Phoebe Bridgers‘ Auftritte während der Pandemie sollten das neue Modell für Musik in Late-Night-Shows sein

Lasst uns ehrlich sein: Den größten Teil der Kunst und Popkultur, die in Reaktion auf oder unter den Bedingungen der Corona-Pandemie entstanden ist, werden wir schnell vergessen haben; wenn wir uns daran erinnern sollten, dann mit einem What were we thinking-Schmunzeln, wenn wir uns erneut mit ihr beschäftigen, dann um Erinnerungen an diese seltsame Zeit aufleben zu lassen, die wir alle mehr oder weniger gemeinsam durchlebt haben. Man sieht schon die Buzzfeed-Listen vor Augen, im Stil von »5 Styles der 00er-Jahre, für die wir uns heute schämen«-Listicles: Könnt ihr es glauben, dass wir es eine Zeit lang kollektiv okay fanden, dass professionelle Late-Night-Hosts ihre Shows von zu Hause aus aufzeichneten, mit schlechteren Production Values als Beauty-Tutorials von mittelmäßig erfolgreichen YouTuber*innen? Und das ist ja auch okay, die meiste Kultur, die gerade entsteht, ist eben ein Versuch, das Beste aus einer eher nicht so guten Situation zu machen, das muss sich nicht bewähren, überdauern, wenn es jetzt gerade irgendwie funktioniert, uns hilft, ein Bisschen leichter durch diese schwere Zeit zu kommen, dann hat es seine Funktion erfüllt.

Es gibt ein paar wenige Ausnahmen: Kultur, die unter den Bedingungen der Pandemie entstanden ist, und die etwas über diese Zeit zu sagen hat, nicht nur, weil sie eben die Bedingungen und Einschränkungen der Pandemie sichtbar macht, sondern weil sie diese auf interessante Weise konfrontiert; und die uns vielleicht sogar über die Krise hinaus etwas zu sagen haben wird.

Die »Corona-Episode« von Mythic Quest und Bo Burnhams gerade erschienenes Comedy-Special Inside sind die zwei Beispiele, die sich zumindest in meiner Bubble als Konsens etabliert zu haben scheinen; ich würde dem noch Songs for Pierre Chuvin von den Mountain Goats hinzufügen. Und, vielleicht nicht ganz in derselben Liga, aber doch wert auf dieser Liste zu stehen: Phoebe Bridgers‘ Neudefinition des »Live-Auftritts« in Talk- und Late-Night-Shows.

Lasst uns (nochmal) ehrlich sein: Diese Art Auftritt sind ein einigermaßen eigentümlicher Brauch. Ich bin mir nie ganz sicher, für wen diese Performances gedacht sind —— gut, die jeweilige Band oder der*die jeweilige Interpret*in bekommt einen kleinen Promo-Boost, aber der Mehrwert für den*die Zuschauer*in erschließt sich mir nicht. Schon Mitschnitte von »normalen« Live-Performances sind ja ein zweifelhaftes Konzept: Fraglich, ob das, was gute Live-Musik ausmacht —— die Energie, die Atmosphäre solche nebulösen, schwer zu fassenden Konzepte halt —— sich in einer Aufnahme einfangen lässt. Beim Talk- oder Late-Night-Show-Auftritt scheint es mir, dass diese Energie von vornherein nicht vorhanden ist1, und so ist was bleibt eine Neuaufnahme eines Songs in einer Umgebung, die ausgerichtet ist, in Setup und Akustik, auf, nun, Menschen die in moderater Lautstärke miteinander reden, und ein Publikum, das engagiert, aber gesittet dabei zusieht, was weder die besten Bedingungen für eindrucksvolle Live-Musik noch für einen klanglich interessanten neuen Mix oder Arrangement eines Songs sind.

Entsprechend ist dieser Aspekt von Late-Night-Shows schon generell der, der am meisten von den Bedingungen der Pandemie »profitiert« hat: Künstler*innen übertrugen ihre Performances aus Home-Studios oder gleich ihrem privaten Wohnzimmer, mussten oft in abgespeckter Besetzung oder mit weniger professionellem Equipment spielen, und das hat meistens jetzt auch nicht gerade zu Performances gefühlt, die man sich mehr als einmal angucken wollte, aber wenigstens zwang es die Interpret*innen, irgendetwas anderes mit ihrem Song zu machen als ihn semi-motiviert, weitgehend unverändert und in matschigem Sound einem desinteressierten Publikum vorzuleiern.

Bridgers hat einige dieser »live from home«-Auftritte gespielt, aber genauso oft hat sie einen anderen, ungleich interessanteren Ansatz gewählt: Ihre »Auftritte« waren oft eher sowas wie Kurzfilme, sie fanden da statt, wo das Venn-Diagramm von »Musikvideo«, »Live-Performance« und »Late-Night-Sketch« überlappt.

Man wusste nie, was man bekommen würde, wenn ein Late-Night- oder Talkshow-Host Bridgers‘ ankündigte. Mal war es ein alberner, charmant amateurhafter kleiner Sketch, wie als sie für James Corden ihre eigene Version von Carpool-Karaoke performte, mittelüberzeugend zusammengeschnitten mit Stockmaterial von Stuntfahrten:

Ebenfalls für Cordens Late Late Show performte sie Kyoto, im Original das nächste zu einem Rocksong, das Bridgers je geschrieben hat, im gediegenen Orchester-Arrangement von ihrer Copycat-Killer-EP; die Inszenierung dazu, in der Bridgers‘ zunächst von ihrem Bett aus singt, während sie durch die sozialen Medien scrollt, und dann (mittels Greenscreen) im Pyjama in einem prachtvollen, aber leeren Konzertsaal, nimmt in einzelnen Einstellungen, Thematik und generellem Vibe tatsächlich ein Stück weit Burnhams Inside vorweg:

Beide Seiten, das albern-amateurhafte und das verwundbare, einsame und ein Bisschen surreale, vereint sie in einer weiteren Performance von Kyoto für Late Night With Stephen Colbert, diesmal in einer trostlosen, zerbrechlichen, aber irgendwie doch seltsam schönen Home-Karaoke-Version:

Und natürlich darf eine Version ihrer unfreiwillig relevanten Endzeit-Hymne I Know the End nicht fehlen. In einer Performance für Seth Meyers‘ Late Night wandert sie durch den Backstage-Bereich eines leeren Theaters, in gothy Makeup und weißem Kleid, die sie aussehen lassen wie der Geist, der diesen derzeit so nutzlosen Ort heimsucht und sich fragt, für wen sie noch spuken soll, wenn alle nur noch zu Hause rumsitzen:

Um noch einmal den Inside-Vergleich zu bemühen: Zusammengenommen geben mir diese Performances einen ähnlichen Eindruck eines grenzenlos kreativen Geists, der gerade nicht so richtig weiß, wohin mit all den Ideen, und ein Stück weit auch dasselbe Gefühl, dass hier jemand auch deshalb so kreativ ist, so viel mehr Kreativität und Energie investiert als, seien wir ehrlich, eigentlich nötig wäre —— Bridgers‘ Songs funktionieren, wie sie in einigen Instagram-Performances bewiesen hat, auch problemlos als in eine Webcam gesungene Solo-Akustikversionen ——, weil sie, wenn sie zu lange innehalten würde, dem realen Horror unserer Situation nicht mehr entkommen und daran zerbrechen würde.

Darüber hinaus stellen Bridgers‘ Auftritte aber auch die simple Frage: Warum ist Musik in Late-Night-Shows nicht immer so? Mit den regulären Studiogästen ist es normal, dass die Autor*innen irgendeine Hook für den Auftritt planen —— allermindestens vorher eine amüsante Anekdote absprechen, damit das Interview nicht nur aus Promophrasen besteht, wenn sie nicht sogar einen Sketch mit ihnen spielen oder Einspieler produzieren. Bei Musikgästen gibt man sich allerdings, öfter als nicht, damit zufrieden, dass sie die langweiligst-mögliche Version ihrer aktuellen Single in die Leere spielen. Vielleicht können Bridgers‘ Auftritte für den*die ein oder andere Interpret*in ein neues Modell vorgeben, das auch über diese Ausnahmesituation hinaus dazu beiträgt, dass Musik in Late-Night-Shows mehr wird als ein eigentümlicher Brauch, von dem niemand mehr so genau weiß, warum wir ihn noch immer befolgen.


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  1. Auch hier gibt es Ausnahmen: Ich liebe diese Performance von They Might Be Giants‘ Birdhouse in Your Soul in der Tonight Show, gemeinsam mit der Hausband —— die halsbrecherische Geschwindigkeit, die ohrenbetäubend lauten Bläser, das generelle Gefühl, dass alle Beteiligten die Zeit ihres Lebens haben.↩︎



Date
June 17, 2021