Remake: Connie Willis’ prophetische 1995er Novelle über ein dystopisches Hollywood

Connie Willis’ Remake ist von 1995, was ich mehrfach bestätigt habe, weil ich es nicht so ganz glauben konnte: Ohne Kontext könnte man glauben, dass die Novelle über ein Hollywood in einer nahen Zukunft Willis’ Reaktion auf jüngste Entwicklungen unseres aktuellen Streaming-Zeitalter wäre. 1995, das ist das Jahr von Toy Story, 2 Jahre nach Jurassic Park, 4 nach Terminator 2 — die CGI-Revolution war noch in ihren Anfängen, man konnte bestenfalls ahnen, was eines Tages möglich sein würde. Willis konnte es offenbar besser als andere, jedenfalls antizipierte sie schon damals Entwicklungen, die erst jetzt in Begriff sind, Wirklichkeit zu werden. Und ich befürchte, dass ihre Novelle in den nächsten paar Jahren nur noch prophetischer scheinen wird.

In Willis’ dystopischer (naher) Zukunft hat Hollywood weitestgehend aufgehört, neue Filme zu drehen. Stattdessen produzieren sie Remakes und gelegentlich Fortsetzungen klassischer Filme — aber nicht auf die altmodische Art: CGI-Technologie ist so weit fortgeschritten, dass ganze »neue« Filme aus altem Material erstellt werden können. Du brauchst für dein Remake ein Flugzeug eines bestimmten Modells? Gab es da nicht eine Szene im zweiten Indiana Jones — schneide das Flugzeug einfach von da aus, die Technik macht es möglich, bei Bedarf Perspektive, Belichtung usw. digital anzupassen.

Die Studios in diesem Hollywood, die Namen tragen wie »ILMGM« oder »Fox Mitsubishi«, sind noch mehr als unsere aktuellen darauf fokussiert, bestehende »IP« auszuschlachten, ihre Vergangenheit zu verwalten und den letzten Dollar aus jedem ihrer früheren Erfolge rauszuquetschen anstatt neue Risiken einzugehen. Mehr noch: Hier wurde nicht nur die Suche nach neuen Ideen durch das Recyclen bestehender IP ersetzt, dieselben Regeln gelten auch für Darsteller*innen. Denn das ist der wichtigste technologische, naja, Fortschritt in Willis’ Welt: Was mit Requisiten und Sets funktioniert, funktioniert auch mit Schauspieler*innen. Der 1993 verstorbene River Phoenix kann in dieser Welt doch noch eine lange Karriere haben: Ein Remake von Back to the Future ist in Arbeit, mit ihm in der Hauptrolle, bzw. einem digitalen Abbild, das von CGI-Artists manipuliert wird. Anstatt nach neuen Talenten zu suchen warten die Studio Executives also, bis die Legenden von damals lange genug tot sind, damit ihr »Copyright« erlischt, und versuchen dann, sie für ihr Studio zu lizensieren. Es gilt als radikale, riskante Entscheidung, wird doch nochmal ein*e neue Schauspieler*in besetzt, um mit den Nachfolgern von Motion-Capture- und Greenscreen-Technologie neben, sagen wir, Fred Astaire aufzutreten. Aufstrebende Schauspieler*innen versuchen nicht, durch ihre einzigartige Persönlichkeit hervorzustechen, sondern durch besonders überzeugendes Imitieren von James Dean, Marilyn Monroe oder welcher vor Dekaden verstorbene Star auch immer in dieser Saison angesagt ist.

Das jetzt, 2022, zu lesen, hat eine…besondere Wirkung. Dass Studios sich mehr und mehr um die eigene Achse drehen, alles rebooten oder remaken, wofür sie die Lizenz haben, ist offensichtlich, und war wahrscheinlich auch schon 1995 einigermaßen absehbar; mit ihrer Vision von verstorbenen Stars als IP allerdings hat Willis schon eine beeindruckende Weitsicht bewiesen: Erst in den letzten paar Jahren haben Studios — allen voran, wer hätte es gedacht, Disney — angefangen, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Carrie Fisher und Mark Hamill sind nicht nur in den Rollen ihrer gealterten Charaktere ins Star-Wars-Universum zurückgekehrt, sondern auch, von anderen Schauspieler*innen ge-mocapped, als die jungen Luke Skywalker und Leia Organa. Peter Cushing »spielte« in Rogue One erneut Grand Moff Tarkin, obwohl er 1994 verstorben ist.

Es gibt über diese Praxis durchaus kontroverse Meinungen. Viele beschränken sich dabei aber auf die »Uncannyness« der digitalen Abbilder — ein Problem, das in nicht allzu ferner Zukunft, nach ein paar Jahren weiterem technologischen Fortschritt, gelöst sein dürfte. Etwas unterdiskutiert1 ist meiner Wahrnehmung nach die Ethik dieser Praxis, und zu selten wird gefragt, wo das ganze hinführen sollen. Willis’ hat sich diese Frage schon vor beinahe 30 Jahren gestellt, und ich glaube, ihre Antwort ist nicht fern von der Wahrheit: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis verstorbene Darsteller*innen nicht nur in Rollen, die sie zu Lebzeiten gespielt haben, wiedererweckt werden — bald könnten wir wirklich ein Ticket für den neuen River-Phoenix-Film kaufen. Persönlich finde ich diesen Gedanken einigermaßen abstoßend.

Ungewöhnlich für Willis ist es tatsächlich vor allem das Setting das Weiterdenken von technologischen und sozialen Entwicklungen, die den Reiz von Remake ausmachen. Mehr als für besonders prophetische Zukunftsvisionen ist Willis bekannt für ihre dreidimensionalen, spezifischen Charaktere, aber die Figuren von Remake lassen sich so nicht beschreiben: Der Plot ist eine vorhersehbare Film-Noir-Pastiche, die Figuren sind Typen — der trinkende, sich selbst hassende Möchtegern-Künstler/bald eine Art Detektiv; die mysteriöse Frau, die ihn aufregt mit ihren großen Träumen, ihrem Glauben daran, eines Tages in einem echten, klassischen Hollywood-Musical zu tanzen, die ihm aber gleichzeitig nicht aus dem Kopf gehen will. Die Konstellation funktioniert, aber mehr auch nicht: Der Plot dient in erster Linie dazu, uns durch die von Willis’ kreierte Welt zu führen, die Figuren sind unsere Tourguides.

Auf Romanlänge, glaube ich, wäre mir das ein Bisschen dünn, aber in dieser Form, einer kurzen Novelle, reicht es so gerade. Das Klischee wäre, sowas zu schreiben wie »Die eigentliche Hauptfigur in Remake ist Willis’ dystopisches Hollywood«, und so ganz falsch ist das auch nicht. Präziser aber wäre vielleicht: Die wahre Hauptfigur in Remake ist Willis selbst, oder, naja, ihre Erzählstimme, oder so. Willis’ brennende Leidenschaft für das Kino, speziell klassische Hollywood-Musicals, spricht aus jeder Zeile, und wenn wir emotional in irgendwas investiert sind, dann darin, ob man als derart passionierte*r Cineast*in noch irgendwoher Hoffnung für die Zukunft des Kinos schöpfen kann.

Daneben ist es einfach eine Freude, die Takes der Figuren zu lesen, die vielleicht Willis’ Meinung widerspiegeln, vielleicht nicht: Die mysteriöse Tänzerin hat etwa starke Meinungen über Gene Kelly und Busby Berkeley, deren Werk sie als minderwertig gegenüber dem von Fred Astaire sieht, und ihre Rants, ob man da mitgeht oder nicht, zeigen Willis’ tiefe Expertise über das Genre. Oder da ist diese perfekte kleine Replik auf die These, der Grund für den Tod des Hollywood-Musicals sei, dass es ein Genre für »simplere, unschuldige Zeiten« oder so wäre:

[I]t had never existed, that harmless, innocent world. In 1940, Hitler was bombing the hell out London and already hauling Jews off in cattle cars. […] It had never existed, this world of starry floors and backlit hair and easy, careless kick-turns, and the 1940 audience watching it knew it didn’t. And that was its appeal, not that it reflected »sunnier, simpler times«, but that it was impossible. That it was what they wanted and could never have.2

Die eine Konsequenz der Verbreitung digitaler Technologien für die Filmwelt, die Willis nicht vorhergesehen hat — oder auf die sie zumindest nicht in dieser Novelle bestenfalls anspielt —, ist die, dass diese Technologien es auch jedem einzelnen von uns leichter und leichter machen, ohne die Unterstützung der großen Studios Filme zu machen. Das ist vielleicht der Vorwurf, den man Willis’ Novelle machen könnte, aber vielleicht soll das auch genau so: Ihre Hauptfiguren sind Träumer*innen, deprimiert von der Richtung, in die sich Hollywood entwickelt hat. Aber ihre Reaktion darauf ist, sich in Nostalgie zu flüchten, sich das alte, angeblich bessere Hollywood zurückzuwünschen — womit sie letztlich nicht weniger auf die Vergangenheit fixiert sind als die Studios. Eine echte Alternative, eine bessere Zukunft, können sie sich nicht vorstellen. Vielleicht ist das also an dem*der Leser*in: zu realisieren, dass das »klassische Hollywood« — das, ganz ehrlich, auch seine eigenen Probleme hatte — nicht zurückkommen wird, dass Studios weiter machen werden was Studios eben machen in einem kapitalistischen System, das nicht Ideen und kreatives Risiko belohnt, sondern das Setzen auf die »sichere Sache«, auf das Gewohnte, was schon immer funktioniert hat; und dass die Zukunft des Kinos, wenn es eine gibt, nicht möglich wird, indem wir die Studios verändern, sie vom Wert von Kreativität und Originalität überzeugen — ein aussichtsloses Vorhaben —, sondern indem wir sie irrelevant machen.


  1. Um den Release von Rogue One herum hatte diese Debatte ihren Moment, aber seitdem scheinen wir uns schon ziemlich an die Praxis gewöhnt zu haben.↩︎

  2. Sidenote: Aus demselben Grund fand ich die These nie ganz überzeugend, dass ein klassischer, optimistischer, moralisch aufrichtiger Superman würde nicht mehr in unsere »dunklen Zeiten« oder whatever passen würde. Superman wurde 1938 erdacht, seine Erfinder waren jüdisch. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust waren die ersten großen welthistorischen Ereignisse, die Superman-Comics konfrontiert haben.↩︎



Date
September 10, 2022