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Mein Blog ist jetzt Mitglied im UberBlogr-Webring (und hat ein Gästebuch! Web 1.0 is back!)
Seit kurzem ist mein Blog Mitglied im UberBlogr-Webring. Webrings – für diejenigen, die nicht die Zeit miterlebt haben, in der es noch laut knarzte, wenn wir uns ins Internet „eingewählt“ haben – sind so ein Web-1.0-Ding: Eine Gruppe von Websites – früher meistens inhaltlich verwandt – vernetzt sich in einer „Ringform“. Wenn ihr einen Blick auf meinen Footer werft, seht ihr, was gemeint ist: Ihr könnt dort über die Pfeillinks zu meinen „Nachbarn“ im Ring wechseln, und wenn ihr immer weiter in eine „Richtung“ klickt, landet ihr irgendwann wieder bei mir. Den „UberBlogr“-Ring hat Thomas Gigold ins Leben gerufen, er vernetzt mittlerweile über 200 Blogger*innen miteinander. Einen thematischen Fokus gibt es nicht, es geht einfach darum, private Blogs miteinander zu verbinden. Auf der Website zum Ring findet ihr das gesamte Verzeichnis oder könnt euch einen zufälligen Beitrag aus dem Ring zeigen lassen. Besonders empfehle ich, den RSS-Feed der neusten Beiträge zu abonnieren, so habt ihr täglich neues in eurem Feedreader – ich hab so schon eine gute Handvoll neuer Lieblingsblogs entdeckt.
Ich bin Fan von solchen Versuchen, Web-1.0-Kultur wiederaufleben zu lassen. Ein weiterer ist euch vielleicht schon in der Navigationsleiste dieses Blogs aufgefallen: Ich habe wieder ein Gästebuch (betrieben über die nützliche Plattform Komments), wie ganz früher, bevor mein Blog eine Kommentarfunktion hatte. Es ist gedacht als Ort für Leser*innen, einfach mal „Hallo!“ zu sagen, ohne dezidiert auf einen Beitrag antworten zu müssen, auch, damit ich ein Bisschen weniger das Gefühl habe, in eine große Leere hineinzuschreiben, ohne gleich wieder anfangen zu müssen, Social-Media-Likes zu zählen. Vielleicht habt ihr ja Lust, einen Beitrag dazulassen. Dabei freue ich mich übrigens auch besonders, wenn ihr mir euer eigenes Blog oder anderes Internetprojekt oder von mir aus auch euren Mastodon- oder Bluesky-Account empfehlt!
aus dem Archiv: Mein erster Eindruck von Fynn Kliemann (aka ich fand den schon scheiße als er euch noch sympathisch war)
Fynn Kliemann, der kultige YouTube-Grifter und Corona-Profiteur, versucht sich derzeit mal wieder an einem Comeback, unterstützt von einer Doku des hessischen Rundfunks.1 Aus diesem Anlass hier eine Wiederveröffentlichung aus meinem Archiv: Mein Review zu Netflix’ Doku-Reihe Das Hausboot, die meine erste Begegnung mit Kliemann war.
Das Hausboot: Kultig, auf so eine Jonestown-Art
Ich erinnere mich nicht, die Frage gestellt zu haben, wo das Venn-Diagramm von Jean Pütz, Sami Slimani und Jim Jones überlappt, aber dank Netflix’ neuer Doku-Reihe Das Hausboot habe ich jetzt die Antwort, und sie lautet »Fynn Kliemann«.
Kliemann, einer der Protagonisten der Reihe, ist DIY-YouTuber und -Influencer, Unternehmer, Musiker und Initiator des Kunstprojekts Kliemannsland, eine Art Kommune für Heimwerker*innen, die mit (für?) Kliemann unbezahlt an verschiedenen Projekten arbeiten, um Content für einen seiner YouTube-Channels – und, zeitweise, eine sicher nicht unbezahlte Webserie für Funk – zu liefern. Sein spezifischer Grift scheint zu sein, Startup-Jargon und Kreativindustrie-Ausbeutung mit einem Anstrich hamburger Schnoddrigkeit und Dilettantismus bekömmlich zu machen – »kultig« soll das wohl sein, ist es auch, nur eben auf die buchstäbliche, größenwahnsinnige Art. Der andere Protagonist der Reihe ist Olli Schulz, den man ja irgendwann mal sympathisch fand, bevor er anfing, mit Typen wie Fynn Kliemann rumzuhängen – oder vielleicht war »man«, also: ich, einfach noch nicht sensibilisiert genug für das Bro-Gehabe und die klaren Zeichen von arrested development, die dessen Schnoddrigkeit und Dilettantismus kaschieren. Vielleicht wächst hier einfach zusammen, was zusammengehört.
Schulz und Kliemann haben, nachdem Schulz eine Anzeige in der BILD-Zeitung gesehen hatte, das Hausboot des verstorbenen Schlager-Country-Sängers Gunter Gabriel gekauft. Die Netflix-Serie dokumentiert ihr Projekt, das einigermaßen runtergekommene Boot zu sanieren und zu einer Kombination aus Konzert- und Eventlocation und Tonstudio umzubauen. Irgendeine Art von kritischer Auseinandersetzung mit Gabriels Werk und Leben, das neben zweifelsohne wichtigen Beiträgen zur deutschen Musikgeschichte auch angedrohte und tatsächliche Gewalt gegen Frauen beinhaltet, findet zumindest im Rahmen der Serie nicht statt, der Vorbesitzer des Bootes wird lediglich als skurril-witziges Detail geframet. Was für eine charmante Schnapsidee die beiden kultigen Nordlichter hier hatten, ist der Tonfall der Serie, und wie sympathisch-nahbar die Planlosigkeit, mit der sie an das Projekt gehen.
Das Ding ist aber: Dilettantismus ist genau so lange sympathisch, bis Hierarchien ins Spiel kommen. Wenn, sagen wir, Schulz und Kliemann ihr Boot erst für mehrere Tausend Euro neu lackieren lassen, um dann vom später dazugeholten Profi zu hören, dass erstmal aller alte Lack runter muss, damit der neue auch hält, die beiden also erneut ein paar Tausender investieren müssen, kann man das natürlich als witzige Anekdote inszenieren, die von liebenswerter Planlosigkeit zeugt; man kann aber auch fragen, ob die Helfer*innen, die Kliemann zusammentrommelt, diesmal eigentlich mit was anderem bezahlt wurden als dem Kasten Bier, den Schulz und Kliemann rumreichen, und wenn nicht, ob mit etwas professionellerem Management nicht doch ein paar Euro drin gewesen wären. Kliemann sagt es an einer Stelle selber: Was er und Schulz hier haben, ist im Grunde eine Firma, mit den beiden als Chefs. und lasst es mich aus Erfahrung sagen: Wenn der*die eigene Chef*in diese Mischung aus »einfach mal machen«-Attitüde, organisatorischer Inkompetenz und grober Fehleinschätzung der zu investierenden Zeit und Aufwand zeigt, ist das überhaupt nicht mehr charmant, sondern toxisch und ausbeuterisch. Es ist die Sorte Management-Versagen, die zu unbezahlten Überstunden, Crunch und anderen ausbeuterischen Praktiken (nicht nur) der Kreativindustrie führt. Versteht sich von selbst, dass die Helfer*innen keine Stimme in der Doku haben — dafür darf Kliemann halbernst in die Kamera sagen, dass er von allen Beteiligten am meisten arbeite.
In einem viel kritisierten Interview mit der taz präsentierte Kliemann seine These, dass jeder alles schaffen könne: Dass er beispielsweise ein großes Grundstück hat, auf dem er seine Projekte verwirklichen kann, liege lediglich daran, dass er »klug« genug war, direkt nach dem Auszug bei den Eltern ein Haus zu kaufen. Muss man halt erstmal drauf kommen! Das Hausboot zeigt die Realität dahinter: Man kann tatsächlich alles schaffen – egal, wie fragwürdig die Idee von vornherein ist –, wenn man nur den Einfluss hat, nach Bedarf unbezahlte Arbeitskräfte mobilisieren zu können, und die Ressourcen, das Problem scheinbar unbegrenzt mit Geld zu bewerfen und im Zweifelsfall ein, zwei Profis anzuheuern, die die eigene Inkompetenz mit ihrer Expertise kaschieren.
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Ich hab die Doku noch nicht gesehen, vielleicht ist sie sogar ganz gut, aber selbst wenn weiß ich ehrlich gesagt nicht, warum man Kliemann überhaupt noch, wenn auch kritische, Beachtung schenken sollte. Ich schätze, mit diesem Post bin ich Teil des Problems. ↩︎
Actor Brain muss sich so gut anfühlen (eine Würdigung von Adrien Brodys Pop-Art)
Im Mai 2003, kurz nach seinem ersten Oscar-Gewinn für The Pianist, moderierte Adrien Brody Saturday Night Live. Bei der Ansage des Musikgasts Sean Paul – eigentlich ein eher routinemäßiger, in ein, zwei Sekunden erledigter Teil des Aufgabenbereichs eines SNL-Hosts – performte Brody, ohne Absprache mit Cast und Autoren/Produzenten der Show, ein spontanes Bit: Er setzte eine Dreadlock-Perücke und einen jamaikanischen Akzent auf und brabbelte Nonsens-Phrasen wie „respec’ my neck“. Seitdem, heißt es, ist Brody von erneuten Auftritten bei SNL ausgeschlossen.
Der Vorfall illustrierte ganz wunderbar die spezifische Kategorie von Actor Brain, die Brody hat, deren Grundgedanke in etwa so geht: Ich bin gut im Schauspiel. Das heißt, ich muss auch gut in allem anderen sein.1 Dieser Grundgedanke führt dann eben zu Folgegedanken wie, Sean Paul ist aus Jamaika, und das ist sehr witzig. Diese scharfsinnige komische Beobachtung muss ich mit der Welt teilen. Oder, zuletzt: Ich habe einen Oscar gewonnen und muss jetzt eine Rede halten. Ich habe der Welt etwas mitzuteilen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber wenn ich lang genug rede, kommt vielleicht was brauchbares dabei rum.
Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass ich Brodys Mindset für genau richtig halte und finde, alle Schauspieler sollten so ein. Wenn man sich als Schauspieler nicht aufführt wie Jenna Maroney aus 30 Rock, ist das als Arbeitsverweigerung zu werten. Ich kann das nicht so richtig erklären, ich bin einfach überzeugt, dass es irgendwie gesund für eine Gesellschaft ist, wenn ein paar Auserwählte den weltfremden Größenwahn ausleben, den sich diejenigen von uns, die für ihr Geld arbeiten müssen, nicht leisten können. Als Gesellschaft sollten wir also die Brodys und Eidingers dieser Welt enablen, wo wir nur können.
Entsprechend möchte ich an dieser Stelle etwas anderes würdigen, in dem Adrien Brody sehr gut zu sein glaubt: seine Kunst. Adrien Brody macht Pop-Art. Sie ist genau so, wie ihr es euch vorstellt, wenn ihr hört „Adrien Brody macht Pop-Art“.
Schauen wir uns eines seiner Werke an:
„Starbucks“ zu „Brodybucks“ – qualifiziert das schon als Wortspiel? Ist das Satire der Nathan-Fielder-Schule? Lassen wir uns von diesen Fragen nicht allzu lang ablenken, schauen wir stattdessen nochmal genauer hin, denn Brody hat auch eine grafische Veränderung am Starbuchs-Logo vorgenommen: Da sind sie also, die titelgebenden Handguns. Vielleicht also eher Satire der Michael-Scott-Schule? Auf jeden Fall zeigt sich hier bereits Brodys scharfsinnige Konsumkritik, die auch im folgenden Bild zur Geltung kommt:
Wer zu denjenigen gehört, denen Morgan Spurlock erst aufzeigen musste, dass es keine gute Idee ist, zu jeder Mahlzeit Fast Food zu essen, den wird dieses Werk Brodys vielleicht noch weiter wachrütteln. Und der sollte sich jetzt gut festhalten, denn das nächste Werk – vielleicht Brodys Meisterstück – ist noch erschütternder:
Es ist vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber in diesem Werk versteckt sich eine subtile Anti-Schusswaffen-Botschaft:
Als Betrachter mag man zunächst irritiert sein: Waffen sind doch alles andere als „Toys“? Ich glaube, dass Brody diesen Widerspruch bewusst einsetzt – das Labeln von gefährlichen Waffen als Spielzeuge, hat das nicht beinahe etwas ironisches?
Aufmerksame Beobachter werden erkannt haben, dass Brody sich gerne zusammen mit seinen Werken ablichten lässt, und hier entfaltet seine Kunst für mich erst ihre ganze Wirkung. Schaut in dieses Gesicht:
Stellt euch vor, wie es sein muss, durch diese Augen zu schauen, in diesem Kopf zu leben. Was in einem Menschen vorgehen muss, der „Toys“ neben ein Schusswaffen-Display schreibt, es in eine Kunstgalerie hängt und sich daneben ablichten lässt mit diesem „Ja, das hab ich mich getraut, was willst du dagegen tun?“-Gesicht. Keine Selbstzweifel. Kein Konzept davon, dass andere Menschen auch ein lebendiges Inneres haben, und dass nicht jeder Gedanke, den man hat, so noch nie von irgendjemandem auf der Welt gedacht worden ist. Es muss sich gut anfühlen in diesem Kopf. Aber wie ein anderer großer Künstler, The Great Gonzo, es einst formulierte: You can just visit, but I plan to stay. Die meisten von uns sind verdammt, mit Selbstzweifeln und dem Bewusstsein zu leben, dass wir nichts besonderes sind. Adrien Brodys Kunst jedoch lässt uns, nur für einen Moment, erleben, wie es wäre, davon befreit zu sein.
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Ebenfalls betroffen ist etwa Lars Eidinger. Spenden Sie jetzt. ↩︎
Merz' Verhalten seit der Wahl ist nicht impulsiv, sondern wohlkalkuliert
Hanlon’s Razor besagt ja: „Never attribute to malice that which is adequately explained by stupidity.“ Einer Variante dieses Grundsatzes scheint Sebastian Huld bei seiner Analyse bei n-tv von Friedrich Merz’ Verhalten seit der Bundestagswahl zu folgen. Er schreibt:
Merz gefährdet - wie schon bei seiner Abstimmung mit der AfD - den Erfolg seiner Kanzlerschaft, noch bevor er das Amt angetreten hat. Der CDU-Chef und seine Jungsbande trumpfen dieser Tage auf, als hätten CDU und CSU am Sonntag 40 Prozent der Stimmen eingefahren.
Dieses Verhalten erklärt er mit „[e]rschreckenden[n] Defizite[n] bei Empathie und Taktik“ seitens Merz. Mit seinen Beleidigungen gegen die Demonstranten gegen Rechts nach seiner gemeinsamen Abstimmung mit der AfD sowie der absurden kleinen Anfrage, in der Merz und die Unionsfraktion die staatliche Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen infrage stellen, gebe Merz einem „Impuls“ nach.
Dass Merz Defizite in Sachen Empathie hat, daran besteht kein Zweifel. In Sachen Taktik allerdings sollten wir zumindest in Erwägung ziehen, dass Merz hier überhaupt nicht impulsiv handelt, sondern wohlkalkuliert, und dass seine Taktik genau so aufgeht, wie ihm vorschwebt.
„Es hätte unmittelbar nach der Wahl vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung SPD gebraucht“, schreibt Huld, und das stimmt – nur nicht aus der Perspektive von Friedrich Merz. Denn Merz will insgeheim ja gar nicht mit der SPD regieren – er würde am liebsten allein regieren, und am zweitliebsten mit der AfD. Letzteres schließt er offiziell nur deshalb aus, weil er weiß, dass es starken Gegenwind, auch aus seiner eigenen Partei, geben würde – noch. Aber was, wenn die Union plötzlich (die folgenden Anführungszeichen bitte maximal sarkastisch lesen) „gezwungen“ wäre mit der AfD zu koalieren, weil sich kein anderer Partner findet? Vielleicht wäre das leichter zu verkaufen…
Merz’ Agieren macht aus seiner Sicht taktisch absolut Sinn, denn aus dieser Perspektive ist er in einer Win-Win-Situation. Mit seinem breitbeinigen Mackertum und offenem Kulturkampf signalisiert er der SPD: Wenn ihr mit mir regiert, dann so – als eine, wie Huld es formuliert, „dem künftigen Kanzler ausgelieferte CDU-Untergliederung“. Und wenn die SPD das nicht mitmacht, ja, wo wäre denn das Problem? Dann bleibt Friedrich Merz ja gar nichts anderes, als mit der AfD zu koalieren oder sich wenigstens von ihr wählen zu lassen.
Dürfte ich der SPD Ratschläge geben, würde ich ja sagen: Call his bluff. Für Friedrich Merz’ Koalitionsentscheidungen ist niemand verantwortlich außer Friedrich Merz und der Rest der Union, der sie mitträgt. Würde ich aber wetten, dann darauf, dass Deutschlands zweitrückgratloseste Partei nach den Grünen Merz am Ende so ziemlich alles geben wird, was er will, und das als heldenhaftes Opfer verkaufen wird, das uns vor einer AfD-Regierung bewahrt. Dass Merz dann, mit voller Unterstützung der SPD, weitestgehend dieselbe Politik machen wird, die wir auch mit der AfD bekommen hätten, soll dann wohl irgendwie das „kleinere Übel“ sein.
Das ist eine der großen Lektionen, die ich aus der ersten Trump-Amtszeit mitgenommen habe: dass Hanlon’s Razor, zumindest, wenn es um Politik geht, meistens Unsinn ist. Öfter als nicht ist selbst scheinbar „impulsives“ oder irrationales Handeln Ergebnis taktischen Kalküls. Merz weiß sehr genau, was er hier tut, und die Konsequenz – dass seine Union, wenn nicht jetzt dann spätestens zur nächsten Wahl, so inkompatibel mit allen anderen Parteien wird, dass es wirklich nur noch mit der AfD geht – nimmt er nicht nur in Kauf, er begrüßt sie.
📺 Andy Sambergs seltsamer Beitrag zum 50. Jubiläum von Saturday Night Live
SNL wird dieses Jahr 50 Jahre alt, und zu diesem Anlass gab es, neben diversen Dokus und einem Konzert-Special, natürlich auch eine Jubiläums-Show mit Auftritten und Beiträgen von Cast-Mitgliedern aus der gesamten Geschichte der Show. Trotz meiner Kritik am System SNL, und obwohl ich die Show seit Jahren nicht mehr gucke und die einzelnen Sketche, die ich sehe, nur selten lustig finde, kann ich nicht leugnen, dass mich solche Rückblicke immer ein Bisschen kriegen. Wie viele Comedy-Fans hatte ich eine Periode im Leben, in der ich die Show religiös geguckt habe, und verbinde dementsprechend doch einiges mit so manchem Sketch und Star der Show. Schon beim Special zu 40. Jubiläum vor 10 Jahren war ich seltsam berührt von Andy Sambergs und Adam Sandlers Digital Short, in dem sie die Momente besangen, in denen Cast-Mitglieder während der Live-Show nicht mehr an sich halten konnten und in Gelächter ausbrachen.
Diesmal performte Sandler live einen Song, in dem er die Show, ihre Geschichte und Stars besingt. Wie von Sandler gewohnt ist das schamlos sentimental und handwerklich so mittel — es gibt bestenfalls die vage Idee eines Versmaß’ —, aber die Emotionen sind offensichtlich ehrlich, und wen die Erwähnung des unvergessenen Phil Hartman und von Sandlers Freund Chris Farley, und die Reaktion des Publikums darauf, kalt lässt, der hat Comedy nie geliebt.
Samberg derweil steuerte einen neuen Digital Short bei, und der ist…seltsam. Gemeinsam mit Bowen Yang, einem der charismatischeren Mitglieder des aktuellen Casts, besingt Samberg eine angebliche Gemeinsamkeit aller, die je für SNL gearbeitet haben: „Everyone that ever worked at SNL had anxiety.“
Lustig ist der Short durchaus — wie so oft rettet Samberg die an sich mittelmäßig kreative Prämisse mit einem seiner typischen non-sequiturs, hier über die Sanitäranlagen im SNL-Studio („If these pipes could talk…“).
Aber ich kann nicht anders, als mir auszumalen, wie wir in einigen Jahren über einen solchen Short denken werden. Irgendwann – wohl erst nach seinem Tod, aber es ist nur eine Frage der Zeit – wird eine Aufarbeitung der Lorne-Michaels-Jahre stattfinden, von dem toxischen Arbeitsumfeld das er systematisch kreiert. Wie werden sich dann Textzeilen anhören, in denen Samberg besingt, was für ein „challenging place“ SNL ist, wie es sich anfühlt, „notes from Lorne“ zu erhalten?
Man sollte ein Comedy-Bit nicht zu ernst nehmen, Selbstironie ist eines der wichtigsten komödiantischen Stilmittel — geschenkt. Aber ein Bisschen was sagt es schon aus über Lorne Michaels und wie sicher er sich in seiner Machtposition fühlt, oder? Dass der verbuchte Kontrollfreak keine Probleme damit zu haben scheint, Beiträge zu senden, die offen auf den enormen Druck anspielen, dem er seinen Cast aussetzt, und die zukünftig als Beleg herhalten könnten, dass jeder über das „System Michaels“ Bescheid weiß und sich bewusst ist, was es mit Michaels’ Untergebenen macht?
Wie auch immer: Wer zusätzlich zu der, wie gesagt, durchaus emotional effektiven Selbstbeweihräucherung der Show anlässlich des Jubiläums auch eine kritischere Perspektive lesen will, dem sei diese Übersicht von Seth Simons über seine Berichterstattung über SNL und Lorne Michaels über die Jahre empfohlen.