The Fabelmans ist mehr als eine »Liebeserklärung an das Kino«

Es gibt ja kaum eine Art Film, die ich so sehr hasse, wie »Liebeserklärungen an das Kino« — besonders, wenn sie von »Altmeistern« gemacht werden, die seit 40 Jahren über nichts anderes als das Kino nachgedacht haben, wirken solche Filme auf mich oft selbstbeweihräuchernd und weltfremd. Entsprechend hatte ich meine Zweifel hinsichtlich Steven Spielbergs autobiographischem The Fabelmans, der bisweilen als genau solcher Film beschrieben wurde. Ich bin positiv überrascht, dass The Fabelmans ein anderer, interessanterer Film ist.

The Fabelmans ist ein Film darüber, wie der junge Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) seine Leidenschaft fürs Filmemachen entdeckt, ja. Der Film hat, natürlich, den Shot, den jede ~Liebeserklärung an das Kino~ haben muss: der Protagonist in seinem ersten Kinofilm, sein Gesicht beleuchtet vom Projektorlicht, staunend wie Ellie Satler beim Anblick der Dinosaurier. Auch auf Selbstzitate verzichtet Spielberg nicht, und man kann diesen Film durchaus als nostalgische Nabelschau gucken, als einen Film darüber, woher dieser große Künstler ~seine Ideen hat~; man kann zuschauen, wie Sammy und seine Freunde durch die Straßen der Vorstadt radeln, sich an E.T. erinnern und denken, »Ahh, daher kommt das also«.

Viel interessanter aber ist, wie Spielberg auch konfrontiert, was es kosten kann, sein Leben der Kunst zu verpflichten. In einer Sequenz werden die Fabelmans von Sammys Onkel Boris (Judd Hirsch) besucht, einem ehemaligen Löwenbändiger, der Sammy prophezeit, dass seine Obsession mit dem Filmemachen Opfer verlangen wird: »Art will give you crowns in heaven and laurels on Earth, but also, it will tear your heart out and leave you lonely.« Sammy liebe die Menschen in seinem Leben, ja, aber er würde die Kunst immer mehr lieben, behauptet Boris, und während Sammy das vehement abstreitet, geben das Drehbuch von Spielberg und Tony Kushner und Spielbergs Inszenierung Boris recht. In einer der herzzereißendsten Szenen des Films sieht Sammy in dem Moment, in dem sein Vater Burt (Paul Dano) den Kindern die Trennung von Mutter Mitzi (Michelle Williams) offenbart, während die Schwester schreit und weint, im Wandspiegel eine Vision seiner selbst, wie er das Geschehen teilnahmslos mit der Kamera einfängt und sieht, vielleicht, ein, dass sein Onkel Recht hatte. Die Einstellung von Sammys entsetztem Gesicht in dieser Szene ist sowas wie der Gegenpart zu der Einstellung des staunenden Sammy im Kino, und die lange Reihe von Einstellungen staunender Gesichter in Spielbergs Werk — bekanntlich ein Markenzeichen seiner Arbeit — scheint plötzlich wie bloßer Setup für diese eine herzzereißende Pointe.



Spielberg glorifiziert dabei weder den »tortured artist«, noch beweint er das tragische Schicksal des zur Kunst berufenen. Er ist lediglich ehrlich über die Entscheidungen, die er auf seinem Weg zum Filmemacher getroffen hat, und über deren Konsequenzen, über den Grad an Egoismus auch, der nötig war, diese Entscheidungen zu treffen. Und so verdient sich der Film auch, mehr als die durchschnittliche »Liebeserklärung an das Kino«, seine Momente des Triumphes und der Freude, die das Filmemachen Sammy bringt.

Auf einer universelleren Ebene ist The Fabelmans auch ein Film darüber, wie Sammy erkennt, dass seine Eltern echte Menschen, mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen sind, die über »Eltern für Sammy und seine Geschwister sein« hinausgehen. Seth Rogens »Onkel« Benny wird uns zunächst als Familienfreund vorgestellt, stellt sich aber bald als mehr heraus, als jemand, mit dem Mitzi eine (mindestens emotionale) Affäre hat. Sammy erfährt davon — auch deshalb, weil er mit seiner Kamera Momente einfängt, die er sonst wohl übersehen hätte —, und wie sich daraufhin die Beziehung zu seiner Mutter entwickelt, ist eines der interessantesten und berührendsten Elemente des Films: Zunächst wütend auf seine Mutter, erkennt Sammy nach und nach eine Parallele zwischen ihrer Liebe zu Benny und seiner Leidenschaft fürs Filmemachen. Für beide gibt es etwas, das ihnen wichtiger ist als die Liebe zu ihrer Familie, und beide folgen letztlich ihrem Impuls, im Bewusstsein, dass es eine egoistische Entscheidung ist.

Interessant auch, wie der Film mit dem Verhältnis von Erinnertem und Ausgedachtem spielt. Alles fühlt sich irgendwie gleichzeitig echt, erinnert und hochartifiziell an. Figuren benehmen sich wie echte Menschen, sprechen mehr oder weniger naturalistische Dialoge im einen Moment und halten scheinbar vorbereitete Reden, die Sammy irgendeine wichtige Lektion fürs Leben erteilen, im nächsten. Szenen wie die gegen Ende des Films, in der Sammy von seinem Bully konfrontiert wird, müssen ziemlich direkt aus Spielbergs Erinnerung kommen (nur echte Menschen verhalten sich so rätselhaft und erratisch), doch in derselben Szene lässt Spielberg seine Figuren so explizit wie nirgendwo sonst im Film »in die Kamera zwinkern« (vielleicht, sagt Sammy, macht er irgendwann einen Film hierüber). Spielberg erzählt mit The Fabelmans »seine eigene Geschichte«, aber erinnert uns immer wieder, dass diese Geschichte genauso viel Bullshit enthält wie jeder seiner anderen Filme — aber gleichzeitig ist es genau in diesem Bullshit, in den am offensichtlichsten ausgedachten oder zumindest geschönten Momente des Films, wo Spielberg am meisten von sich zu offenbaren scheint, wo am meisten einer anderen, tieferen Art von »Wahrheit« steckt.



Date
March 29, 2023