Ich hab kürzlich von Adrien Brody’s Kunst erfahren und jetzt ist er mein liebster zeitgenössischer Künstler.

Actor Brain muss sich so gut anfühlen (eine Würdigung von Adrien Brodys Pop-Art)

Im Mai 2003, kurz nach seinem ersten Oscar-Gewinn für The Pianist, moderierte Adrien Brody Saturday Night Live. Bei der Ansage des Musikgasts Sean Paul – eigentlich ein eher routinemäßiger, in ein, zwei Sekunden erledigter Teil des Aufgabenbereichs eines SNL-Hosts – performte Brody, ohne Absprache mit Cast und Autoren/Produzenten der Show, ein spontanes Bit: Er setzte eine Dreadlock-Perücke und einen jamaikanischen Akzent auf und brabbelte Nonsens-Phrasen wie „respec’ my neck“. Seitdem, heißt es, ist Brody von erneuten Auftritten bei SNL ausgeschlossen.

Der Vorfall illustrierte ganz wunderbar die spezifische Kategorie von Actor Brain, die Brody hat, deren Grundgedanke in etwa so geht: Ich bin gut im Schauspiel. Das heißt, ich muss auch gut in allem anderen sein.1 Dieser Grundgedanke führt dann eben zu Folgegedanken wie, Sean Paul ist aus Jamaika, und das ist sehr witzig. Diese scharfsinnige komische Beobachtung muss ich mit der Welt teilen. Oder, zuletzt: Ich habe einen Oscar gewonnen und muss jetzt eine Rede halten. Ich habe der Welt etwas mitzuteilen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber wenn ich lang genug rede, kommt vielleicht was brauchbares dabei rum.

Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass ich Brodys Mindset für genau richtig halte und finde, alle Schauspieler sollten so ein. Wenn man sich als Schauspieler nicht aufführt wie Jenna Maroney aus 30 Rock, ist das als Arbeitsverweigerung zu werten. Ich kann das nicht so richtig erklären, ich bin einfach überzeugt, dass es irgendwie gesund für eine Gesellschaft ist, wenn ein paar Auserwählte den weltfremden Größenwahn ausleben, den sich diejenigen von uns, die für ihr Geld arbeiten müssen, nicht leisten können. Als Gesellschaft sollten wir also die Brodys und Eidingers dieser Welt enablen, wo wir nur können.

Entsprechend möchte ich an dieser Stelle etwas anderes würdigen, in dem Adrien Brody sehr gut zu sein glaubt: seine Kunst. Adrien Brody macht Pop-Art. Sie ist genau so, wie ihr es euch vorstellt, wenn ihr hört „Adrien Brody macht Pop-Art“.

Schauen wir uns eines seiner Werke an:

„Starbucks“ zu „Brodybucks“ – qualifiziert das schon als Wortspiel? Ist das Satire der Nathan-Fielder-Schule? Lassen wir uns von diesen Fragen nicht allzu lang ablenken, schauen wir stattdessen nochmal genauer hin, denn Brody hat auch eine grafische Veränderung am Starbuchs-Logo vorgenommen: Da sind sie also, die titelgebenden Handguns. Vielleicht also eher Satire der Michael-Scott-Schule? Auf jeden Fall zeigt sich hier bereits Brodys scharfsinnige Konsumkritik, die auch im folgenden Bild zur Geltung kommt:

Wer zu denjenigen gehört, denen Morgan Spurlock erst aufzeigen musste, dass es keine gute Idee ist, zu jeder Mahlzeit Fast Food zu essen, den wird dieses Werk Brodys vielleicht noch weiter wachrütteln. Und der sollte sich jetzt gut festhalten, denn das nächste Werk – vielleicht Brodys Meisterstück – ist noch erschütternder:

Es ist vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber in diesem Werk versteckt sich eine subtile Anti-Schusswaffen-Botschaft:

Als Betrachter mag man zunächst irritiert sein: Waffen sind doch alles andere als „Toys“? Ich glaube, dass Brody diesen Widerspruch bewusst einsetzt – das Labeln von gefährlichen Waffen als Spielzeuge, hat das nicht beinahe etwas ironisches?

Aufmerksame Beobachter werden erkannt haben, dass Brody sich gerne zusammen mit seinen Werken ablichten lässt, und hier entfaltet seine Kunst für mich erst ihre ganze Wirkung. Schaut in dieses Gesicht:

Stellt euch vor, wie es sein muss, durch diese Augen zu schauen, in diesem Kopf zu leben. Was in einem Menschen vorgehen muss, der „Toys“ neben ein Schusswaffen-Display schreibt, es in eine Kunstgalerie hängt und sich daneben ablichten lässt mit diesem „Ja, das hab ich mich getraut, was willst du dagegen tun?“-Gesicht. Keine Selbstzweifel. Kein Konzept davon, dass andere Menschen auch ein lebendiges Inneres haben, und dass nicht jeder Gedanke, den man hat, so noch nie von irgendjemandem auf der Welt gedacht worden ist. Es muss sich gut anfühlen in diesem Kopf. Aber wie ein anderer großer Künstler, The Great Gonzo, es einst formulierte: You can just visit, but I plan to stay. Die meisten von uns sind verdammt, mit Selbstzweifeln und dem Bewusstsein zu leben, dass wir nichts besonderes sind. Adrien Brodys Kunst jedoch lässt uns, nur für einen Moment, erleben, wie es wäre, davon befreit zu sein.


  1. Ebenfalls betroffen ist etwa Lars Eidinger. Spenden Sie jetzt. ↩︎

Es ist viel gefährlicher, wenn die Union AfD-Politik macht, als wenn die AfD in der Opposition selbst ihre Politik macht. Gegenüber den Forderungen der AfD gibt es immer noch viele Vorbehalte. Eine Brandmauer gegenüber CDU und SPD gibt es hingegen nicht. Am Sondierungspapier lässt sich sehen: Es gibt nur noch eine formelle und keine inhaltliche Brandmauer mehr.

Lesenswertes Interview mit Journalist Arne Semsrott. Semsrott hat in seinem Buch „Machtübernahme“ durchgespielt, wie, nun, eine Machtübernahme der AfD aussehen könnte und diese einen schrittweisen „autoritären Umbau“ umsetzen könnte. Wie sich aber mehr und mehr zeigt, braucht es dafür gar keine AfD-Regierungsbeteiligung, denn die Merz-CDU (und auch die Ampel zuvor) hat schon einige Schritte in diese Richtung unternommen.

Merz' Verhalten seit der Wahl ist nicht impulsiv, sondern wohlkalkuliert

Hanlon’s Razor besagt ja: „Never attribute to malice that which is adequately explained by stupidity.“ Einer Variante dieses Grundsatzes scheint Sebastian Huld bei seiner Analyse bei n-tv von Friedrich Merz’ Verhalten seit der Bundestagswahl zu folgen. Er schreibt:

Merz gefährdet - wie schon bei seiner Abstimmung mit der AfD - den Erfolg seiner Kanzlerschaft, noch bevor er das Amt angetreten hat. Der CDU-Chef und seine Jungsbande trumpfen dieser Tage auf, als hätten CDU und CSU am Sonntag 40 Prozent der Stimmen eingefahren.

Dieses Verhalten erklärt er mit „[e]rschreckenden[n] Defizite[n] bei Empathie und Taktik“ seitens Merz. Mit seinen Beleidigungen gegen die Demonstranten gegen Rechts nach seiner gemeinsamen Abstimmung mit der AfD sowie der absurden kleinen Anfrage, in der Merz und die Unionsfraktion die staatliche Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen infrage stellen, gebe Merz einem „Impuls“ nach.

Dass Merz Defizite in Sachen Empathie hat, daran besteht kein Zweifel. In Sachen Taktik allerdings sollten wir zumindest in Erwägung ziehen, dass Merz hier überhaupt nicht impulsiv handelt, sondern wohlkalkuliert, und dass seine Taktik genau so aufgeht, wie ihm vorschwebt.

„Es hätte unmittelbar nach der Wahl vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung SPD gebraucht“, schreibt Huld, und das stimmt – nur nicht aus der Perspektive von Friedrich Merz. Denn Merz will insgeheim ja gar nicht mit der SPD regieren – er würde am liebsten allein regieren, und am zweitliebsten mit der AfD. Letzteres schließt er offiziell nur deshalb aus, weil er weiß, dass es starken Gegenwind, auch aus seiner eigenen Partei, geben würde – noch. Aber was, wenn die Union plötzlich (die folgenden Anführungszeichen bitte maximal sarkastisch lesen) „gezwungen“ wäre mit der AfD zu koalieren, weil sich kein anderer Partner findet? Vielleicht wäre das leichter zu verkaufen…

Merz’ Agieren macht aus seiner Sicht taktisch absolut Sinn, denn aus dieser Perspektive ist er in einer Win-Win-Situation. Mit seinem breitbeinigen Mackertum und offenem Kulturkampf signalisiert er der SPD: Wenn ihr mit mir regiert, dann so – als eine, wie Huld es formuliert, „dem künftigen Kanzler ausgelieferte CDU-Untergliederung“. Und wenn die SPD das nicht mitmacht, ja, wo wäre denn das Problem? Dann bleibt Friedrich Merz ja gar nichts anderes, als mit der AfD zu koalieren oder sich wenigstens von ihr wählen zu lassen.

Dürfte ich der SPD Ratschläge geben, würde ich ja sagen: Call his bluff. Für Friedrich Merz’ Koalitionsentscheidungen ist niemand verantwortlich außer Friedrich Merz und der Rest der Union, der sie mitträgt. Würde ich aber wetten, dann darauf, dass Deutschlands zweitrückgratloseste Partei nach den Grünen Merz am Ende so ziemlich alles geben wird, was er will, und das als heldenhaftes Opfer verkaufen wird, das uns vor einer AfD-Regierung bewahrt. Dass Merz dann, mit voller Unterstützung der SPD, weitestgehend dieselbe Politik machen wird, die wir auch mit der AfD bekommen hätten, soll dann wohl irgendwie das „kleinere Übel“ sein.

Das ist eine der großen Lektionen, die ich aus der ersten Trump-Amtszeit mitgenommen habe: dass Hanlon’s Razor, zumindest, wenn es um Politik geht, meistens Unsinn ist. Öfter als nicht ist selbst scheinbar „impulsives“ oder irrationales Handeln Ergebnis taktischen Kalküls. Merz weiß sehr genau, was er hier tut, und die Konsequenz – dass seine Union, wenn nicht jetzt dann spätestens zur nächsten Wahl, so inkompatibel mit allen anderen Parteien wird, dass es wirklich nur noch mit der AfD geht – nimmt er nicht nur in Kauf, er begrüßt sie.

Neben dem offensichtlichen – Merz sieht den Kampf gegen Rechtsextremismus als Kampf gegen ihn selbst, go figure – lebt Merz mit dieser kleinen Anfrage auch seine persönliche DOGE-Fantasie aus. Merz hat ja in diesem Wahlkampf noch mehr als früher Trump nachgeeifert, teils 1:1 seine Rhetorik übernommen („Tag eins!“, „Richtlinienkompetenz“ blabla), jetzt will er auch noch der deutsche Elon Musk sein und erstmal demonstrativ überall kürzen, wo „der Staat“ „zu viel“ Geld für „sinnloses“ ausgibt. Der absolute Overkill von dem ganzen (551 Fragen, die teilweise auch einfach dasselbe anders formuliert fragen) ist insofern auch Methode, Leute, die keinen Bock haben, sich sowas durchzulesen, sollen halt den vagen Eindruck bekommen, dass staatliche Förderung völlig aus dem Ruder gelaufen wäre und es da mindestens 551 offene Baustellen gäbe, wo jetzt endlich mal wer anpackt.