Reviews: Bullet Train, Gladbeck, Kimi & mehr

Hier ein paar kürzere Reviews zu neuen und älteren Filmen und einem Buch, für die ich nicht jeweils einen eigenen Post anlegen will.

Bullet Train ist nicht gut, aber Züge schon

Bullet Train hat mich etwas über mich selbst gelehrt: Ich mag Züge. Sehr. Ich mag Züge, und ich mag Filme, die in Zügen spielen, von Murder on the Orient Express1 über Before Sunrise zu Snowpiercer. Ich hab sogar vage angenehme Erinnerungen an den einen Liam-Neeson-Film, der im Zug spielt, obwohl (oder weil) ich außer »Liam Neeson spielt mit und der Film spielt im Zug« kein anderes Detail darüber nennen könnte wenn mein Leben davon abhinge.

Für Bullet Train bedeutet das konkret: Das sollte mich alles nerven. Auf kaum etwas habe ich noch so wenig Lust wie auf das, was David Leitch, nach einem Drehbuch von Zak Olkewicz, hier macht, dieses Lucky-Number-Slevin-Ding, Tarantino auf Wish bestellt2, Auftragskiller, die zwischen Explosionen von Gewalt Quips und Popkulturreferenzen austauschen und so. Einer der keine-Ahnung-wieviele Killer im Film redet ständig über Thomas the Tank Engine, und das wird nicht, also wirklich gar nicht, irgendwie aus der Figur heraus gerechtfertigt, es ist einfach die Wort-Assoziation »Film-spielt-in-einem-Zug -> Thomas-the-Tank-Engine-ist-ein-Zug«. Am Ende erhält »The Water Bottle« eine coole Intro-Sequenz und Backstory, so wie vorher »The Wolf« und »The Father« und die ganzen anderen coolen Killer mit coolen ihre eigene coole Intro-Sequenz bekommen haben. Es ist die Sorte Humor, die man früher mit »lol so random« beschrieben hat. Brandon Streussnig hat es schon sehr treffend beobachtet: Es ist, als hätte Deadpool-2-Regisseur Leitch Ryan Reynolds’ Persönlichkeit auf einen ganzen Film (und eine Handvoll eigentlich ziemlich okay Schauspieler)3 verteilt.4

Aber, und ich kann das nicht genug unterstreichen: Das alles passiert in einem Zug. Und das reicht mir irgendwie, das kriegt mich ein Bisschen, sorry.

OK, Bullet Train ist nicht ganz frei von legitimen Qualitäten: Leitch, Co-Regisseur von John Wick, ist gut darin, hand-to-hand-Kampfchoreographien in engen Räumen zu inszenieren, und er macht hier ausführlich Gebrauch von diesem Talent. Ich mag den Look des Films, farbenfroh ohne, mit wenigen Ausnahmen, zu überstilisiert zu sein. Und, natürlich, der Cast — so sehr Leitch und Olkewicz sich auch anstrengen, ganz können sie den Charme ihrer Darsteller*innen nicht abstellen.

Aber nichts davon ist genug, dass ich Bullet Train irgendjemandem empfehlen würde, der weniger begeistert von Zügen ist als ich. Irgendwie wirkt der Film gleichzeitig sehr »2022« — die zwanghafte self-awareness aller Beteiligten, der vielleicht von Taika Waititi inspirierte (und schon da nicht lustige) Running-Gag, gewalttätige Gangster Mental-Health- und Achtsamkeitssprache abspulen zu lassen — und wie ein Film, der seit den späten 90ern/frühen 2000ern in irgendeiner Vault liegt.5 Es ist schon alles sehr anstrengend, und man spürt jede einzelne der 126 Minuten Laufzeit. Aber, keine Ahnung, am Ende ist diese Art Film schauen für mich wohl ein Bisschen wie eine lange Reise machen: Immer irgendwie anstrengend, aber doch angenehmer, wenn es im Zug stattfindet.

Gladbeck — Die Geiselnahme: wichtiges Zeitdokument oder nur weiterer True-Crime-Content?

Ich verkneife mir hier, McLuhan zu zitieren, aber es ist schon interessant, einen Film wie Volker Heises Gladbeck — Das Geiseldrama ausgerechnet auf Netflix zu gucken. Ein Film, der anklagt, wie Journalist*innen aus einem Verbrechen — der, nun 1988er Geiselnahme von Gladbeck — das drei Tote forderte, Content machten, und wie eine Bevölkerung diesen Content als Entertainment konsumierte. Dieser Film, anwählbar neben dutzenden anderen Filmen und Serien, die genau das im hier und jetzt tun: Verbrechen als Content verwerten, damit ein Streaming-Service in akuter Bedrängnis holen kann, was zu holen ist aus dem True-Crime-Trend.

Aus Netflix’ Perspektive ist Gladbeck natürlich Teil dieser Strategie. Das ist Heise nicht vorzuwerfen, aber ich finde es schwer auszublenden: Netflix hat sicher nichts dagegen, dass Menschen Gladbeck als ein Zeitdokument gucken und einen Film über unsere Tendenz, das Leid anderer zu unserer Unterhaltung zu machen; aber ich glaube, die Zielgruppe, die Netflix, anders als der Regisseur, vor allem mit diesem Film erreichen will, sind diejenigen, für die Gladbeck nur ein weiteres Stück True Crime ist, für die der Film heute erneut genau die Funktion erfüllt, die das Geiseldrama schon damals für Medien und Bevölkerung hatte.

Ich hatte ziemlich genau die Reaktion auf Gladbeck, die Heise sich wünscht: Empörung, Fassungslosigkeit, und ein guter Schuss Introspektion, denn ich hab mir das ja auch angeguckt, obwohl ich im Wesentlichen schon Bescheid wusste, was damals passiert ist. Insofern »funktioniert« der Film: Auch, wenn man »schon Bescheid weiß«, ist es eindrucksvoll, das mehrtätige Geiseldrama nochmal im Zeitraffer nachzuvollziehen. Heise arbeitet ausschließlich mit Archivmaterial, und ausschließlich mit Material, das direkt während dieser 54 Stunden entstanden ist, die die Geiselnahme von Gladbeck dauerte (nicht zum Beispiel mit nachträglichen Aufarbeitungen, die es ja durchaus gab). All das bekannte Material ist da — die Interviews mit den Tätern, die Glamour-Shots von Fotograf Peter Meyer, der zeitweise die Rolle eines eher unterqualifizierter Vermittlers mit den Geiselnehmern einnahm —, aber auch weniger bekanntes, das teils direkt an das bekannte anschließt und so dessen Entstehung erzählt. Die Montage ist akribisch und effektiv, und wer grundsätzlich zu Reflexion bereit ist über Medien und ihren Konsum, über deren (und die eigene!) eigene Lust an der Sensation, der wird in diesem Film viel Anlass dazu finden.

Aber irgendwie frage ich mich auch…wozu das ganze? Es ist ja nicht so, als hätte noch gar keine Reflexion über Gladbeck, auch kollektive, stattgefunden. Es gibt zig Fernsehdokumentationen (und mindestens einen ARD-Spielfilm), Talkshows thematisierten das Drama und die Rolle von Journalismus und Medien, geschrieben wurde darüber sowieso, der deutsche Presserat änderte seine Richtlinien…was leistet ein Film wie der von Heise, der selbst nicht einordnet, im Jahr 2022 noch? Er archiviert das Geschehene und das Material, schätze ich, und sicher werden viele Netflix-Zuschauer*innen sich dank dem Film zum ersten Mal mit dem Drama beschäftigen, und natürlich werden nicht alle es nur als weitere True-Crime-Story wahrnehmen, viele wird es auch zu derselben Art Reflexion inspirieren wie mich. Aber wenn man sich 2022 nochmal mit diesem ausführlich bearbeiteten Thema beschäftigen will — vor allem in einem Netflix-Film — gäbe es da nicht interessante Fragen darüber zu stellen, inwiefern genau die Tendenzen, denen Medien und Bevölkerung damals so ungezügelt nachgaben, auch heute noch da sind? Es ist leicht, auf Gladbeck als eine Episode von Massenhysterie zu blicken, als eine Ausnahmesituation, aber interessanter ist es vielleicht, den Gedanken zuzulassen, dass das Verhalten der Medien damals eigentlich ganz normal war, dass sie damals nur ein Bisschen schamloser (ehrlicher?) waren?

Heise will, glaube ich, dass man sich genau diese Fragen beim Schauen stellt, dass man die Linie zieht von dieser Episode zum heutigem True-Crime-Boom. Aber sein Ansatz wird niemanden dazu bewegen, solchen Gedanken nachzugehen, der es nicht eh schonmal getan hat, und vielleicht ist das ein Bisschen eine verpasst Chance, wenn man einen Film über das Geiseldrama von Gladbeck im Jahr 2022 auf Netflix veröffentlicht.

Kimi: Rear Window, Covid-Edition

Gegen Ende von Steven Soderberghs Kimi wird Zoë Kravitz’ Angela, die so heißt und nicht Kimi aber von der ich für den Rest meines Lebens, wann immer ich einen Still des Films sehe, denken werde, »Ahh, da ist sie, Kimi selbst!«, wird also Angela von ein paar Shady Typen(tm) gejagt und muss, in einem nervenaufreibenden Moment, mit zitternder Hand beide Schlösser ihrer Wohnungstür aufschließen, bevor die Typen sie erreichen. Soderbergh ist hit-and-miss für mich, seine irgendwie beiläufige Virtuosität wirkt auf mich manchmal kühl und seltsam unbeteiligt an dem, was seine Filme erzählen. Aber Kimi ist einer der Filme, in denen ihm dieser spezifische Soderbergh-Zaubertrick gelingt: Der Film wirkt wie ein spontanes, im Vorbeigehen weggefilmtes Projekt, ein Versuch, aus den Umständen (hier: den Covid-Auflagen) das beste zu machen, und ist entsprechend unprätentiös und schnörkellos; und gleichzeitig ist es ein Film, in dem fast jede Einstellung, jedes visuelle Detail, jede Geste Gewicht hat, symbolisch oder thematisch oder whatever aufgeladen ist — nur eben ohne, dass das den unmittelbaren Zielen des Films als ein unscheinbarer, aber mitreißender Crowdpleaser im Weg stehen würde.

Die Idee, die sich durch den Film zieht, ist dass die Technologien — die primitiven wie die fortschrittlichen —, und manchmal sogar die Menschen, die uns beschützen sollen, uns gefährlich werden können (und umgekehrt). Unsere »digitale Assistentin« (oder wie auch immer man Siri, Alexa und Co. nennen möchte) können uns das Leben erleichtern und im Ernstfall Hilfe rufen, aber sie nehmen uns auch ein Stück Privatsphäre, hören uns zu, nehmen uns unbemerkt auf und schicken die Aufnahmen wer-weiß-wohin; unser Nachbar, von dem wir uns beobachtet fühlen, kann der einzige sein, der es mitkriegt, wenn wir Hilfe brauchen; unser Sicherheitsschloss beschützt unser Hab & Gut — und kann uns entscheidende Sekunden kosten, wenn wir plötzlich ausgesperrt sind und von Shady Typen(tm) verfolgt werden. Die kleinen Momente dramatischer Ironie, die dieser Gedanke in Soderbergh immer wieder inspiriert, sind eins der größten Vergnügen von Kimi.

Der Plot ist Rear Window, remixed für 2020: Angela Childs leidet an Agoraphobie, ausgelöst durch einen Überfall, verschlimmert durch die Covid-19-Pandemie. Sie arbeitet für den Hersteller einer Alexa-ähnlichen Smart-Speaker-Systems, genannt Kimi. Ihr Job besteht darin, Aufnahmen abzuhören von Kund*innen-Interaktionen mit Kimi, in denen das System fehlerhaft reagiert hat, und Korrekturen in der Software vorzunehmen. Auf einer der Aufnahmen ist anscheinend eine Gewalttat zu hören. Beim Versuch, die Identität des Opfers herauszufinden, legt Angela sich mit ihren Vorgesetzten an und deckt neue, shady Details über die Geschäftspraktiken ihres Arbeitgebers auf.

Das ganze ist äußerst ökonomisch erzählt: Kimi ist nur knapp 90 Minuten lang, und hat einiges unterzukriegen in diese Zeit, wächst sein Plot doch von einem persönlichen, charakterfokussierten Crime-Drama zu einer Art Verschwörungsthriller. Der Film bleibt auf eine Weise dennoch angenehm klein: Er verliert nie die Nähe zu seiner Protagonistin, erzählt konsequent aus Angelas Perspektive, die schon bevor sie ins Visier ihres übermächtigen Arbeitgebers gerät zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist, um allzu große Ideen und starke Meinungen über die Themen zu haben, die der Plot des Films anschneidet, Überwachung, Sicherheit, unser Verhältnis zu Technologie (und zu den Firmen, die sie herstellen). Stattdessen werden diese Themen Teil des Hintergrundrauschen des Films, ebenso wie die Pandemie und ihr Einfluss auf Angelas geistige Gesundheit, und wie weitere Details über Angela als Figur, wie etwa ihr Autismus und ihre Beziehung zu ihrer Mutter. All diese Details und Ideen belasten den Film nicht, nehmen ihm nichts an Geradlinigkeit, an Tempo, stören das Pacing nicht; sie funktionieren lediglich als Angebote an den*die Zuschauer*in — man kann hier schon über einiges Nachdenken, wenn man denn unbedingt will, aber Kimi fordert das nicht von seinem Publikum; vor allem aber geben sie Soderberghs Plot und seiner Hauptfigur eine Spezifizität, sodass es halb so wild ist, dass die Geschichte weitgehend erwartbaren Beats folgt.

The Laundromat: The Big Short, Panama-Paper-Edition?

Wie gesagt: hit & miss.

Soderberghs Film inspiriert von den Panama Papers sollte wohl sowas sein wie Soderberghs The Big Short: ein episodischer, bitter-komischer Film, der dem*der Zuschauer*in einen komplexen Finanzskandal — hier das System von off-shore Strohfirmen (shell companies), das Steuervermeidung und -hinterziehung, Versicherungsbetrug, Geldwäsche und andere Finanzverbrechen begünstigt — begreiflich und die Folgen für normale Menschen spürbar macht. Wie in Adam McKays Film brechen Figuren die vierte Wand, sprechen direkt zum Zuschauer, wie bei McKay sollen ein hochkarätiger Cast und komische Überzeichnung dem Publikum das eher trockene Thema schmackhaft machen.

Aber wo McKay einen Ton aufrichtiger Entrüstung findet ist Soderberghs Ton eher ein süffisant-amüsiertes Schulterzucken. Während McKays Figuren dem Zuschauer aus der Seele sprechen, wenn sie sich Richtung Kamera drehen, lenken Soderberghs Erzähler — die Chefs einer der Anwaltskanzleien im Zentrum der Panama Papers — eher ab von den Geschichten der Leidtragenden, die Soderbergh dazwischen erzählt. Am besten ist The Laundromat, wenn er sich auf Meryl Streeps Figur konzentriert, eine unscheinbare Witwe, deren Geld aus der Lebensversicherung ihres Mannes im Gewirr aus Strohfirmen und Rückversicherern »verloren gegangen« ist, und die auf eigene Faust versucht, der Sache nachzugehen. Leider geht diese Geschichte zu oft unter in Soderberghs Meta-Spielereien und seiner Ambition, ein Bild des ganzen Ausmaßes des Skandals zu zeichnen, die an sich ja lobenswert wäre, aber in der Praxis eher wie ein Mangel an Konzentration auf das Wesentliche daherkommt.

Tamara Shopsins LaserWriter II: Eine andere Beziehung zu Technologie

Zum Geburtstag habe ich mir dieses Jahr einen Raspberry Pi 400 gekauft. Es ist der preiswerteste Computer, den ich je besessen habe, aber irgendwie auch der luxuriöseste, im Sinne von: Ich brauch das Ding eigentlich nicht. Also, ich werd da schon mehr oder weniger sinnvolle Anwendungen für finden, aber gekauft hab ich ihn wirklich nur, weil ich ihn wollte, und anders als jeden Computer außer meinem allerersten, den ich mit 9 oder so bekommen habe, nichtmal ein kleines Bisschen, weil ich ihn brauchte. Seitdem habe ich ganze Tage damit verbracht, Dinge unter Linux ans Laufen zu kriegen, die ich auf meinen Mac-Geräten mit zwei Klicks hinkriege, und das ist das nächste zu »Urlaub«, was ich in den letzten 8 Jahren gemacht hat.

Ich mag Computer, das ist mir so nochmal gewusst geworden. Das klingt banal, aber die Computer, die ich täglich zum Arbeiten nutze sind halt keine Computer, die man so vorbehaltlos mögen kann: Darauf ist Slack installiert und die Apps diverser sozialer Netzwerke und man weiß vor allem auch, unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Ich mag das irgendwie, einen Computer zu besitzen, den ich (relativ) schuldfrei benutzen und als Fetischobjekt betrachten kann. Apropos: Der 400, der erste Raspberry Pi, der nicht nur ein nackter Prozessor, sondern ein vollständiger Desktop-Computer ist, eingebaut in eine Tastatur, gefällt mir auch einfach als physisches Objekt. Weißes und rotes Plastik, das erinnert an die Designsprache, die Apple lange hinter sich gelassen hat, zugunsten der heutigen, sleeken, »professionellen« Ästhetik. Ich trauere dieser Zeit ein Bisschen hinterher: als Computer wie Spielzeuge aussehen durften, als Design opinionated war und man auch in Kauf nahm, dass eine solch, sagen wir, laute Designsprache eben genauso viele Leute abschreckt wie sie anzieht.

Tamara Shopsins LaserWriter II ist ein Buch, geschrieben für eine bestimmte Art Mensch. Wer keine starken Emotionen über Dinge wie »die Designsprache alter Macintosh-Computer« hat, wer Computer vor allem als Nutz- und so gar nicht als Fetischobjekte sieht, dürfte es ziemlich langweilig finden. Es passiert im Grunde gar nichts, außer dass Figuren alte Apple-Rechner und -Drucker reparieren. Ich, das kann man sich aus der Einleitung dieses Textes sicher zusammenreimen, hätte 900 Seiten davon lesen können.6

Shopsin fiktionalisiert in diesem Roman ihre eigene Zeit als »Tek« im New Yorker Mac-Reparatur-Shop TekServe. Wir sehen den Mikrokosmos des Stores durch die Augen der 19jährigen Claire, die zunächst im »Triage«-Bereich, also dem Empfang anfängt, aber schnell zur Spezialistin für die Reparatur von Laserdruckern befördert wird. Wir beobachten Claire beim Umgang mit Kunden (awkward, unbeholfen), und dem Reparieren der Geräte (eine Art Zen-Zustand für sie) dazwischen gibt es eine kurze Geschichte von TekServe, ein paar Exkurse über die Bedeutung einzelner Apple-Geräte (wie der titelgebenden »LaserWriter«-Serie von Druckern, die im Grunde der Beginn des Desktop Publishing war), und ein paar quirky Sequenzen, die aus der Perspektive von Bauteilen der Drucker erzählt sind. Alles geschrieben in knapper, aber dennoch warmer und pointensicherer Prosa. Wie gesagt: Muss man mögen, sowas.

Ich mag’s, und zwar nicht nur, weil es meinen Computer-Fetischismus validiert hat; daneben hatte es auch einen ähnlichen Effekt wie zuletzt die seltsam untergegangene, hervorragende deutsche Netflix-Serie Billion Dollar Code: Es erinnert daran, dass »Tech« nicht immer und ausschließlich synonym mit Startup-Kultur, Turbokapitalismus, Silicon Valleys fragwürdiger Definition von »Innovation« war. Es gab eine Zeit, oder es gab Episoden und Ecken der Technologie-Geschichte, da waren es vor allem Künstler*innen, Hippies und Hacker, die von Technologie angezogen wurden, weniger smoothie-trinkende Business-Bros. Billion Dollar Code zeigt, wie ein ursprünglich in der Berliner Kunstszene und der Hacker-Kultur der frühen 90er Jahre verwurzeltes Unternehmen durch die Ideologie des Silicon Valley korrumpiert wird. Shopsins Roman, wie ein unabhängiger, von leidenschaftlichen Bastlern geführter Shop, in dem die Zufriedenheit der Kund*innen und schlicht die Liebe zur Technik selbst größere Motivationen sind als finanzieller Gewinn, letztlich verdrängt wird von Apples »Genius Bar«-Modell, ein Modell, das weniger persönlich ist, stärker durchreglementiert und in dem wenig Platz ist für die persönlichen Geschichten, die Menschen mit Technologie verbinden. Man muss beim Lesen unweigerlich an die »Right to Repair«-Bewegung denken: In Shopsins Tekserve ist es eine Frage der Ehre, dass wirklich alles versucht wird, um so viel Leben wie möglich aus den Geräten der Kund*innen herauszuholen; es ist selbstverständlich besser, ein altes Gerät noch einmal aufzufrischen, als den Kauf eines neuen zu empfehlen.

Trotz aller Fetischisierung klassischer Macintosh-Computer und Apple-Drucker taucht Apple, der Konzern, in Shopsins Buch also vor allem als Villain in Erscheinung: Die TekServe-Philosophie, so der Subtext, steht im Widerspruch mit der immer knapper getakteten geplanten Obsoleszenz moderner Technik, und so macht Apple TekServe letztlich schrittweise selbst obsolet. Sie schaffen für unabhängige Stores wie TekServe die Möglichkeit ab, Ersatzteile zu bestellen, untersagen so effektiv das eigenmächtige Reparieren der Geräte.

TekServe schloss 2016, nach fast 30jähriger Geschichte. Ich weiß nicht, ob der Laden wirklich der maximal kundenfreundliche, großzügige, aus der puren Liebe zur Technik und dem Menschen, der sie benutzt heraus betriebene Ort war, als den Shopsin ihn zeichnet. Ist aber auch egal: Shopsins Roman taugt in jedem Fall als eine kleine Utopie, eine Geschichte, die daran erinnert, dass unsere Beziehung zu Technologie eine andere sein könnte als sie heute oft ist.


Abonniere mein Blog per RSS oder Email:

Wenn dir diese Texte gefallen, freue ich mich über eine kleine Unterstützung via Ko-Fi:


  1. Die Sidney-Lumet-Version. Die, ähem, sicher auch interessante Kenneth-Branagh-Version hab ich noch nicht gesehen.↩︎

  2. Ist das der richtige Zeitpunkt, zuzugeben, dass ich noch immer nicht genau weiß, was »Wish« ist und warum es ein Fehler ist, da zu bestellen?↩︎

  3. Und Brad Pitt.↩︎

  4. Auch mit »All timer bad shit from Zazie Beetz in particular.« hat Streussnig leider Recht.↩︎

  5. Siehe hierzu vor allem den befremdlichen Gastauftritt von Channing Tatum, der in Anlehnung an, keine Ahnung, den Humor früher South-Park-Staffeln die Frage konfrontiert, »Wäre es nicht witzig, wenn Channing Tatum schwul wäre?«↩︎

  6. Leider hat das Buch nur etwa 200.↩︎



Date
August 15, 2022