📚 Paul Rousseaus Friendly Fire: A Fractured Memoir: Ein potenzieller Klassiker in der Literatur über Trauma und Behinderung
Früh in Friendly Fire, seinem Memoir über einen Unfall, von dem er permanente Hirnschäden davongetragen hat, beschreibt Paul Rousseau, wie sich die Verletzung auf sein Schreiben auswirkt:
My post-injury brain wants to fixate and obsess. I can’t focus for long, sometimes just fifteen-minute spurts here and there. The brevity of this book is an exact reflection, these fractured chapters a direct result. If I try to write for longer than my brain allows, it becomes hollow. I lose the ability to connect dots, maintain interest.
Es ist gerade diese fragmentarische Struktur, die Friendly Fire so effektiv macht. Rousseau bildet so ab, wie sein traumatisiertes Gehirn funktioniert, und wie »Heilen« wirklich aussieht – nicht ein linearer Prozess stetiger Besserung, sondern ein unordentliches, oft frustrierendes Auf-und-Ab ohne klaren Endpunkt.
Verantwortlich für Rousseaus Verletzung ist sein College-Mitbewohner und damaliger bester Freund, den er im Buch Mark nennt. Mark war ein Waffenentusiast und hatte – ein Verstoß gegen die Campus-Regeln – mehrere Schusswaffen in der gemeinsamen Wohnung. Eines Abends, als beide sich für gemeinsames Ausgehen zurechtmachten, drückte Mark den Abzug einer seiner Waffen, im Glauben, sie sei nicht geladen. Die Kugel durchschlug zwei Wände und traf Rousseau in den Kopf. Rousseaus Glück war, wie er später von seinen Ärzten hervor, ein ungewöhnlich dicker Schädel: Die Kugel zerschmetterte seinen Schädel, prallte aber ab, ohne in sein Gehirn zu dringen. Rousseau überlebte, aber mit bleibenden physischen und kognitiven Schäden und schwerem psychischen Trauma. Nach dem Unfall wartete Mark Stunden, bevor er Polizei und Ärzte informierte, kümmerte sich stattdessen darum, sich selbst zu schützen, indem er die Campus-Sicherheit belog und seine Waffen aus der Wohnung schaffte.
Die Kapitel, die den Unfall und die Ereignisse unmittelbar danach beschreiben, lesen sich nie ein Thriller. Rousseau bricht die Spannung allerdings immer wieder mit essayistischen Kapiteln, in denen er etwa auf seine Freundschaft mit Mark und seinem anderen Mitbewohner Keith zurückblickt, oder auf seine Erfahrungen als Teenager mit schlimmer Akne, die laut Rousseau den Beginn einer »seltsamen Beziehung« zur Medizin bedeuteten, die sich nach dem Unfall intensivieren sollte. Diese Einschübe reichern Rousseaus Geschichte mit Kontext an, geben ein Bild davon, welche Emotionen der Unfall in Rousseau aufgewühlt hat. Gleichzeitig spiegelt diese Struktur ein Stück weit den Verlauf der Ereignisse und hilft so, uns in Rousseaus Position zu versetzen: Wie Rousseau (zu) lange warten musste, bevor Mark Hilfe rief, lässt er uns immer wieder auf den nächsten Teil seiner Geschichte warten, indem er bewusst abschweift – »Is this a good time to talk about zits?« beginnt er etwa einen dieser Einschübe, gleich nach dem dramatischen Moment, als seine Freundin und Familie von dem Unfall erfahren.
Der Rest des Buches behandelt dann Rousseaus körperliche und geistige Verarbeitung des Traumas auf der einen und die lange gerichtliche Auseinandersetzung mit seiner Versicherung auf der anderen Seite. Die beiden Prozesse laufen gleichzeitig und arbeiten oft gegeneinander:
[My personal injury case] made progress—or at least the show of progress—my enemy. Any improvement, any impression that I wasn’t dumb and brain damaged, could undermine my case«[.]
Die Besuche bei Gutachtern und Anwälten schildert Rousseau oft mit bitterem Humor, doch er macht auch kein Geheimnis aus seiner Wut darüber, Energie für den kafkaesken Kampf um die ihm zustehende finanzielle Unterstützung aufbringen zu müssen, anstatt sich voll auf seine Genesung konzentrieren zu können.
Diese Kapitel wechseln sich mit introspektiveren ab, in denen Rousseau seine von Trauma gezeichnete Gedanken- und Gefühlswelt abbildet und seinen Alltag nach dem Unfall erzählt. Das Bild, dass er so zeichnet, ist eines innerer Zerrissenheit, einer Genesung, die unnötig dadurch erschwert und unterbrochen wird, dass Rousseau sein Trauma immer wieder neu durchleben muss. Besonders berührend sind Rousseaus Schilderungen davon, wie das Trauma und die Trigger, die es geschaffen hat, sein Leben und seine Erinnerungen überschatten. Bei der Abschlussfeier seines Studienjahrgangs versetzt der Anblick von Marks Auto ihn in Panik; beim Videospielen kann er sich nicht überwinden, seinen digitalen Feinden in den Kopf zu schießen. Vor allem trübt das Trauma auch seine Erinnerungen, zerstört die Freundschaften, die er während dem Studium geschlossen hat. Die zu Mark, natürlich:
If every good memory I had of us was a lake, April 7 dumped into it a vat of toxic waste, tainting the whole body of water. Maybe a few things can be filtered out, but that lake is beyond redemption. Are you happy I didn’t die?
Aber auch die Freundschaft zu Keith, der Mark nach dem Unfall zwang, endlich Hilfe zu rufen, kann Rousseau nicht wieder aufnehmen:
The thing is, Keith, there is no us without Mark. And Mark shot me in the head. It’s not a bygones situation, you know? Every second I saw you would remind me that I got shot, without fail. The two of us are only capable of the past, and I’m only in the mood for moving on. I hope you’ve moved on from this too.
Mark und Keith zu verlieren, schreibt Rousseau,
was losing my five senses. I was robbed of the primary way I perceived the world. They were my cues, my context.
Rousseau beschreibt eindringlich, wie die Effekte seiner Behinderung ihn von seinen Mitmenschen isolieren. Sie belasten die Beziehung mit seiner Freundin und seiner Familie, verhindern, dass er Verbindungen zu seinen neuen Kollegen knüpft. Gleichzeitig schärfen seine Erfahrungen auch seinen Blick für das Leid und die Herausforderungen anderer: Bei einer Untersuchung für seine Versicherung knüpft er eine stumme Verbindung zu einer anderen Patientin; wie die Anwälte über den Wert seines Lebens verhandeln vergleicht er damit, wie Männer über die körperliche Autonomie von Frauen entscheiden. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Impulsen, schreibt Rousseau, ist er seit dem Unfall hin- und hergerissen:
By many accounts, a near-death experience changes a person. Opens them up to life. Increases their compassion. It is also known that traumatic brain injury does just the opposite, decreasing emotional intelligence and empathy. I’ve been pulled by these opposing forces, not sure which team I play for. My life has been reduced to dualities. Life/death. Courage/fear. Forgiveness/hatred. Love/anger. Laugh/cry. I’m never sure if I’m supposed to wish April 7 never happened, or just adapt and be thankful. The answer is yes.
Friendly Fire ist, wie Rousseau an einer Stelle schreibt, kein »issue book«. Aber es sind gerade auch diese Momente, in denen Rousseau seinen Blick über seine eigene Geschichte hinaus erweitert, die Friendly Fire zu einem so wertvollen Beitrag zur Literatur über Trauma und Behinderung machen: Rousseaus Geschichte ist einzigartig, aber, schreibt er, »metaphorically, everyone gets shot in the head.«, und so schärft er auch unseren Blick, sensibilisiert uns für die oft unsichtbaren alltäglichen Herausforderungen unserer Mitmenschen.