri, Alexa und Co. nennen möchte) können uns das Leben erleichtern und im Ernstfall Hilfe rufen, aber sie nehmen uns auch ein Stück Privatsphäre, hören uns zu, nehmen uns unbemerkt auf und schicken die Aufnahmen wer-weiß-wohin; unser Nachbar, von dem wir uns beobachtet fühlen, kann der einzige sein, der es mitkriegt, wenn wir Hilfe brauchen; unser Sicherheitsschloss beschützt unser Hab & Gut — und kann uns entscheidende Sekunden kosten, wenn wir plötzlich ausgesperrt sind und von Shady Typen(tm) verfolgt werden. Die kleinen Momente dramatischer Ironie, die dieser Gedanke in Soderbergh immer wieder inspiriert, sind eins der größten Vergnügen von Kimi.

Der Plot ist Rear Window, remixed für 2020: Angela Childs leidet an Agoraphobie, ausgelöst durch einen Überfall, verschlimmert durch die Covid-19-Pandemie. Sie arbeitet für den Hersteller einer Alexa-ähnlichen Smart-Speaker-Systems, genannt Kimi. Ihr Job besteht darin, Aufnahmen abzuhören von Kund*innen-Interaktionen mit Kimi, in denen das System fehlerhaft reagiert hat, und Korrekturen in der Software vorzunehmen. Auf einer der Aufnahmen ist anscheinend eine Gewalttat zu hören. Beim Versuch, die Identität des Opfers herauszufinden, legt Angela sich mit ihren Vorgesetzten an und deckt neue, shady Details über die Geschäftspraktiken ihres Arbeitgebers auf.

Das ganze ist äußerst ökonomisch erzählt: Kimi ist nur knapp 90 Minuten lang, und hat einiges unterzukriegen in diese Zeit, wächst sein Plot doch von einem persönlichen, charakterfokussierten Crime-Drama zu einer Art Verschwörungsthriller. Der Film bleibt auf eine Weise dennoch angenehm klein: Er verliert nie die Nähe zu seiner Protagonistin, erzählt konsequent aus Angelas Perspektive, die schon bevor sie ins Visier ihres übermächtigen Arbeitgebers gerät zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist, um allzu große Ideen und starke Meinungen über die Themen zu haben, die der Plot des Films anschneidet, Überwachung, Sicherheit, unser Verhältnis zu Technologie (und zu den Firmen, die sie herstellen). Stattdessen werden diese Themen Teil des Hintergrundrauschen des Films, ebenso wie die Pandemie und ihr Einfluss auf Angelas geistige Gesundheit, und wie weitere Details über Angela als Figur, wie etwa ihr Autismus und ihre Beziehung zu ihrer Mutter. All diese Details und Ideen belasten den Film nicht, nehmen ihm nichts an Geradlinigkeit, an Tempo, stören das Pacing nicht; sie funktionieren lediglich als Angebote an den*die Zuschauer*in — man kann hier schon über einiges Nachdenken, wenn man denn unbedingt will, aber Kimi fordert das nicht von seinem Publikum; vor allem aber geben sie Soderberghs Plot und seiner Hauptfigur eine Spezifizität, sodass es halb so wild ist, dass die Geschichte weitgehend erwartbaren Beats folgt.

The Laundromat: The Big Short, Panama-Paper-Edition?

Wie gesagt: hit & miss.

Soderberghs Film inspiriert von den Panama Papers sollte wohl sowas sein wie Soderberghs The Big Short: ein episodischer, bitter-komischer Film, der dem*der Zuschauer*in einen komplexen Finanzskandal — hier das System von off-shore Strohfirmen (shell companies), das Steuervermeidung und -hinterziehung, Versicherungsbetrug, Geldwäsche und andere Finanzverbrechen begünstigt — begreiflich und die Folgen für normale Menschen spürbar macht. Wie in Adam McKays Film brechen Figuren die vierte Wand, sprechen direkt zum Zuschauer, wie bei McKay sollen ein hochkarätiger Cast und komische Überzeichnung dem Publikum das eher trockene Thema schmackhaft machen.

Aber wo McKay einen Ton aufrichtiger Entrüstung findet ist Soderberghs Ton eher ein süffisant-amüsiertes Schulterzucken. Während McKays Figuren dem Zuschauer aus der Seele sprechen, wenn sie sich Richtung Kamera drehen, lenken Soderberghs Erzähler — die Chefs einer der Anwaltskanzleien im Zentrum der Panama Papers — eher ab von den Geschichten der Leidtragenden, die Soderbergh dazwischen erzählt. Am besten ist The Laundromat, wenn er sich auf Meryl Streeps Figur konzentriert, eine unscheinbare Witwe, deren Geld aus der Lebensversicherung ihres Mannes im Gewirr aus Strohfirmen und Rückversicherern »verloren gegangen« ist, und die auf eigene Faust versucht, der Sache nachzugehen. Leider geht diese Geschichte zu oft unter in Soderberghs Meta-Spielereien und seiner Ambition, ein Bild des ganzen Ausmaßes des Skandals zu zeichnen, die an sich ja lobenswert wäre, aber in der Praxis eher wie ein Mangel an Konzentration auf das Wesentliche daherkommt.

Tamara Shopsins LaserWriter II: Eine andere Beziehung zu Technologie

Zum Geburtstag habe ich mir dieses Jahr einen Raspberry Pi 400 gekauft. Es ist der preiswerteste Computer, den ich je besessen habe, aber irgendwie auch der luxuriöseste, im Sinne von: Ich brauch das Ding eigentlich nicht. Also, ich werd da schon mehr oder weniger sinnvolle Anwendungen für finden, aber gekauft hab ich ihn wirklich nur, weil ich ihn wollte, und anders als jeden Computer außer meinem allerersten, den ich mit 9 oder so bekommen habe, nichtmal ein kleines Bisschen, weil ich ihn brauchte. Seitdem habe ich ganze Tage damit verbracht, Dinge unter Linux ans Laufen zu kriegen, die ich auf meinen Mac-Geräten mit zwei Klicks hinkriege, und das ist das nächste zu »Urlaub«, was ich in den letzten 8 Jahren gemacht hat.

Ich mag Computer, das ist mir so nochmal gewusst geworden. Das klingt banal, aber die Computer, die ich täglich zum Arbeiten nutze sind halt keine Computer, die man so vorbehaltlos mögen kann: Darauf ist Slack installiert und die Apps diverser sozialer Netzwerke und man weiß vor allem auch, unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Ich mag das irgendwie, einen Computer zu besitzen, den ich (relativ) schuldfrei benutzen und als Fetischobjekt betrachten kann. Apropos: Der 400, der erste Raspberry Pi, der nicht nur ein nackter Prozessor, sondern ein vollständiger Desktop-Computer ist, eingebaut in eine Tastatur, gefällt mir auch einfach als physisches Objekt. Weißes und rotes Plastik, das erinnert an die Designsprache, die Apple lange hinter sich gelassen hat, zugunsten der heutigen, sleeken, »professionellen« Ästhetik. Ich trauere dieser Zeit ein Bisschen hinterher: als Computer wie Spielzeuge aussehen durften, als Design opinionated war und man auch in Kauf nahm, dass eine solch, sagen wir, laute Designsprache eben genauso viele Leute abschreckt wie sie anzieht.

Tamara Shopsins LaserWriter II ist ein Buch, geschrieben für eine bestimmte Art Mensch. Wer keine starken Emotionen über Dinge wie »die Designsprache alter Macintosh-Computer« hat, wer Computer vor allem als Nutz- und so gar nicht als Fetischobjekte sieht, dürfte es ziemlich langweilig finden. Es passiert im Grunde gar nichts, außer dass Figuren alte Apple-Rechner und -Drucker reparieren. Ich, das kann man sich aus der Einleitung dieses Textes sicher zusammenreimen, hätte 900 Seiten davon lesen können.6

Shopsin fiktionalisiert in diesem Roman ihre eigene Zeit als »Tek« im New Yorker Mac-Reparatur-Shop TekServe. Wir sehen den Mikrokosmos des Stores durch die Augen der 19jährigen Claire, die zunächst im »Triage«-Bereich, also dem Empfang anfängt, aber schnell zur Spezialistin für die Reparatur von Laserdruckern befördert wird. Wir beobachten Claire beim Umgang mit Kunden (awkward, unbeholfen), und dem Reparieren der Geräte (eine Art Zen-Zustand für sie) dazwischen gibt es eine kurze Geschichte von TekServe, ein paar Exkurse über die Bedeutung einzelner Apple-Geräte (wie der titelgebenden »LaserWriter«-Serie von Druckern, die im Grunde der Beginn des Desktop Publishing war), und ein paar quirky Sequenzen, die aus der Perspektive von Bauteilen der Drucker erzählt sind. Alles geschrieben in knapper, aber dennoch warmer und pointensicherer Prosa. Wie gesagt: Muss man mögen, sowas.

Ich mag’s, und zwar nicht nur, weil es meinen Computer-Fetischismus validiert hat; daneben hatte es auch einen ähnlichen Effekt wie zuletzt die seltsam untergegangene, hervorragende deutsche Netflix-Serie Billion Dollar Code: Es erinnert daran, dass »Tech« nicht immer und ausschließlich synonym mit Startup-Kultur, Turbokapitalismus, Silicon Valleys fragwürdiger Definition von »Innovation« war. Es gab eine Zeit, oder es gab Episoden und Ecken der Technologie-Geschichte, da waren es vor allem Künstler*innen, Hippies und Hacker, die von Technologie angezogen wurden, weniger smoothie-trinkende Business-Bros. Billion Dollar Code zeigt, wie ein ursprünglich in der Berliner Kunstszene und der Hacker-Kultur der frühen 90er Jahre verwurzeltes Unternehmen durch die Ideologie des Silicon Valley korrumpiert wird. Shopsins Roman, wie ein unabhängiger, von leidenschaftlichen Bastlern geführter Shop, in dem die Zufriedenheit der Kund*innen und schlicht die Liebe zur Technik selbst größere Motivationen sind als finanzieller Gewinn, letztlich verdrängt wird von Apples »Genius Bar«-Modell, ein Modell, das weniger persönlich ist, stärker durchreglementiert und in dem wenig Platz ist für die persönlichen Geschichten, die Menschen mit Technologie verbinden. Man muss beim Lesen unweigerlich an die »Right to Repair«-Bewegung denken: In Shopsins Tekserve ist es eine Frage der Ehre, dass wirklich alles versucht wird, um so viel Leben wie möglich aus den Geräten der Kund*innen herauszuholen; es ist selbstverständlich besser, ein altes Gerät noch einmal aufzufrischen, als den Kauf eines neuen zu empfehlen.

Trotz aller Fetischisierung klassischer Macintosh-Computer und Apple-Drucker taucht Apple, der Konzern, in Shopsins Buch also vor allem als Villain in Erscheinung: Die TekServe-Philosophie, so der Subtext, steht im Widerspruch mit der immer knapper getakteten geplanten Obsoleszenz moderner Technik, und so macht Apple TekServe letztlich schrittweise selbst obsolet. Sie schaffen für unabhängige Stores wie TekServe die Möglichkeit ab, Ersatzteile zu bestellen, untersagen so effektiv das eigenmächtige Reparieren der Geräte.

TekServe schloss 2016, nach fast 30jähriger Geschichte. Ich weiß nicht, ob der Laden wirklich der maximal kundenfreundliche, großzügige, aus der puren Liebe zur Technik und dem Menschen, der sie benutzt heraus betriebene Ort war, als den Shopsin ihn zeichnet. Ist aber auch egal: Shopsins Roman taugt in jedem Fall als eine kleine Utopie, eine Geschichte, die daran erinnert, dass unsere Beziehung zu Technologie eine andere sein könnte als sie heute oft ist.


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  1. Die Sidney-Lumet-Version. Die, ähem, sicher auch interessante Kenneth-Branagh-Version hab ich noch nicht gesehen.↩︎

  2. Ist das der richtige Zeitpunkt, zuzugeben, dass ich noch immer nicht genau weiß, was »Wish« ist und warum es ein Fehler ist, da zu bestellen?↩︎

  3. Und Brad Pitt.↩︎

  4. Auch mit »All timer bad shit from Zazie Beetz in particular.« hat Streussnig leider Recht.↩︎

  5. Siehe hierzu vor allem den befremdlichen Gastauftritt von Channing Tatum, der in Anlehnung an, keine Ahnung, den Humor früher South-Park-Staffeln die Frage konfrontiert, »Wäre es nicht witzig, wenn Channing Tatum schwul wäre?«↩︎

  6. Leider hat das Buch nur etwa 200.↩︎

August 15, 2022 review kritik film buch literatur netflix deutsch text

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Nope — Ending (too) explained

Dieser Text enthält Spoiler für Nope.

»Every animal has rules«. Otis »OJ« Haywood Jr. (Daniel Kaluuya) sagt das gegen Ende des zweiten Akts von Jordan Peeles Nope, und es bringt eine Art Wendepunkt: OJ glaubt, die »Regeln« des mysteriösen, wahrscheinlich außerirdischen Monsters verstanden zu haben, das er und seine Schwester Emerald (Kiki Palmer) in den Wolken über der gemeinsamen Ranch entdeckt haben. Von jetzt an können die beiden und ihre Mitstreiter in die Offensive gehen.

OJ fasst hier aber auch kurz und bündig zusammen, warum Nope für mich im dritten Akt an Faszination verliert und nicht mit Peeles Vorgängerfilmen, Get Out und vor allem dem brillanten, endlos faszinierenden Us, mithalten kann. Peele nimmt diese Idee — »every animal has rules« — ein Bisschen zu buchstäblich, formuliert diese Regeln ein Bisschen zu konkret aus, und das nimmt seinem Film rätselhafte, das seltsame, das Unheimliche.1

OJ und Emerald haben die Ranch von ihrem Vater Otis Sr. (Keith David) geerbt. Die Haywoods behaupten, von dem unbekannten Jockey abzustammen, der das Pferd in Eadweard Muybridges Animal Locomotion reitet, dem wohl ersten Filmmaterial der Geschichte. Die Haywoods trainieren und betreuen Pferde für Filmproduktionen. Seit dem 2001er The Scorpion King finden sie jedoch nur noch selten Arbeit. OJ verkauft deswegen einige Pferde an Ricky Jupe” Park (Steven Yeun), ein ehemaliger Kinderstar, der nun einen kleinen Freizeitpark basierend auf seinem größten Erfolg leitet. Neben dem Cowboy-Film, von dem der Park inspiriert ist, ist es vor allem seine Hauptrolle in der Sitcom Gordy’s Home, für die Jupe noch einen Rest Bekanntheit hat, allerdings aus eher makabren Gründen: Einer der Schimpansen, die den titelgebenden Gordy spielten, geriet während der Aufnahme einer Folge in Rage, und tötete oder verletzte die anderen Cast-Mitglieder. Nur Jupe überlebte unbeschadet.

Als die Haywoods in den Wolken über ihrer Ranch ein mysteriöses, (auf den ersten Blick) untertassenförmiges Objekt entdecken, sehen sie eine Chance: Sie wollen das Objekt auf Video festhalten, das Bild einfangen, dass sie »zu Oprah« bringen, zu Stars machen wird.

Für gut die erste Hälfte von Nope ist es ein eher subtiler Horror, den Peele hier kreiert. Es gibt ein paar klassische »Schockmomente«, spwpjö kleine, blinzelt-und-ihr-verpasst-sie Momente, wenn wir etwa das fliegende Objekt von einer Wolke zur anderen huschen sehen und gemeinsam mit OJ und Emerald verstehen, dass es sich nicht um ein Raumschiff, sondern ein Lebewesen handelt, als auch größere, spektakulärere, wie wenn Jupe eine Show und das Publikum einer Show in seinem Park von dem Monster attackiert werden. Aber vor allem ist es ein unter allem liegendes Gefühl von Unwohlsein, das Peele hier kreiert und das dem Film seine Spannung gibt. Nope ist der erste Horrorfilm, der in 65mm IMAX gedreht wurde, und Peele komponiert viele Einstellungen, die für den riesigen IMAX-Bildschirm gemacht scheinen, die die Weite und Leere der kalifornischen Wüste einfangen, und die viel Raum lassen für die Vorstellungskraft der*des Zuschauer*in — Peele muss das Monster gar nicht oft zeigen, wir malen uns im Kopf schon selbst aus, wo es sich gerade verstecken könnte. Die Welt des Films hat eine seltsame Zeitlosigkeit: Er spielt schon irgendwie im Hier und Jetzt — es gibt etwa moderne Technologie — aber Elemente wie Jupes Freizeitpark scheinen aus einer anderen, unschuldigeren Zeit gefallen. OJ ist der ideale Point-of-View-Charakter für die Welt und Atmosphäre, die Peele hier kreiert: Er hat selbst etwas enigmatisches, will, scheint es, niemanden so ganz an sich ranlassen — inklusive dem Zuschauer. Kaluuya, in einer brillanten Performance, für die er seine gesamte Physiognomie zu verändern scheint, suggeriert, dass OJ immer über irgendetwas nachdenkt, irgendetwas in den Wolken oder der Weite der Wüste sieht, das wir noch nicht gesehen haben. Yeun liefert eine weitere seltsam-faszinierende Performance: Jupe hat die Attacke durch »Gordy« überlebt, aber sie hat ihn verändert, scheint es, und die Person, die er heute ist, ist so sehr eine Rolle die er spielt wie seine Figuren in Gordy’s Home und Kid Cowboy (oder wie der Kinderfilm hieß).

Vieles in diesem Film und in seiner Welt scheint einfach ein Bisschen off. Die Atmosphäre, die Peele hier schafft, erinnert an die besseren Geschichten von H.P. Lovecraft: Es ist kosmischer Horror, das Gefühl, Teil von etwas größerem, älterem zu sein — oder wenigstens von so etwas beobachtet zu werden —, das man nicht versteht und nie ganz verstehen kann.

Auch die Attacke am Set von Gordy’s Home passt in dieses Bild. Wir erleben sie zweimal im Film — einmal, recht spät im zweiten Akt, als eine der furchteinflößendsten Sequenzen, die Peele bislang inszeniert hat, eine Explosion von Gewalt, in der der Affe (per Motion Capture gespielt von Tery Notary) zugleich wie eine unaufhaltbare Naturgewalt und erschreckend menschlich wirkt. Das andere Mal hören wir den Großteil der Szene nur, bis auf eine Einstellung, aus der Perspektive des jungen Jupe. Unter einem Tisch versteckt schaut er auf die Ergebnisse von Gordy’s Rage — darunter der auf dem Boden liegende, leblose Körper seiner Serienmutter —, fokussiert sich aber auf ein seltsames Detail: Einer der Schuhe seiner Serienschwester steht senkrecht, auf der Spitze, mitten auf der Sitcom-Bühne. Diese Version der Sequenz eröffnet den Film — wir können es noch nicht einordnen, aber ein kurzer Dialog aus Gordy’s Home, der dann durch die Explosion von Gewalt unterbrochen wird, ist das erste, was wir im Film hören, diese eine Einstellung das erste, was wir sehen, und dieses bemerkenswerte Detail, der stehende Schuh, wahrscheinlich das erste, was wir bewusst wahrnehmen. Dieses unheimliche, unerklärliche Detail setzt den Ton für den ganzen Film.

Wenn OJ dann also letztlich so klar darlegt, was die »Regeln« des Monsters sind — es greift dich nicht an, wenn du es nicht ansiehst, und der Weg, es zu besiegen, ist, es mit Gegenständen zu »füttern«, die es nicht herunterschlucken kann —, dann macht es den Film irgendwie…kleiner. Prosaischer, leichter zu fassen. OJ zeigt, dass man etwas, was lange unmöglich zu verstehen schien, eben doch ziemlich genau verstehen kann, und das nimmt dem Horror des Films seine kosmische, existenzielle Dimension.

Laut Presseinterviews sehen Peele und der Cast Nope als einen Film über unser Verhältnis zu »Spektakeln«, und viele Reviews und Analysen des Films nehmen diesen Faden dankbar auf. Natürlich ist das Filmgeschäft irgendwie ein Thema, und dann ist da ein thematischer Strang über Raubtiere und die Hybris, die in dem menschlichen Glauben steckt, sie kontrollieren zu können. Und man kann, irgendwie, in der am Ende recht prosaischen Natur des Monsters — OJ gibt ihm ganz bewusst den Namen eines Pferdes, das er gemeinsam mit seinem Vater trainiert hatte — einen Kommentar über die ebenso prosaische Wahrheit hinter den Spektakeln lesen, die Hollywood uns verkauft. Wenn man denn unbedingt will.2 Und ich weiß, man muss jetzt halt Artikel schreiben, auf die Leser*innen stoßen können, wenn sie »nope ending explained« googeln, das ist SEO 101, also ist schon okay, dass diejenigen, die in den Content-Mühlen arbeiten, nach den Brotkrumen greifen, die Peele ihnen zur Interpretation seines Films hinwirft.

Aber ganz ehrlich: Ich finde Nope auf dieser Ebene ziemlich unbefriedigend. »Menschen sind fasziniert von spektakulären Dingen« und »Hollywoods Spektakel sind nicht echt«, viel mehr lässt sich hier nicht aus dem Film ziehen. Peele wirft auch einfach zu viele Definitionen von »Spektakel« durcheinander — Blockbuster, klar, aber auch…Familiensitcoms, und 80er-Jahre-Kinderfilme? —, als dass bei solchen Leseversuchen irgendwas spezifischeres, fokussierteres rauskommen könnte als Allgemeinplätze. Und, damit wir uns verstehen, das ist völlig okay: Ich weiß nicht, ob man zu diesem Thema viel interessantere, originellere Gedanken haben kann, und es ist ja auch völlig okay, wenn ein Film nicht viel mehr will als dieses Gefühl von kosmischem Unwohlsein zu erzeugen, das Nope für große Teile seiner Laufzeit so erfolgreich erzeugt. Peele hat in Interviews auch davon gesprochen, dass er Nope vor allem selbst als Spektakel verstanden wissen will, als einen Film, den man im Kino sehen muss, gerade nach einer langen Zeit, in der man Filme nicht im Kino sehen konnte, und dass der Film nicht viel mehr »Message« oder whatever braucht, und ich finde, er hat Recht. Ich bin nicht mit dem Wunsch aus Nope gegangen, dass Peele sich mehr darauf konzentriert hätte, irgendwas mit seinem Film zu »sagen«.

Sondern, im Gegenteil, mit dem Wunsch, dass Peele uns, im Film selbst und in der Promotion, noch weniger Brotkrumen gegeben hätte. Mir ist das ending von Nope ein Bisschen zu explained. Ich habe den Film nicht mit diesem Gefühl von Verstörung und Verwirrung verlassen. Am Ende war nichts mehr off für mich, es passte alles ein Bisschen zu gut zusammen, es war alles ein Bisschen zu sauber, zu ordentlich, zu, auf eine oberflächliche Weise, befriedigend. Wie OJ, Emerald und ihre Mitstreiter am Ende gegen das Monster kämpfen, das hat mich an Jaws erinnert, wenn die Protagonisten den Hai »markieren«, indem sie mittels Harpunen ein paar Fässer an ihn hängen, ihn so sichtbarer, seine Bewegungen vorhersehbarer machen. Das ist jetzt nicht die schlechteste Referenz — Jaws ist mein erklärter Lieblingsfilm —, und natürlich eine relevante, wenn man in Nope unbedingt ein Statement über Spektakel oder Blockbuster oder was auch immer sehen will; aber ein solches Finale wirkt halt anders, je nachdem, ob die Bedrohung ein weißer Hai ist oder, sagen wir, Cthulhu, und so ähnlich wirkte es auf mich in Nope: Es machte etwas bis dahin schwer fassbares sehr konkret, greifbar, und zerstörte so die faszinierende Atmosphäre, die der Film bis dahin aufgebaut hatte — ohne sie mit etwas anderem, ebenso interessantem zu ersetzen.


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  1. Dieses Problem ist übrigens nicht neu: Auch Get Out und Us haben ihre den-letzten-Akt-einleitenden exposition dumps. Dort wirkten diese allerdings mehr wie ein notwendiges Übel, man hatte das Gefühl, dass die Filme durch die vermittelten Informationen etwas gewannen anstatt, wie hier, etwas verloren.↩︎

  2. Mit dem Strang über Raubtiere und Hybris oder whatever steht das Finale dann wiederum ziemlich in Konflikt, denn das »Raubtier« lässt sich hier einigermaßen einfach kontrollieren.↩︎

August 13, 2022 film review jordan peele sci-fi horror kritik deutsch text

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Man kann Stigmatisierung nicht mit Stigmatisierung bekämpfen (oder: Ich flehe euch absolut an, reißt euch zusammen beim Thema »Affenpocken«)

»So viel zum Thema Eigenverantwortung🙄«, schreiben, leicht variiert, dutzende User*innen über den Post. Ich weiß nicht, ob sie glauben, damit eine originelle oder pointierte Beobachtung zu liefern, oder ob ihnen klar ist, dass sie lediglich ein Meme reproduzieren, ein Klischee erfüllen. Worüber ich mir sicher bin, ist, dass sie sehr überzeugt sind, zu den Schlauen, den »Guten« zu gehören: denen, die es eben doch ernst meinen mit Eigenverantwortung, denen, die, auch so ein Schlagwort mittlerweile, Empathie haben, denen ihre Mitmenschen nicht egal sind.

»Unverantwortlich« sind die anderen, ist zum Beispiel die Person auf dem Foto: jemand mit einem sichtbaren Hautausschlag, der in Spanien U-Bahn gefahren ist. Mehr verlässliche Informationen über die Person haben wir nicht, aber hey, irgendein Rando auf Twitter hat behauptet, dass er ein Gespräch mit der Person geführt hätte, in dem sie bestätigt hätte, dass es sich um Affenpocken handelt, und dann hat Chris Turnbull, jemand der seit 2,5 Jahren hauptberuflich völlig überzogene Panik wichtige Informationen über Covid-19 verbreitet, es retweetet, und das reicht uns.

https://twitter.com/EnemyInAState/status/1553536762319966208

Klar, normalerweise kommentieren wir die banalsten Anekdoten auf Twitter mit »G’schichten aus’m Paulanergarten« und »…und dann haben alle geklatscht«, aber wir wissen doch wie die Leute sind, das hier macht einfach Sinn für uns, wir würden Falschinformationen erkennen, wenn wir sie sehen, Falschinformationen sind, was die anderen verbreiten. Und im Zweifelsfall, wenn es sich doch als Fake herausstellen sollte, können wir noch immer die Get-out-of-jail-free-card jedes Twitter-Libs spielen, indem wir schreiben: Allein, dass es so viele geglaubt haben, sagt doch was aus über die Menschheit!

Brechen wir mal herunter, was wahr sein müsste, damit die Geschichte, die der spanische Arzt Arturo M Henriques auf Twitter erzählt hat, so stimmen könnte:

  1. Jemand muss an Affenpocken infiziert sein. Das ist jetzt nicht absurd, die Fälle steigen, aber auf die Gesamtbevölkerung gemessen sind es noch nicht viele — in Spanien, wo diese Geschichte passiert sein soll, ungefähr 5000, bei einer Bevölkerung von 47 Millionen. Es muss außerdem ein Fall sein, bei dem die Infektion a) sichtbar, aber b) nicht übermäßig schmerzhaft ist, die Person kann ja offenbar noch relativ unbeschwert U-Bahn fahren. Schon etwas unwahrscheinlicher, aber natürlich möglich.
  2. Die erkrankte Person muss zufällig gleichzeitig U-Bahn fahren mit und in der Nähe stehen von einem Arzt, der überdurchschnittlich viel über Affenpocken weiß (er identifiziert die Krankheit etwa als »auf dem Höhepunkt der Ansteckung« [Google-Übersetzung]).
  3. Dieser Arzt muss die Affenpocken aus der Distanz korrekt visuell diagnostizieren. Spätestens hier wird es einigermaßen unwahrscheinlich, denn der Ausschlag, der durch Affenpocken verursacht wird, ist visuell eigentlich nicht so klar von dem durch manch andere Hautkrankheiten verursachten zu unterscheiden.
  4. Die erkrankte Person muss, wie der Twitter-User weiter erklärt, bereits einen Arzt aufgesucht haben, der korrekt Affenpocken diagnostiziert hat — und der Person erklärt hat, dass nur schwule Männer Affenpocken bekommen können, und der Person versichert hat, dass keine Quarantäne nötig ist. Außerdem habe der Arzt empfohlen, wegen der Affenpocken eine Maske zu tragen — obwohl er ja offenbar nicht daran glaubt, dass die Krankheit auf anderem Wege als beim Sex zwischen Männern übertragen werden kann. Es muss also ein Arzt gewesen sein, der irgendwie gleichzeitig einigermaßen kompetent in der Diagnose der Krankheit ist, und absurde, völlig widersprüchliche Ideen darüber hat, wie sie übertragen wird.

Ich frage: Ist das wirklich wahrscheinlicher, als dass sich jemand halt einfach für Twitter-Clout etwas ausgedacht hat? Oder vielleicht, dass jemand irgendwie das Herz am rechten Fleck hat und das Bewusstsein für die Gefahr durch Affenpocken schärfen will, und sich dafür eine Geschichte ausgedacht hat? Seid ihr wirklich so überzeugt, dass es nicht eine dieser Varianten war, dass ihr euch in eurer Empörung und dem kollektiven Shaming dieser unbekannten Person, an dem ihr euch beteiligt, gerechtfertigt fühlt?

Okay, von mir aus: Nehmen wir mal an, diese Geschichte, die so nie passiert ist, wäre so passiert. Würde das die Reaktion rechtfertigen? Würde es rechtfertigen, ein ohne Zustimmen der Person in der U-Bahn aufgenommenes Foto auf Twitter zu teilen? Würde es rechtfertigen, die Person pauschal zu verurteilen? Oder ist es nicht eher gefährlich, diese Geschichte, mit diesem Foto, zu verbreiten? Könnte das nicht, völlig unabhängig davon, ob diese spezifische Geschichte so stimmt, dazu beitragen, dass ein Stigma entsteht gegen Menschen, die mit sichtbaren Hautkrankheiten in die Öffentlichkeit gehen? Ich zum Beispiel habe Psoriasis, eine völlig ungefährliche, nicht ansteckende Erbkrankheit. Die Gefahr für Menschen, die mit mir in Kontakt kommen, ist gleich 0. Aber während schweren Schüben sieht mein Hautausschlag deutlich schlimmer aus als das da auf dem Foto. Muss ich in Zukunft Angst haben, dass die selbsternannte Affenpocken-Polizei heimlich Fotos von mir schießt, um einen Twitter-Shitstorm gegen mich loszutreten? Hatten wir nicht, damals, am Anfang der Covid-Pandemie, als asiatisch gelesene Menschen in der Öffentlichkeit als angebliche Virenschleudern diffamiert wurden, unsere Erfahrungen damit gemacht, wie schnell es gehen kann, dass Gruppen von Menschen ungerechtfertigt stigmatisiert werden?

Wer ist hier wirklich unverantwortlich: Die Person, die mit einem Hautausschlag, der vielleicht, aber wahrscheinlich nicht von Affenpocken kommt, in der U-Bahn steht? Oder doch diejenigen, die diese Person heimlich fotografieren und dann hundertfach das Foto teilen, jede Skepsis über Bord werfen, die Person verurteilen und die Verdummung der Menschheit beschwören? Die damit implizieren: So sehen Affenpocken aus und so sollte man Menschen behandeln, die die Krankheit haben.

Das absurde ist: Diejenigen, die sich am durch Turnbull losgetretenen Dogpile beteiligen, glauben ja, sie würden hier gegen Stigmatisierung kämpfen. Das ist nämlich der andere Kommentar, mit dem Turnbulls Thread am häufigsten geteilt wird: Varianten von »Hier sieht man, wo die Stigmatisierung homosexueller Männer hinführt!« Denn irgendwie hat sich unter Teilen des »Team Vorsicht« die Idee verbreitet, dass es an sich stigmatisierend wäre, anzuerkennen, dass die bisherigen Affenpocken-Fälle sich überwältigend auf Männer, die Sex mit Männern haben (»MSM«) konzentrieren. Ich sage »irgendwie«, aber eigentlich weiß ich genau, wie es kommt, dass diese Idee Fuß fassen konnte: In über zwei Jahren Covid haben wir uns davon überzeugen lassen, dass Krankheiten eine moralische Qualität haben, dass es ein moralischer Makel ist, krank zu werden und, vor allem, andere mit einer Krankheit anzustecken. Wir sollten bereits aus der AIDS-Krise gelernt haben, wie gefährlich dieses Denken ist: Das Kernproblem der (Nicht-)Reaktion vieler Regierungen war damals nicht die Beobachtung, dass schwule Männer besonders betroffen waren;1 sondern die Schlussfolgerung daraus, dass man deshalb nichts gegen die Krankheit tun müsste, weil diese Menschen es nicht anders verdient hätten.

Und wenn man dieses moralisierende Denken nicht weiter hinterfragt, und dann versucht, es mit seinen anderen Überzeugungen als einer von den Guten zusammenzubringen, entstehen halt solche logischen Ketten:

  1. Es ist ein moralischer Fehlschlag, krank zu werden.
  2. Aber es ist nicht unmoralisch, als Mann Sex mit anderen Männern zu haben.
  3. Wenn beide diese Annahmen wahr sind, und ich dann sage, dass derzeit besonders »MSM« krank werden, sage ich, dass besonders MSM moralisches Fehlverhalten zeigen, und stigmatisiere damit eine Gruppe von Menschen.
  4. Aber ich stigmatisiere keine Gruppen von Menschen, denn ich bin einer von den Schlauen, Guten.

Es gibt ja durchaus eine Gefahr der Stigmatisierung von Männern, die Sex mit Männer haben. Rechte versuchen ja bereits, die Verbreitung von Affenpocken besonders unter dieser Gruppe von Menschen für ihre Narrative zu missbrauchen. Aber die Antwort darauf kann doch nicht sein, die überwältigende Evidenz zu ignorieren, die darauf hindeutet, dass derzeit besonders diese Gruppe von Menschen betroffen ist — und im Zuge dessen notfalls sogar eine andere Gruppe von Menschen zu stigmatisieren, die uns irgendwie egaler ist, hier die mit sichtbaren Hautkrankheiten.

Stattdessen muss die Antwort sein, dem Aufladen von Infektionskrankheiten mit moralischem Gewicht entgegenzuwirken. Anzuerkennen, wer derzeit besonders gefährdet ist, und gleichzeitig deutlich zu machen, dass das nicht Konsequenz von moralischem Fehlverhalten ist. Dass krank zu werden und, ja, auch andere Anzustecken, nicht zwangsweise Ergebnis persönlicher Rücksichtslosigkeit ist. Und zu reagieren nicht, indem man Verhalten anprangert, sondern indem man sich dafür einsetzt, dass Ressourcen dort angewandt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, wo die Ressourcen derzeit nicht gebraucht werden: Derzeit gibt es etwa nur sehr begrenzt Impfstoff gegen Affenpocken, und es wäre eine Verschwendung, würden wir Teile davon Menschen geben, die nicht zu der Gruppe gehören, die das größte Risiko hat, zu erkranken, aber die sich große Sorgen machen, weil sie in der U-Bahn neben jemandem mit Hautausschlag saßen.

Das ist eine durchaus komplexe kommunikative Herausforderung! Man muss dafür erstmal davon ausgehen, dass unsere Mitmenschen nuancierte Informationen genauso gut verstehen wie wir selbst. Dass die meisten von ihnen auch schlau und gut sind und mit klar kommunizierten, auch komplexen und sensiblen Informationen umzugehen wissen. Aber genau das ist natürlich schwierig für die Art Mensch, die auf einen Post wie den von Turnbull anspringt: eben die Sorte Mensch, die auch glaubt, dass das größte Problem in den letzten zwei Jahren die mangelnde Eigenverantwortung gewesen wäre, obwohl die meisten Menschen nachweislich durchgehend verantwortlich gehandelt haben. Die Sorte Mensch, die sich so sicher ist, zu den Schlauen und Guten zu gehören, dass sie ihre eigenen, gefährlichen Denkmuster nicht mehr hinterfragen.


Update: Die Person auf dem Foto hat sich mittlerweile selbst zu Wort gemeldet und — das wird euch jetzt schockieren — erklärt, dass sie keine Affenpocken habe, sondern die nicht ansteckende Krankheit Neurofibromatose. Und dass sie nie mit Henriques gesprochen habe.

Was für ein Plot-Twist: Die Menschen, die ungefragt eine fremde Person in der U-Bahn fotografiert, das Foto auf Twitter gesharet und die Person dann basierend auf unverlässlichen, widersprüchlichen Informationen verurteilt haben, standen auf der falschen Seite. Wer hätte das ahnen können — außer ich und absolut jede*r, der*die Geschichten, die Panik über ansteckende Krankheiten verbreiten, mit derselben gesunden Skepsis begegnet wie Geschichten, die sie verharmlosen.


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  1. Auch wenn natürlich die Annahme falsch war, dass nur schwule Männer erkranken könnten.↩︎

July 31, 2022 affenpocken covid twitter shaming dogpiling libs pandemie krankheit gesundheit deutsch text

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Wie Spotify unabhängiges Podcasting bedroht (& warum ihr nicht Anchor nutzen solltet, wenn ihr im Jahr 2022 Audio-Inhalte ins Netz stellen wollt)

Was ist ein »Podcast«?

Bevor Podcasts in der Mitte der Gesellschaft ankamen, wurde ich das gelegentlich von älteren Verwandten gefragt, und genau wie auf die Frage »Was ist ein Blog?« fand ich es schwierig, eine befriedigende Antwort zu geben — oder zumindest: eine befriedigende für beide Seiten. Meistens sagte ich am Ende sowas wie, »Das ist wie Radio im Internet, nur, dass du’s hören kannst, wann du willst«, und den Fragenden reichte das; ich allerdings war unzufrieden mit meiner Antwort, denn eine der für mich wichtigsten Eigenschaften von Podcasts hatte ich nicht erwähnt, weil ich nicht glaubte — oder, seien wir ehrlich, keine Lust hatte, es zu versuchen —, dass ich den Fragenden verständlich machen könnte, was genau das ist und warum es wichtig ist: die Technologie hinter Podcasts. Gemeint sind nicht Smartphones oder Computer oder, obwohl Podcasts bekanntlich danach benannt sind, iPods; gemeint ist die Technologie, mit der Podcasts vertrieben werden, die überhaupt erst aus einer Reihe von Audiofiles einen Podcast macht: RSS.

RSS, für diejenigen, denen es kein Begriff ist, steht entweder für »Really Simple Syndication« oder für »RDF Site Summary« oder für was anderes oder für gar nichts, so genau weiß das kaum jemand mehr. Es ist ein Dokument in der Markup-Sprache XML, das Daten, zum Beispiel Blog-Posts oder News-Artikel oder eben Podcasts, in eine strukturierte, maschinenlesbare Form bringt; ein RSS-Dokument enthält für gewöhnlich Überschrift und Inhalt eines Posts oder Artikels (oder eine Kurzform) — bei Podcasts die Episodenbeschreibung —, sowie Metadaten wie den Namen des*der Autor*in, das Veröffentlichungsdatum und, für Podcasts, einen Verweis auf die zugehörige Audiodatei. Über einen solchen RSS1-»Feed« können User*innen nun, mittels Programmen wie RSS-Readern oder »Podcatchern«, regelmäßig aktualisierte Inhalte abonnieren; Reader, Podcatcher oder ähnliches interpretieren Inhalt und Metadaten, können Veröffentlichungen so einem Podcast, einer Website oder ähnlichem zuordnen, sie chronologisch ordnen und auch die Feeds mehrerer Quellen in einer gemeinsamen Timeline aggregieren.

RSS ist eine der essenziellen Technologien des Open Web. Es ist ein nahezu universelles, sowohl für Menschen als auch für Maschinen einfach zu lesendes offenes Format; es gibt User*innen eine Menge Kontrolle darüber, wie sie Inhalte konsumieren wollen: Sie können sich ihren Reader oder Podcatcher und damit auch die Präsentation sowie die Ordnung/Gruppierung der Inhalte aussuchen. Und anders als beispielsweise bei einem Email-Newsletter müssen User*innen für ein RSS-Abo den Anbieter*innen keine Daten preisgeben. Gleichzeitig verweisen die Metadaten von RSS-Feeds stets auf die Urheber*innen, die auch die Kontrolle über ihre Inhalte behalten: Editieren oder löschen sie etwas, wird die Änderung — wenn auch oft mit einer gewissen Verzögerung — im Feed reflektiert.

Unter anderem Social-Media- und Streaming-Plattformen — allen, die im Netz Silos bauen wollen — ist RSS daher ein Dorn im Auge: Es steht im Gegensatz zu algorithmusbasierter Präsentation von Inhalten, und es arbeitet aktiv gegen Versuche, User*innen an die eigene Plattform und ihre User-Experience zu binden. Facebook und Twitter boten in ihrer Anfangszeit RSS-Feeds an, haben diese Funktionen mittlerweile allerdings entfernt (oder sehr gut versteckt). Die hier schon mehrfach erwähnte Alternative micro.blog ist deshalb so spannend, weil sie um RSS designt ist, sodass eine neue, offene Art von Social Media entsteht, eine, die über die eigenen Grenzen hinaus, mit deutlich weniger Einschränkungen als etablierte Social-Media-Plattformen, kommunizieren kann.

Und RSS ist eben auch ein fundamentaler Teil der DNA von Podcasts. Der Erfolg von Podcasts als Medium liegt in seiner Intimität, darin, dass Podcasts dorthin kommen, wo der*die Hörer*in ist. Dazu gehört, dass man Podcasts hören kann, wann man will, und wo auch immer man sich in der physischen Welt aufhält: Audio-Content, anders als Video oder Text, kann »nebenbei« konsumiert werden — während der Arbeit, beim Autofahren etc. —, und anders als klassisches Radio sind Podcasts auch nicht an einen festen Zeitplan gebunden. Es gehört aber auch dazu, dass Podcasts in der digitalen Welt zum*zur Hörer*in kommen: dass wir entscheiden können, welches Gerät und welche App wir nutzen, um sie zu hören und/oder zu abonnieren — ob wir sie im Podcatcher, Audio-Player, oder, wenn wir auf Schmerzen stehen, direkt im Browser abspielen —, ob wir sie streamen oder herunterladen, ob wir sie mit erhöhter Geschwindigkeit oder, keine Ahnung, einem lustigen Voice-Filter abspielen. All das ist möglich, weil Podcasts über RSS vertrieben werden.

RSS ist auch, schlicht und einfach, was Podcasts ursprünglich möglich gemacht hat. Mittlerweile gibt es natürlich dutzende Plattformen, die das Hosting und Vertreiben von Podcasts als Service anbieten: User*innen erhalten ein gewisses Kontingent an monatlichem Speicherplatz, um neue Episoden hochzuladen, und die Plattform generiert automatisch einen RSS-Feed. Vor dem Aufkommen dieser Plattformen allerdings war es die Tatsache, dass ein RSS-Dokument nicht nur relativ einfach zu lesen und zu verstehen, sondern auch einfach zu schreiben ist, die Podcasts — mit ihrer episodischen Veröffentlichung und der Möglichkeit für Hörer*innen, sie zu abonnieren — möglich machte.

Anchors »Rundum-Sorglos-Paket« für Podcaster — und der Haken

Mit alldem im Hinterkopf, reden wir über Anchor.fm. Anchor ist eine ursprünglich auf kurze Clips — eine Art Tiktok für Audio — ausgerichtete, mittlerweile aber auf das Hosten von Podcasts neuorientierte Plattform. Gegründet 2015, wurde die Plattform 2019 von Spotify gekauft. Laut eigener Aussage werden die meisten Podcasts weltweit bei Anchor gehostet — 80% aller neu gestarteten Podcasts, heißt es auf der Website, werden bei Anchor kreiert. Ich weiß nicht, ob diese Zahl so ganz stimmt, aber Zweifel daran, dass Anchor einer der beliebtesten Podcast-Hosts ist, habe ich nicht: Die Plattform ist simpel, anfängerfreundlich und vor allem kostenlos und frei von Limits. Podcaster*innen können beliebig viele Episoden von beliebiger Größe in beliebiger Frequenz hochladen und veröffentlichen, ohne einen Cent zu bezahlen. Keine andere mir bekannte Plattform kann mit diesen Konditionen mithalten.2

Gut, ihr wisst, wohin Texte wie dieser für gewöhnlich führen, also fragt ihr euch bereits: Wo ist der Haken? Und die Antwort ist…eigentlich nirgendwo. Noch. Wenn man weiß, was man tut. Was, bedenkt man, dass Anchor sich spezifisch an Menschen vermarktet, die Podcaster*innen werden wollen, ohne so genau wissen zu müssen, was sie tun, halt nicht zwangsweise gegeben ist.

Dass eine kommerzielle Plattform wie Spotify, wenn sie einen kostenlosen Dienst wie Anchor bereitstellt, noch andere Ziele verfolgt außer User*innen einen geilen Service zu liefern, sollte klar sein; man sollte sich halt bewusst machen, welche Ziele genau das sind, und sich fragen, ob man daran mitwirken möchte. Auf diese Frage kommen wir im Folgenden zu sprechen, aber lasst uns das ganze ein Bisschen von hinten aufziehen: Wie Anchor die Ziele seiner Mutterplattform umzusetzen versucht, ist ziemlich clever — und ziemlich perfide.

Anchor verkauft sich als Rundum-Sorglos-Plattform für Menschen, die einen Podcast starten wollen, ohne sich groß mit der Technik und Verwaltung beschäftigen zu müssen. Und dann spekulieren sie darauf, dass genau diese Menschen nicht merken, welchen, nun, Bullshit Anchor ihnen unter dem Vorwand der Nutzerfreundlichkeit unterjubelt. Technisch gesehen lässt sich all der Bullshit abstellen oder umgehen, sogar (noch) sehr einfach, sodass sich Anchor immer elegant rausreden kann; aber das Abstellen oder Umgehen verlangt genau die Kenntnis von Technik (und in Zukunft vielleicht auch den Verwaltungsaufwand), die man ja gerade überspringen will, wenn man eine Plattform wie Anchor nutzt.

So bot Anchor bisher beispielsweise eine »One-Click-Distribution« zu Apple Podcasts an. Was sie nicht explizit machten war allerdings, dass der Podcast dann unter der Anchor-eigenen Apple ID hochgeladen und eine zufällig generierte Email mit Anchor-Domain als Kontaktadresse angegeben wurde (die nichtmal auf die im Anchor-Account angegebene Email weiterleitete). So hatten User*innen, die die »One-Click-Distribution« nutzten, keinen Zugriff auf die deutlich detaillierteren Statistiken von Apple und konnten von Apple oder Hörer*innen nicht per Email kontaktiert werden. Man konnte, verborgen in den »Advanced Options« des Anchor-Accounts, einstellen, dass die eigene Email im RSS-Feed gelistet wurde, und dann bei Apple anfragen, den Podcast zu einer eigenen Apple ID zu transferieren; aber a) musste man dafür erstmal wissen, dass es nicht normal ist, dass Podcast-Hosts Podcasts so bei iTunes/Apple einreichen, & b) hatte man so im Endeffekt mehr Aufwand als hätte man den Podcast selbst bei Apple eingetragen.

Im letzten Jahr hat Anchor Änderungen vorgenommen, die auf die Kritik an diesem System eingingen — die Gelegenheit aber auch für neuen Bullshit genutzt. Unter dem Titel »Evolving Anchor distribution to meet the needs of new creators« schrieb »Co-Founder, Anchor and Ex-Head of Podcasts, Spotify« Michael Mignano damals:

We’ve heard from creators that it’s increasingly important for them to submit their shows to listening platforms (including Apple Podcasts) themselves, rather than Anchor doing so on their behalf. We’ve recognized that by doing so, it will make it easier for creators to access many of the new features and services podcast platforms are offering. So, starting later this summer, we’ll help guide new creators on how to submit their podcast for review to Apple Podcasts and other platforms themselves through a series of detailed and easy-to-follow steps, rather than Anchor doing it for them.

OK, so weit, so gut, schätze ich. Aber es wird noch…interessanter. Unter der Zwischenüberschrift »Greater control over which platforms ingest, publish, and monetize creators’ content« schreibt Mignano:

As more and more new audio platforms emerge and look to capitalize on the growing audio space, it’s important that creators have control over which platforms are aggregating their content from the web (and in some cases, building their own businesses on top of creators’ content without their consent). Currently, when a creator launches a new podcast on most podcast creation platforms (including Anchor), the platform automatically generates an RSS feed and publishes it to the open web. This published RSS feed makes it possible for any platform or website to ingest the RSS feed, and display and even monetize the content. This can happen without explicit permission from the creator. As part of our distribution update, we will only generate an RSS feed if the creator explicitly wants one (and we’ll present clear options on how to do so at the time of publish). This will ensure that each creator can explicitly choose to publish their podcast with an RSS feed (therefore enabling any platform to ingest, display, and monetize that content) rather than it happening automatically without the creator’s consent.

Das steht im Widerspruch zu dem, was Mignano weiter oben angekündigt hat. Ohne einen RSS-Feed kann man seinen Podcast nicht bei Apple einreichen, oder bei Google, oder sonstwo.3 Ich finde es einigermaßen…verwirrend, User*innen einerseits zu sagen: Hey, wir zeigen euch, wie ihr ganz simpel selbst euren Podcast bei Verzeichnissen einreichen könnt, damit ihr die volle Kontrolle und Zugriff auf alle Statistiken habt; und gleichzeitig zu warnen: Die Technologie, die dafür erforderlich ist, führt dazu, dass ihr die Kontrolle über euren Podcast verlieren könntet, also schalten wir sie lieber erstmal ab.

Es ist wieder die bekannte Strategie: Technisch gesehen kann man sich bei Anchor ohne Probleme einen RSS-Feed generieren lassen, wie bei jedem anderen Podcast-Host auch; aber ich weiß nicht, ob die Sorte Einsteiger*in, an die Anchor sich vermarktet, da weiß, was die bessere Entscheidung ist. Oder ob der*die ein oder andere von ihnen nicht spätestens, sobald er*sie ein Pro/Contra zu irgendeiner obskuren Web-Technologie liest, abschaltet, entscheidet, sich nicht damit befassen zu wollen, und deswegen halt die Standard-Einstellungen akzeptiert.

Die bessere Entscheidung, nebenbei, ist natürlich, einen RSS-Feed anzubieten. Nicht nur aufgrund der oben genannten Vorteile von RSS, sondern auch, weil die von Anchor genannten Risiken tendenziell Quatsch sind. Ich weiß nicht, wie genau RSS irgendeine shady Plattform dazu befähigen soll, einen fremden Podcast zu monetarisieren4 — ich schätze, indem man den Inhalt einbindet und Werbung drum herum schaltet? Aber das kann ich auch mit einem Spotify-Player. Keine Ahnung, vielleicht macht ein RSS-Feed es minimal leichter, sowas zu automatisieren, aber ich mein, RSS zeigt noch immer auf den*die Urheber*in, also hilft das am Ende doch irgendwie euren Stats, und ein RSS-Feed gibt halt euch und euren Hörer*innen neue Freiheiten. Und das mit der Email hatten wir ja schon. Ich kann mir schlicht kein Szenario vorstellen, in dem die Vorteile eines RSS-Feeds die möglichen Nachteile nicht deutlich überwiegen.

Zugegeben: In der Praxis, das habe ich mit einem Wegwerf-Account ausprobiert, sind die mittlerweile umgesetzten Änderungen erstmal halb so wild: Wer bei Anchor einen Podcast anlegt, landet nach ein paar Schritten auf einer Seite, auf der die (nicht optionale) Veröffentlichung bei Spotify bestätigt wird. Weiter unten auf derselben Seite findet man einen Button, über den man einen RSS-Feed generieren kann, was, wie die Seite richtig informiert, nötig ist, um den Podcast bei anderen Plattformen einzureichen (was man nun selbst übernehmen muss). Ein kleines Fragezeichen-Icon führt zu den Support-Seiten von Anchor, auf denen das Konzept »RSS« erklärt und außerdem gewarnt wird, dass durch das Generieren des Feeds technisch gesehen die eigene Email-Adresse öffentlich wird.5

Ein überflüssiger Schritt also — das Generieren eines RSS-Feeds sollte keine optionale Funktion sein —, aber immerhin ist dieser bislang nicht irgendwo in einem Menü versteckt. Wahrscheinlich wird das nicht viele Menschen davon abhalten, einen Feed für ihren Anchor-Podcast zu generieren. Andererseits: Wenn es eine Person davon abhält, ist mir das schon zu viel. Und man sollte das auch nicht unterschätzen: Wann immer ich erwähne, dass ich einen Podcast habe, ist schon jetzt in 9 von 10 Fällen die erste Frage meines Gegenüber: »Ist der auf Spotify?« Für viele ist Spotify, tragischerweise, nicht nur die App ihrer Wahl, um Podcasts zu hören, sie haben sich noch nichtmal groß damit beschäftigt, dass es andere (bessere) Optionen gibt; ich kann mir durchaus vorstellen, dass der*die ein oder andere denkt: »Reicht doch, wenn mein Podcast auf Spotify ist, ich kenn eh niemanden, der was anderes benutzt.«

Vor allem aber traue ich Anchor nicht, dass es dabei bleibt. Nicht nur, weil ich weiß, wie Tech-Firmen nunmal operieren, sondern auch, weil Mignano seine RSS-Skepsis kürzlich in einem weiteren Medium-Post bekräftigt hat. »The Standards Innovation Paradox« heißt der, und es ist ein durchaus faszinierender Einblick in den Kopf eines Menschen mit fortgeschrittenem Fall von Founder-Brain.

Es gibt kein »Standards Innovation Paradox«

Mignano betont in seinem Text ungefähr 68 mal, wie grundsätzlich super technologische Standards wie eben RSS seien, so, wie man beim Schlussmachen halt auch immer mit »Du bist super, ehrlich!« anfängt. Gleichzeitig zeichnet er Standards aber als Gegner der Innovation: Sie entwickelten sich nur sehr träge weiter, was zum Beispiel der Grund dafür sei, dass das Podcast-Format seit seiner Einführung vor 20 Jahren weitestgehend stagniere:

Despite the benefit of standards-based products being able to reach an audience faster, the tradeoff is that a lower barrier to entry means more products get created in a category, causing market fragmentation and ultimately, a slow pace of innovation. I call this tradeoff the Standards Innovation Paradox[.]

Lassen wir für den Moment mal beiseite, ob das so stimmt — ob Standards wirklich Innovation erschweren oder verlangsamen: Ist es nicht allein schon interessant, dass Mignano »market fragmentation« als Hindernis für Innovation sieht? Lautet die Standard-These neoliberaler Propaganda nicht für gewöhnlich, dass gerade Wettbewerb, gerade die Möglichkeit der Endverbraucher*innen, zwischen vielen Optionen zu wählen, Innovation fördere? Geht es hier wirklich um die Unmöglichkeit von Innovation, oder vielleicht doch eher darum, dass diese »market fragmentation« es Giganten wie Spotify erschwert, eigene Standards zu diktieren oder gleich der »Standard«, i.e. der einzig relevante Anbieter, zu sein?

Interessant auch, was Mignano so an »Innovationen« einfällt, die an der Hürde des RSS-Standards scheitern:

For example, let’s say we wanted to enable a comments section for podcast episodes and have these comments be available within a show’s RSS feed. Unless we were able to get hundreds of podcast listening apps out there to adopt the change, the comments wouldn’t be supported on the listening side of podcasting. Without this support, there would be no incentive for creators to adopt and engage with comments either, and the feature would immediately fail.

As another example, let’s say we wanted to build a richer, more dynamic system for podcast analytics that enabled creators to better understand the performance of their shows, thus increasing their earnings potential through modern forms of internet advertising. Unless we were able to get hundreds of podcast listening apps out there to adopt the proposed change, getting the richer data from the listening apps back to the publishing platform wouldn’t be possible, and the innovation would fail.

Das ist halt die Sorte Gedanke, die man hat, wenn man ausschließlich aus Sicht eines profitorientierten Großunternehmens anstatt aus der der User*innen denkt. Es ist bezeichnend schwammig, was genau Mignano mit »richer, more dynamic« meint, aber ich sehe erstmal zwei Ansatzpunkte, Podcast-Analytics zu verfeinern: Entweder bei der Auswertung von Daten — was völlig unabhängig vom RSS-Standard von jedem Podcast-Hoster individuell gelöst werden kann.

Oder aber beim Sammeln von Daten. Da spielen die Möglichkeiten des RSS-Standards tatsächlich eine Rolle. Nur ist es kein Bug, sondern ein Feature von RSS, dass kaum Nutzungsdaten gesammelt werden. Anzahl, Ort, Zeitpunkt und »User-Agent« (die benutzte App) sind im Grunde alle Daten, die man als Podcaster*in zur Verfügung hat — und das ist gut so: Klar könnte es, aus Sicht von Hosting-Plattformen und Podcaster*innen, irgendwie nützlich sein, hätte man etwa, ähnlich wie bei YouTube, Informationen darüber, ob die Hörenden Folgen vollständig hören oder vorher abbrechen, oder welche anderen Vorlieben für Podcasts (etc.) sie haben, oder demographische Daten wie Alter, Geschlecht usw. Aber als Hörer von Podcasts bin ich einigermaßen froh, dass dieser eine Bereich meines Medienkonsums noch (relativ) unberührt ist von der Sorte Verletzung der Privatsphäre, die ~modern forms of internet advertising~ möglich machen.

Ähnliches gilt für Hörer*innen-Kommentare: Ich bin Mitglied diverser Podcast-Discord-Server und will daher gar nicht leugnen, dass Community-Funktionen einen Platz haben. Aber besser aufgehoben sind die eben in Discords oder Subreddits — wollte man Kommentare in Podcatchern darstellen, müssten diese Apps teils von Grund auf anders designt werden, auf jeden Fall würden sie langsamer und unübersichtlicher; und am Ende könnte die User-Experience doch nicht mit der von Apps mithalten, die tatsächlich von vornherein für solche Funktionen gedacht sind. Ganz unabhängig davon, dass nicht jede*r Hörer*in mit der Community interagieren will.

Das ist halt das Ding an dem, was im Spätkapitalismus so »Innovation« genannt wird: Was für das Kapital ein Fortschritt ist, kann für den Endverbraucher ein Rückschritt sein. Wir haben schon genug Apps auf unseren Handys, die, damit sie uns besser ausspionieren und mehr Engagement generieren können, überfrachtet mit sinnlosen Funktionen und entsprechend krampfig zu benutzen sind. Der RSS-Standard mag gelegentlich auch echte Innovation verlangsamen oder erschweren;6 gleichzeitig schützt er aber auch vor dieser Art »Innovation« im Sinne von Tech-Konzernen statt User*innen. Kann man so oder so sehen, aber für mich ist es dieser Tradeoff wert.

Spotify, meint Mignano, habe den »Fluch« des Standard Innovation Paradox gebrochen:

A few years ago, the streaming audio giant evolved from being only a music service to being one for other categories of audio, such as podcasts. Given the content and experience differences between music and podcasts, many hoped the company would launch a dedicated podcast listening app to offer users a clean separation between the two content types. However, if they had done so, they’d have to contend with the aforementioned ocean of podcast listening apps which were all offering users roughly the same features that were limited by the standard. It would be just as challenging to breakthrough for a Spotify podcast app as it has been for every other podcast listening app. So instead, Spotify used their existing music user base inside of the existing Spotify app to distribute podcasts to hundreds of millions of users.

Und technisch gesehen stimmt das so. Aber inwiefern das irgendeinen »Fluch« bricht, nun, das ist ebenfalls eine Frage der Perspektive. Aus User*innen-Sicht lässt sich dieser Vorgang auch so beschreiben: Spotify hat seine Dominanz in einem Sektor (Musik-Streaming) genutzt, um Kund*innen in einem anderen (Podcasts) ein minderwertiges Produkt zu verkaufen. Nämlich dieselbe alte Spotify-App, die für das Entdecken und Hören von Musik gemacht ist, weniger für das Abonnieren von Podcasts, und die so ziemlich die schlechteste App für den Konsum von Podcasts ist, die ich kenne.7 Spotify-User*innen kennen es halt nicht besser, aber dass Spotify sich, da es dank seinem Musik-Angebot bereits eine existierende Userbase hatte, nicht um Standards schert, hat eben nicht zu Innovation im Sinne der Nutzer*innen geführt, sondern dazu, dass Spotify nichtmal die Standard-Features, die jede andere Podcast-App hat übernahm: User*innen können bei Spotify etwa keine Podcasts abonnieren, die nicht Teil von Spotifys eigenem Verzeichnis sind — das geht, eben über das Eingeben einer RSS-Feed-Adresse, in so ziemlich jedem anderen relevanten Podcatcher. So lassen sich zum Beispiel die Bonus-Feeds, die viele unabhängige Podcaster*innen ihren Supporter*innen bei Patreon oder ähnlichem bereitstellen, nicht in Spotify abonnieren. Spotifys Ignorieren des RSS-Standards ist also auch nicht im Sinne unabhängiger Podcaster*innen: Wenn mich jemand fragt, ob mein Podcast bei Spotify ist, freue ich mich über den*die neue Hörer*in — weiß aber auch, dass diese Person weniger Anreize hat, meinen Podcast zu unterstützen, als Nutzer*innen anderer Apps, denn wer weicht schon nur für ein Bisschen Bonus-Content auf eine andere App als die gewohnte aus? Man kann auch bei Spotify Bonus-Inhalte anbieten — wenn man Anchor nutzt und auf deren integrierte Funktionen dafür zurückgreift. Die sind wahrscheinlich auch gar nicht schlecht, aber hier sieht man, was dabei herauskommt, wenn ein dominanter Konzern auf das Unterstützen technologischer Standards verzichtet: Der Weg für Monopolisierung wird bereitet.

Ein weiterer Bereich, neben Podcasts und, natürlich, Email-Newsletter,8 in dem laut Mignano Standards Innovation hemmen, sind übrigens Messenger, und das finde ich dann so richtig witzig: Gibt es irgendein besseres Beispiel dafür, wie das Fehlen von Standards Nutzer*innen aller Apps das Leben schwerer machen kann? Mignano schreibt:

Just think about how much iMessage has changed over the years. In the early days, it was indistinguishable from SMS. But now, it’s extremely rich with features like read receipts, photo galleries, face filters and Memojis, an App Store, voice memos, and the list goes on. And the same can be said about Snapchat, Messenger, WhatsApp, and many other proprietary messaging platforms. The only way these platforms were able to reach this level — and pace — of innovation was by building outside of the SMS standard (though, importantly, this came at the expense of being able to interact with other systems, thus limiting the potential audience).

Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich würde jedes dieser Features dagegen tauschen, dass iMessage, Telegram, WhatsApp & Co. miteinander kompatibel wären — wozu es einen gemeinsamen Standard bräuchte.9

Mignano versucht sich dann an einem versöhnlichen Ende:

It’s important to remember that customers like using products based on standards because doing so offers them choice and data portability. If a standards-based product happens to break through market fragmentation, it’s important to maintain the benefits users got from the standard in the first place, otherwise you risk alienating your users and losing product market fit. The best way to do this is to ensure backwards compatibility with the standard.

Hier bringt er als Beispiel erneut Apples iMessage — und bezeichnenderweise nicht Spotify. Spotify ist eben in mancher Hinsicht nicht »backwards compatible«, zum Beispiel eben nicht mit RSS-Feeds von Podcasts, deren Urheber*innen sie nicht selbst bei Spotify eingetragen haben. Spotify bietet auch keine »data portability«: Es kann weder eine OPML-Datei mit den abonnierten Podcasts exportieren, noch eine von einer anderen App generierte importieren. Das heißt: Wer als User*in von oder zu Spotify wechseln möchte, muss von null anfangen, hat keine Möglichkeit, bisherige Abos, gespielte Folgen etc. zu übernehmen.

Die Netflixisierung von Podcasts

Wäre Mignano also wirklich etwas daran gelegen, dass Produkte, die sich trotz »market fragmentation« durchsetzen, die »benefits users got from the standard in the first place« behalten, wäre hier ein guter Punkt, um Kritik an seinem Mutterkonzern zu üben. Natürlich tut er das nicht. Denn trotz aller Beteuerungen, wie großartig er Standards finde, ist Mignanos Beweggrund für das Schreiben dieses Textes offensichtlich: Es nervt ihn, dass Spotify und Anchor nicht einfach ihre gewünschten »Innovationen« diktieren können. Aber er weiß gleichzeitig, dass der RSS-Standard für Podcasts zu gefestigt ist, als dass selbst Spotify und seine Tochterfirma sich auf einen Schlag ganz von ihm verabschieden könnten — noch: Noch muss Anchor das Generieren eines RSS-Feeds für andere Plattformen als Spotify zumindest anbieten. Noch muss Spotify wenigstens das Einreichen von RSS-Feeds durch Podcaster*innen selbst akzeptieren. Aber Spotify träumt von einer anderen Welt: einer, in der sie jeden Teilabschnitt der Podcast-Pipeline — vom Erstellen10 über das Hosten bis zum Vertrieb, der Monetarisierung und natürlich dem Konsum von Podcasts — monopolisiert haben. Und in der sie nach Belieben all die Grausamkeiten, die so ziemlich allen anderen Bereiche unseres Internet- und Medienkonsums den Spaß genommen haben — moderne, »dynamische« Formen der Werbung zum Beispiel — auch hier einführen können, unilateral, ohne von Lästigkeiten wie »demokratisch vereinbarten Standards« behindert zu werden.

Kurz: Spotify will die Netflixisierung von Podcasts. Ja, sie wollen die Definition des Wortes »Podcast« ändern: weg von einem dank leicht zugänglicher und offener Technologie vor allem von leidenschaftlichen Amateur*innen und unabhängigen Kreativen geschaffenen Medium hin zu einer Art Content, die auf einer (geschlossenen, proprietären) Plattform erscheint. Sie wollen mit einem Netflix-Modell Geld abgreifen, solange im Bereich »Audio-Streaming« was zu holen ist.11 Das Aufkaufen von Anchor ist genauso Teil der Strategie wie das Anwerben von beliebten, einst unabhängigen oder zu kleinen Netzwerken gehörenden Podcasts wie den Gimlet-Shows oder, ja, Joe Rogans Podcast, die nun exklusiver Streamingcontent für Spotify sind. Und, ja, auch Anchors zunächst kleine Schritte weg vom RSS-Standard und Mignanos muddying the waters-Texte, die RSS als irgendwie shady und Hindernis für Innovation darstellen, sind Teil dieser Strategie.

Noch ist Spotify recht weit davon entfernt, diese Welt endgültig geschaffen zu haben,12 aber absurd ist ihre Zielsetzung auch nicht: Die, ugh, Podcast-Industrie ist in den letzten paar Jahren explosionsartig gewachsen, und es gibt schon jetzt eine Generation von Podcast-Hörer*innen, die Podcasts vor allem als ein Angebot von Streaming-Plattformen kennen, für die der prototypische Podcast nicht mehr »drei Freund*innen machen zusammen Witze, erzählen Geschichten und nehmen das auf« ist, sondern »ein*e Redakteur*in einer Online-Plattform löst in überproduzierter aufwändig gestalteter Soundkulisse ein Verbrechen«. Und das ist ja auch okay, aber es ist wichtig, dass wir daneben auch unabhängiges Podcasting schützen. Wir dürfen Audio-Content im Netz nicht an große Plattformen aufgeben, wie wir es vorher, als wir unsere Blogs haben brachliegen lassen, mit dem geschriebenen Wort getan haben.

Ich wiederhole meine Frage: Was ist ein Podcast? Für den nach eigener Aussage beliebtesten Podcast-Host ist es: eine Reihe von Audio-Inhalten, die bei Spotify erscheint. Und die, ja, außerdem, noch, auf anderen Plattformen ausgespielt und über einen RSS-Feed frei im Netz verfügbar gemacht werden kann, aber nicht muss. Und vielleicht gibt es irgendwann auch nichtmal mehr die Option. Und für Spotify selbst ist es (idealerweise exklusiver) Content, der über ihre proprietäre App (und idealerweise nur so) abrufbar ist.

Was heißt das jetzt für euch? Nun, wenn ihr Podcasts hört, und zwar auch mal was anderes als True Crime oder Fest & Flauschig oder wie das gerade heißt, dann kann ich euch nur empfehlen, es wenigstens mal mit einer anderen App als Spotify zu versuchen. Viele gute — etwa Castro und mein Favorit Overcast auf iOS — sind zumindest in der Grundversion (die schon viel besser ist als Spotify) kostenlos. Ich kann mir wirklich schwer vorstellen, dass irgendjemand Spotify noch bevorzugen würde, wenn man mal was anderes probiert hat. Die exklusiven Spotify-Shows sind eh scheiße müsst ihr, wenn ihr denn müsst, natürlich weiter in dieser furchtbaren App hören, aber kommt, ihr habt drei verschiedene Video-Streaming-Services abonniert, ihr könnt euch an eine zweite App gewöhnen, in der ihr alle Podcasts außer Spotify-Exclusives hört. Und vielleicht findet ihr ja in einem unabhängigen Podcast-Verzeichnis wie Panoptikum.io oder fyyd Alternativen, die euch am Ende eh besser gefallen. Als (sehr) kleinen Anreiz: Wenn ihr nach diesem Text einen neuen Podcatcher installiert, kommentiert hier, für welchen ihr euch entschieden habt oder schickt mir nen Screenshot in den sozialen Medien oder so und ich geb euch kostenlos Zugang zum aktuellen Bonus-Feed von The Magic Circle (den ihr dann auch tatsächlich nutzen könnt)!

Und für (angehende) Podcaster*innen? Nutzt Anchor, wenn ihr meint, dass das der richtige Host für euch ist,13 und veröffentlicht euren Podcast auf Spotify, wenn ihr es sinnvoll findet (mach ich derzeit auch, aber ich weiß nicht, wie lange noch). Aber achtet darauf, dass ihr die »optionale« RSS-Funktion aktiviert und euren Podcast auch anderswo gelistet habt.

Denn: Bei meiner Antwort auf die Frage »Was ist ein Podcast?« halte ich es mit Dave Winer. Bei offenen Standards ist das ja nie so ganz genau zu bestimmen und das ist auch gut so, aber wenn irgendjemand den Namen »Erfinder von Podcasts« verdient hat, ist Winer ein guter Kandidat. In seiner eigenen Reaktion auf Mignanos »Standard Innovation Paradox« schreibt er:

Podcasts are RSS 2.0 feeds with enclosures that contain the podcast content. Anything that doesn’t use a feed to distribute the audio isn’t a podcast, and shouldn’t use that name.

Wenn eure Audio-Inhalte nicht über einen offenen, frei im Netz auffindbaren Feed verfügbar sind, dann nehmt ihr keinen Podcast auf, sondern exklusiven Audio-Content für eine Streaming-Plattform. Daran ist grundsätzlich nichts falsches — wenn Spotify, oder wer auch immer die betreffende Plattform ist, euch dafür bezahlt. Ansonsten lasst ihr euch, auch, wenn es sich vielleicht anfühlt, als würdet ihr einen (von mir aus sogar kostenlosen!) Service nutzen, schlicht und einfach ausbeuten. Ihr arbeitet dann, unbezahlt, nicht nur im Dienste eines Konzerns, sondern auch im Dienste einer fragwürdigen Definition von »Innovation«, die dafür verantwortlich ist, dass das Internet immer user-unfreundlicher wird, und die die Existenz offener Standards, und damit die unabhängiger, niederschwelliger Medien, explizit als Hindernis sieht, das es zu überwinden gilt.


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  1. »RSS« ist eigentlich ein Oberbegriff für verschiedene Formate, aber Grundprinzip und Anwendung sind weitestgehend dasselbe.↩︎

  2. Mit Ausnahme des Internet Archives, allerdings ist deren eher dafür gedacht, Podcasts zu archivieren als aktive Podcasts zu hosten. Heißt: Man muss dann auf wichtige Funktionen wie z.B. Analytics verzichten.↩︎

  3. Apples »Podcast Connect« hat tatsächlich die Funktion »Sendung ohne RSS-Feed hinzufügen«. Das bedeutet aber, dass man seinen Podcast ausschließlich über Apples Plattform managet und er auch nur über Apple Podcasts verfügbar sein wird. Wenn man seinen Podcast bereits bei Anchor hostet, ist diese Funktion irrelevant (und benutzen sollte sie eh niemand).↩︎

  4. Nebenbei ist dieses Concern-Trolling ziemlich ironisch, wenn es von Anchor of all fucking places kommt: Vor einer nach Kritik vorgenommen Änderung der AGB nahm Anchor sich das Recht, jeden bei ihnen hochgeladen Podcast selbst zu monetarisieren und »derivative works« zu kreieren. Noch immer geht ein großer Anteil an mit dem optionalen »Anchor Sponsorships«-Programm generierten Einnahmen an Anchor.↩︎

  5. Ich kann durchaus verstehen, dass das nicht jede*r möchte — aber, ähh: Email-Adressen sind kostenlos. Wer nicht seine private Email-Adresse veröffentlichen will, legt halt kurz eine neue spezifisch für den Podcast an. Eine Möglichkeit, auf die Anchor auffälligerweise nicht hinweist.↩︎

  6. Unmöglich macht er sie aber nicht. Ich mein, Podcasts selbst wurden durch eine Weiterentwicklung des bereits vorher existierenden RSS-Standards möglich gemacht. Und auch der Podcast-Standard hat sich, anders als Mignano behauptet, durchaus weiterentwickelt in den 20 Jahren seines Bestehens. Niemand redet heute etwa mehr von »Enhanced Podcasts«, aber die Funktionen, die dieses kurzzeitig buzzige Format möglich machten, sind noch immer in vielen Podcatchern unterstützt und haben durchaus ihren praktischen Nutzen. Derzeit gibt es die »Podcasting 2.0«-Initiative, die den Standard generalüberholen will und einige gute Ideen hat — und Gründe, sie kritisch zu sehen, wie etwa die Integration von Crypto-Währungen. Man sieht daran also sowohl, dass eben doch Innovation möglich ist, als auch, warum es gut ist, dass diese nicht einfach diktiert werden, sondern nach und nach breit adaptiert werden muss und somit effektiv demokratisch bestimmt wird.↩︎

  7. Und ich besitze mehrere Geräte, auf denen Apples unbenutzbare Podcast-App vorinstalliert war!↩︎

  8. Mit obligatorischem Verweis auf Substack und deren Modell, aber da fang ich jetzt nicht wieder mit an↩︎

  9. Das ist nebenbei etwas, das viele Digitalaktivist*innen gerne per Gesetz erzwingen würden, und aus gutem Grund: Ein sogenannter »Interoperabilitätszwang« könnte helfen, Tech-Monopole aufzubrechen, und Messenger sind ein naheliegender erster Angriffspunkt. Was im Umkehrschluss wiederum etwas über die Beweggründe hinter einem Text wie dem von Mignano verraten könnte.↩︎

  10. Mit Soundtrap bietet Spotify auch seinen eigenen Audio-Editor.↩︎

  11. Wohlwissend, behaupte ich, dass dieses Modell selbst bei Netflix nur kurz funktioniert hat. Auch bei Spotify dürfte das verzweifelte Versuchen, das Modell am Leben zu halten, eine schrittweise Verschlechterung des Angebots und der User-Experience zur Folge haben.↩︎

  12. Auch, weil Apple Podcasts und sein auch für andere Apps offenes Verzeichnis weiterhin einflussreich ist. Wenn Apple das kleinere Übel ist, sagt das schon einiges, und das ist hier definitiv der Fall: Apples Podcast-App ist unbenutzbar und sie machen mit den neuen Abos auch zaghafte Schritte Richtung einer Monopolisierung; aber sie unterstützen RSS-Feeds und respektieren den Standard, und sie lassen User*innen ihre Daten importieren und exportieren.↩︎

  13. Es gibt meiner Meinung nach bessere Alternativen, die auch bezahlbar sind: Der hervorragende deutsche Hoster LetsCast etwa kostet in der Basis-Version (die lediglich die maximale Anzahl der Abrufe, nicht die Funktionen einschränkt) 5€ im Monat, für beliebig viele Podcasts und Folgen. Für einen einzelnen Podcast könnt ihr etwa den schwedischen Hoster Pod.Space nutzen, deren »Mini«-Plan kostet 1,90€ im Monat. Beim Internet Archive könnt ihr sogar gratis hosten — wie erwähnt allerdings ohne nützliche Funktionen wie Analytics.↩︎

July 26, 2022 podcasting spotify anchor internet web rss feed deutsch text

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The Magic Circle Season 2 Teaser: Was besagt die »Small Penis Rule«?

Wir steuern langsam aber sicher auf Staffel 2 unserer Audio-Gameshow The Magic Circle zu! Hier ein weiterer Teaser aus einer neuen Auflage unseres Wikipedia-Quizzes: Was besagt die »Small Penis Rule« und warum hat Michael Crichton schon einmal von ihr profiert?

Alle Folgen hier.

June 21, 2022 video teaser podcast wiki quiz trivia michael crichton magicircle season 2 magicircle comedy deutsch audio

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The Magic Circle Season 2 Teaser: Welche Popkulturfigur beschreibt meine Mutter?

Wir sind noch immer bei den Aufnahmen für Staffel 2 von The Magic Circle, ein Bisschen müsst ihr euch also noch gedulden. Ich konnte aber nicht abwarten, dieses Spiel mit euch zu teilen: Ich habe meiner Mutter Bilder von Popkulturfiguren (Cartoon-Charaktere, Videospielfiguren etc.) gezeigt & sie visuell beschreiben lassen. Meine Kandidat*innen müssen erraten, um welche Figur es geht.

Hier könnt ihr weiterhin Staffel 1 hören und den Podcast abonnieren.

May 27, 2022 the magic circle magicircle podcast teaser quiz comedy audio deutsch video

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