Karl Lauterbach ist ein gefährlicher Spin-Doctor

Karl Lauterbach ist gefährlich.

Wer mir auf Twitter folgt1, kann vielleicht den Eindruck bekommen, dass ich eine in Richtung einer ungesunden Obsession gehende persönliche Abneigung gegen Lauterbach hätte; Fans — weil Menschen wie Lauterbach heute natürlich Fans haben müssen — mögen mir gar Neid vorwerfen. Ich will das auch gar nicht leugnen, ich glaube ja daran, persönliche Biases offenzulegen, und ich finde, Lauterbach ist ein ekliger Starfucker, der seine Zeit im Rampenlicht auf sehr unangenehme Weise genießt und zu viele Selfies mit Benjamin von Stuckrad-Barre postet.

Aber ich finde halt auch, dass Lauterbach gefährlich ist, und dass es wichtig ist, ihn sehr genau zu beobachten. In gewisser Weise, glaube ich, ist Lauterbach, auf lange Sicht betrachtet, gefährlicher als die Hendrick Streecks und Alexander Kekulés, die offensichtlicheren Bullshit-Artists dieser Pandemie.

Denn es stimmt ja: Lauterbach sagt oft richtige Dinge. Seine wissenschaftliche Expertise will ich gar nicht in Frage stellen. Damit hat er sich eine Glaubwürdigkeit erarbeitet, die nur sehr wenige Politiker*innen haben.2 Und wenn so jemand dann — und zwar, wie wir gleich sehen werden, bewusst — billigen Spin und puren Bullshit raushaut, ist das halt doppelt gefährlich, weil man ihm erstmal vertraut, er hatte ja oft Recht bisher.

Lauterbach hat seine pet causes. Das ist normal und gut, vor allem für einen, und das vergisst man ja leicht, Politiker. Dazu gehören:

  • der richtige Umgang mit der Pandemie, gerade konkret: a) die Impfkampagne voranzutreiben, b) uns, geimpft oder nicht, weiter zu vorsichtigem Verhalten anzuhalten
  • das Warnen vor Umweltverschmutzung & Klimawandel
  • der Kampf gegen Rechts

Dazu gehören aber auch, und das sollte man nicht unterschlagen:

  • der Wahlkampf für die SPD
  • der Aufbau der Marke »Karl Lauterbach, Wissenschaftsversteher«

Das ist alles erstmal völlig okay bis unterstützenswert. Aber man muss es halt wissen.

Das Ding ist halt folgendes: Lauterbach hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese causes auch mittels neuer Medien wie Twitter zu kommunizieren und zu pushen. Und Lauterbach — und das find ich gar nicht so unsympathisch, eigentlich —, nutzt Twitter wie viele von uns, nämlich als so ein Momentaufnahmen-, Aus-dem-Bauch-raus-Medium. Er haut halt so seine Takes raus, wie er sie im Moment fühlt, und dann scrollt er weiter und findet den nächsten Aufreger. Karl Lauterbach ist ein Shitposter wie du und ich.

Nur wird das halt problematisch, wenn das a) mit einer so klar umrissenen Agenda passiert wie der von Lauterbach, die b) auf ein Publikum trifft, das sich in großen Teilen von Lauterbach hat überzeugen lassen, dass er keine Agenda hätte, und wenn c) seine pet causes mit anderen, schon auch wichtigen issues, oder manchmal, in besonders witzigen-und-mit-witzig-mein-ich-ekligen Fällen, miteinander kollidieren.

Klartext: Lauterbach ist ein Spin-Doctor. Er arbeitet schon irgendwie basierend auf Fakten, aber biegt sich die so zurecht, wie es halt gerade im Moment seiner Message dienlich ist. Er manipuliert und verzerrt und denkt entweder nicht darüber nach oder verwirft bewusst Gedanken über seine größere Message, über den aktuellen Tweet hinaus. Und das ist — sorry, ich weiß, ich wiederhole mich — fucking gefährlich.

Wir erinnern uns: Vergangenen Herbst war Lauterbach die lauteste Stimme für nächtliche Ausgangssperren. Und weil Deutschlands Einziger Wissenschaftler(TM) das so sah, sahen das irgendwann viele so. Hier ein Tweet, in dem Lauterbach behauptet, die Daten sprächen »klar für eine nächtliche Ausgangsbeschränkung für wenige Wochen, um 3. Welle zu begrenzen«.

Das Ding ist halt: Die Studie, die Lauterbach hier als Beleg heranzieht3, und die vermutlich die wenigsten seiner Follower*innen tatsächlich lesen, sagt, ähh, was anderes:

It can be seen that a relatively small proportion of mobility (7.4%) falls within the period from 10:00 pm to 5:00 am, which is often discussed for the application of a curfew.

If the time period is extended to, say, 8:00 p.m. to 5:00 a.m. the affected share of mobility increases slightly to 12.3%.

It should be noted that a curfew does not eliminate 100% of the movements during the period of the curfew. In addition, there are likely to be reactions in behavior that counteract the effects of a curfew, for example by people shifting individual trips to the period outside the curfew.

Wofür die Daten, die Lauterbach selbst liefert, »klar sprachen«, war: Die Zeiten, die von einer Ausgangssperre betroffen wären, umfassen nur einen sehr kleinen Teil der Mobilität, der nicht einmal komplett von einer Ausgangssperre betroffen wäre. Schaut man sich die genaue Aufschlüsselung an, stellt man weiterhin fest, dass es tagsüber Stoßzeiten für Mobilität zwischen 7 und 8 Uhr morgens und 18 und 19 Uhr abends gibt — die Zeiten, in denen der meiste Berufsverkehr stattfindet.

Aus diesen Daten abzuleiten, dass man in der ohnehin schon stark regulierten Abend- und Nachtzeit weiter einschränken muss, ist ein ideologisches Argument. Man kann zu diesem Schluss nur dann kommen, wenn man von vornherein ausschließt, da einzuschränken, wo der Großteil der Mobilität und Begegnungen stattfindet, nämlich im Berufsleben. Wenn man zum Beispiel Parteisoldat einer neoliberalen Partei ist und die wirtschaftshörige Regierungslinie dieser Partei verteidigen muss, kann man zu so einem Schluss kommen.

Aber Lauterbach verkauft das Argument als wäre es ein wissenschaftliches, eines, das sich logisch aus den Daten ableitet. Das ist Spin. Es ist gefährlich. Und es ist unverantwortlich und verlogen von jemandem, der dankbar das Label des »SPD-Wissenschaftsexperten« annimmt, der sich bewusst sein muss, dass ein Großteil der Bevölkerung ihn eben nicht als Parteisoldat, sondern als Wissenschaftsvermittler wahrnimmt.

Derzeit hat Lauterbach, in Bezug auf die Pandemiebekämpfung, zwei Anliegen: Er möchte, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen; und er möchte, dass wir uns der Gefahren bewusst sind, die Covid-19 auch nach der Impfung noch birgt. Beides richtig und wichtig. Aber holy shit, Lauterbach ist katastrophal darin, diese beiden Botschaften auf eine Art zu kommunizieren, dass sie nicht im ständigen Konflikt miteinander stehen. Dann twittert er zum Beispiel sowas:

Und, okay, ich versteh den Gedanken: Warnen, dass trotz Impfung Vorsicht und weitere Maßnahmen nötig sind. Aber was soll ich denn bitte denken, wenn ich, als Nicht-Wissenschaftler, diesen Tweet von Dr. Science-Doctor Kay-El lese, diesen Tweet, der einfach so für sich steht, ohne weiteren Kontext und Einordnung? Weiß ich, dass 80% Schutz gegen symptomatische Infektionen in Wahrheit ein sehr gutes Ergebnis ist?4 Dass man von einer Impfung gar keine 100% Schutz erwarten kann? Und lese ich wirklich die verlinkte Studie, die außerdem sagt, dass der Schutz vor Hospitalisierungen und tödlichem Verlauf nochmal deutlich höher ist? Oder wäre es nicht vielleicht die Aufgabe von Wissenschaftsvermittlern wie Karl, solchen Kontext zu, ähh, vermitteln?

Kurz: Wenn ich so einen Tweet lese, ist es dann nicht verständlich, wenn ich daraus vor allem mitnehme, »Scheiße, Impfung ist gar nicht so geil wie gedacht«? Und könnte das nicht beeinflussen, für wie dringlich ich es befinde, mich selbst impfen zu lassen?

Und sollten mich, also in dem Fall jetzt mich, den professionellen Datenversteher, Nachrichten über den schleppenden Verlauf der Impfkampagne dann nicht zu ein Bisschen Selbstkritik bewegen, anstatt zu einem weiteren Tweet darüber, wie »absurd« es sei, dass die brunzdumme Masse auf einen »fast perfekten« Impfstoff (den ich drei Tage vorher noch so mittel hab klingen lassen) verzichtet?

Und Lauterbachs Tendenz, Fakten zu verzerren und zu missbrauchen und sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen, geht über das Thema der Pandemiebekämpfung weit hinaus. Vor ein paar Wochen hab ich einer Freundin erzählt, dass es oft aufschlussreich ist, den Namen von shady Wissenschaftsdarstellern zusammen mit dem Wort »Autismus« zu googlen — Autismusforschung ist ein fruchtbares Feld für die Saat von Bullshit, ein gesetzloses Land, in dem jede*r, der*die schonmal eine Uni von innen gesehen hat, wirklich jeden Scheiß labern und damit publiziert werden kann.5 Nun, dabei fiel mir selbst auf, dass ich das noch nie mit Lauterbach ausprobiert hatte, also habe ich mal seinen @ und das Wort »autismus« in Twitters erweiterte Suchfunktion eingegeben, und, nun:

Es gibt tatsächlich einige Studien, die eine mögliche, leichte Korrelation zwischen der Feinstaub-Belastung in jungen Jahren, als einer von vielen Faktoren, und einer späteren Autismus-Diagnose beobachten. Aber, um Stephen Jay Gould zu zitieren:

The invalid assumption that correlation implies cause is probably among the two or three most serious and common errors of human reasoning.

Gould hat Recht:6 Die Verwechslung von Korrelation und Kausation ist so common wie serious. Common, weil sie so natürlich ist, weil es sich, besonders als nicht wissenschaftlich geschulter Mensch, einfach richtig anfühlt, wenn zwei Dinge zusammen auftauchen einen Zusammenhang zu vermuten: Rauch, Feuer und so weiter.

Und serious wegen dem, was Lauterbach hier macht.

Aus einer nichtmal sonderlich starken Korrelation, der Sorte, von der es zig gibt, zwischen allem möglichen, von denen die wenigsten kausal sind, macht Lauterbach ein direktes, monokausales Verursachen. Er schürt die Angst vor dem Schreckgespenst Autismus vieler Eltern, die selbst auch schon auf Missverständnissen und Desinformation beruht, und missbraucht sie, um, Jesus, vor Feinstaub zu warnen, als gäbe es da keine anderen Optionen, als gäbe es nicht nachgewiesene gesundheitliche Folgen von Feinstaub-Aussetzung, die auch tatsächlich gefährlich sind und vermieden werden sollten und nicht, wie Autismus, ein normaler, wertneutraler und an sich völlig ungefährlicher Ausdruck menschlicher Vielfalt.

Offensichtlich liegt mir dieses Thema besonders am Herzen, also lasst mich kurz die Ernsthaftigkeit von dem, was Lauterbach hier tut, unterstreichen: Kürzlich ging die »Spectrum 10k«-Studie an die Öffentlichkeit, die die DNA von 10.000 autistischen Menschen, auch Kindern, sammeln und sequenzieren will, um die genetischen Ursachen von Autismus zu finden. Die Studie wird geleitet von Simon Baron-Cohen, dem Autor mehrerer widerlegter Theorien über Autismus, die aber bis heute massiven Einfluss auf ein Bild von Autismus haben, gegen das wir ziemlich verzweifelt versuchen, anzukämpfen: Die Idee, dass autistische Menschen nicht zu Empathie fähig wären, oder dass Autismus fast ausschließlich Jungs und Männer betrifft? Borats Cousin7 trägt einen Großteil der Schuld. Und mit ihm wird sie geleitet von Daniel Geschwind, der zwar einen lustigen Entenhausen-Namen hat, aber bis vor nicht langer Zeit mit einer Assoziation namens »Cure Autism Now« gearbeitet hat. Und diesen beiden Spezis sollen wir unsere DNA und die unserer Kinder geben, zusammen mit einer Blanko-Erlaubnis, sie beliebig weiterzugeben, in dem Vertrauen, dass es diesmal ganz bestimmt nicht um die Suche nach einer cure für Autismus, aka Eugenik geht.

Wenig später erschien eine Studie, in deren Rahmen Wissenschaftler*innen autistisches Verhalten damit, ähem, therapierten, Teile des Gehirns der, ähem, Teilnehmenden mittels Gamma-Strahlen zu zerstören. Der »Erfolg« der »Therapie« wird daran festgemacht, wie viel angenehmer die nicht-autistischen Eltern den Umgang mit ihren Kindern finden. Nochmal: In diesem Jahr, dem aktuell laufenden, 2021-nicht-1941, argumentieren Wissenschaftler*innen in einer angesehen Publikation, dass man dem Prinzip »Lobotomie« doch auch außerhalb von Aufführungen von Tennessee-Williams-Stücken nochmal eine Chance geben könnte.

Und erst gestern erschien dieser Artikel im TERF-Fanmagazin Guardian, über eine neue Therapieform, die die »Social Skills« von Kindern unter einem Jahr verbessern und eine spätere Autismus-Diagnose verhindern könnte, und die sagen das, als wäre es was gutes. Autismus ist, anders als Karl Lauterbach (wenn der Wind gerade so steht) behauptet, überwiegend neurologisch, genetisch. Man kann Kinder nicht »weniger autistisch« machen (und sollte das auch nicht wollen). Alles, was die Wissenschaftler*innen hier leisten, ist Kindern Masking beizubringen, bevor sie laufen können. Autismus, nebenbei, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unterdiagnostiziert — ein erstrebenswertes Ziel wären also eher mehr Diagnosen.8 Und Masking, nebenbei, ist schädlich für die geistige Gesundheit.

All diese Beispiele sind aus dem letzten Monat. Die schiere Masse an Bullshit, die als angebliche Forschung über Autismus und autistische Menschen verbreitet wird, ist überwältigend und gegen sie anzuargumentieren ermüdend. Der wissenschaftliche Mainstream sieht autistische Menschen bestenfalls als faszinierende Exemplare einer fremden Spezies; schlimmstenfalls als einen Fehler der Evolution, den es zu »korrigieren« gilt.

Das ist das Narrativ, in das Karl Lauterbach hier reinspielt.

Und er tut es bewusst: Nachdem Bloggerin Mela Eckenfels9, Lauterbach nach einem früheren Tweet schonmal Dinge erklärt hatte, die man einem Wissenschaftler wirklich nicht erklären müssen sollte, gestand Lauterbach ein:10

Aber zwei Monate später hieß es dann wieder »Feinstaub kann Autismus auslösen«.

Um das ganz klar zu sagen: Wer wider besseres Wissen in die Panik vor dem Anderssein reinspielt, die hinter dem Krankheits-Modell von Autismus steckt, und damit, wenn auch nur mit ein paar Worten, an einem Narrativ mitschreibt, das die Basis für Diskriminierung und Eugenik ist, einfach, weil das jetzt in diesem Moment der eigenen Agenda dienlich ist, wer eine marginalisierte Gruppe für den geilen Tweet vor den Bus wirft, hat sich als Wissenschaftler, Wissenschaftsvermittler und Politiker disqualifiziert. Niemand sollte Karl Lauterbach noch zuhören. Er ist ein gefährlicher, prinzipienloser Spin-Doctor und eine Schande für die Wissenschaft.

Dieser Text ist schon viel zu lang, das sollte eigentlich nur eine kurze, etwas kohärentere Überarbeitung eines Twitter-Threads werden. Insofern bin ich froh, dass ich schonmal darüber geschrieben habe, wie Lauterbach konstant, entgegen aller Daten, die Lüge verbreitet, es Läge an der Dummheit, mangelnden Disziplin oder dem Egoismus der Masse, und nicht an dem Versagen bzw. der Verweigerung von Menschen in Machtpositionen, dass wir das mit dem Seuchenschutz nicht auf die Reihe kriegen, und dass er dieses Narrativ, ebenfalls entgegen der Faktenlage, mittlerweile auch auf den Klimawandel anwendet. Auch das ist letztlich nichts anderes als Spin im Dienste einer Agenda, in diesem Fall der, sich und seine Partei, die derzeit im Bund regierende SPD, aus der Verantwortung zu nehmen für ihr Versagen in zwei der größten Krisen, die uns derzeit beschäftigen. Aka, in diesem Jahr, nichts anderes als Wahlkampf-Gelaber.

Und jetzt ist da Lauterbachs neuster Spin, der wirklich selbst für seine Verhältnisse sehr billig ist. Bodo Ramelow, Ministerpräsident in Thüringen, weigert sich, sich in den Wahlkampf im Wahlkreis von CDU-Nazi Hans-Georg Maaßen einzumischen. Es gibt in diesem Wahlkreis die Bewegung, die Direkt-Kandidaten der im weitesten Sinne linken Parteien mögen gemeinsam dazu aufrufen, den Kandidaten der SPD zu unterstützen, um Maaßen zu verhindern. Die Grünen sind dabei. Der Linke Kandidat weigert sich bislang, auf eine Kandidatur zu verzichten. Kann man so oder so sehen.

Alles, was Ramelow dazu gesagt hat, ist dass er, als Ministerpräsident, keinen Einfluss auf eine freie Wahl nehmen möchte, indem er den Kandidaten seiner Partei aufruft, nicht zu kandidieren. Er hält das auch für verfassungswidrig:

Der Regierungschef sei verfassungsgemäß zur Neutralität verpflichtet. »Ich werde weder Verfassungsbruch begehen, noch werde ich diese Nötigung und unzulässige Manipulation der Bundestagswahlen schweigend mitmachen und lasse mich auch nicht als Handlanger oder Werkzeug benutzen.«

Kann ich jetzt nicht beurteilen. Was ich aber sehr wohl beurteilen kann, ist was Lauterbach daraus macht:

Und, Entschuldigung, aber das ist einfach billig und widerlich und selbst unter dem Niveau von Lauterbach. Man kann Ramelows Position ablehnen und kritisieren, aber ihm vorzuwerfen, er stelle sich damit »vor Maaßen«, ist beleidigend, verzerrt massiv die Fakten, und ist letztlich ein durchschaubarer, billiger Versuch, auf den letzten Metern des Wahlkampfs noch einen Treffer gegen Die Linke zu landen.11 12

Auf Ramelows Entgegnung hin gibt sich Lauterbach wieder kleinlaut, spint aber unbeirrt weiter, nur etwas subtiler: Ramelow müsse die Sache ja nicht unterstützen, aber seine Einmischung »hilft nur Maassen«. Auf eine aktive Kampagne zur Einmischung zu antworten, man wolle sich nicht einmischen, ist demnach also eine…unzulässige Einmischung. Jesus, Karl, reiß dich mal zusammen.

All das wäre irgendwie okay, also, nicht okay, aber halt zu erwarten von einem Politiker. Aber das Problem ist, dass wir Lauterbach oft eher behandeln wie einen unabhängigen Experten. Auch Christian Drosten und Co. sollte man mit gesunder Skepsis begegnen, aber zumindest hat der kein Parteibuch, kein politisches Mandat und hält sich auch mit konkreten Policy-Vorschlägen zurück. Und zumindest ist er überlegter und besser darin, seine öffentliche Kommunikation als Ganzes zu betrachten und zu kontrollieren, anstatt als endlose Reihe von aus-dem-Bauch-raus, was-kümmert-mich-mein-Geschwätz-von-gestern Einzelaufnahmen.

Lauterbach hat immer genau einen Talking Point, der immer für genau einen Moment der wichtigste der Welt ist. Er interessiert sich nicht für Kontext, nicht für Widersprüche, nicht dafür, an welchem größeren Narrativ er mitschreibt, wenn er es mit den Fakten, im Dienste der »guten Sache«, diesmal nicht so genau nimmt. Es ist gefährlich, dass so jemand auf ein so enorm gut gefülltes Vertrauenskonto zurückgreifen kann, nur, weil er, wenn er das gerade als für sich nützlich erachtet, einigermaßen akkurat die wissenschaftliche Faktenlage wiedergeben kann. Ja, Lauterbach ist »kompetent«, er hat Expertise. Aber das macht es nicht weniger schlimm, dass er an anderer Stelle oft ungenau formuliert bis grob verzerrt, dass er Politik und Ideologie als wissenschaftliche Unvermeidbarkeiten verkauft, dass er, ja, bewusst manipuliert. Im Gegenteil: Es macht es schlimmer. Und Lauterbach nur gefährlicher.


Wenn dir dieser Text gefällt, freue ich mich über eine kleine Unterstützung:


  1. …ist selbst schuld, warum macht ihr das?↩︎

  2. Eigentlich nur Merkel, und bei ihr ist das genauso gefährlich, dass wir diese Glaubwürdigkeit kaum noch in Frage stellen.↩︎

  3. Lies: missbraucht.↩︎

  4. Zum Vergleich: Laut CDC reduziert die Influenza-Impfung in guten Jahren (wenn die Virus-Varianten im Umlauf ähnlich zu denen sind, auf denen die Impfung basiert), das Risiko »of having to go to the doctor with flu« um 40-60%.↩︎

  5. Solange er*sie nicht selbst autistisch und damit befangen ist.↩︎

  6. Weiß Lauterbach auch, weiß jede*r Wissenschaftler*in.↩︎

  7. Wirklich.↩︎

  8. Also, korrekte Diagnosen, offensichtlich.↩︎

  9. …die den Autismus-Beat schon deutlich länger bedient als ich, deshalb an dieser Stelle Respekt für das Engagement und die Ausdauer.↩︎

  10. …wobei er noch immer mindestens ungenau formuliert, aber hey, baby steps.↩︎

  11. Und dass Lauterbach das für einen worthwhile cause hält, zeigt nebenbei auch, wie ernst es ihm damit ist, mit seiner Partei nach der Wahl irgendwas nennenswert verändern zu wollen, denn eine Koalition unter Einschluss der Linken ist die einzige Option für die SPD, ihre sozial- und klimapolitischen Ziele auch umzusetzen.↩︎

  12. Offenlegung: Ich bin Mitglied in der Partei Die Linke.↩︎



Date
September 21, 2021