Nope — Ending (too) explained

Dieser Text enthält Spoiler für Nope.

»Every animal has rules«. Otis »OJ« Haywood Jr. (Daniel Kaluuya) sagt das gegen Ende des zweiten Akts von Jordan Peeles Nope, und es bringt eine Art Wendepunkt: OJ glaubt, die »Regeln« des mysteriösen, wahrscheinlich außerirdischen Monsters verstanden zu haben, das er und seine Schwester Emerald (Kiki Palmer) in den Wolken über der gemeinsamen Ranch entdeckt haben. Von jetzt an können die beiden und ihre Mitstreiter in die Offensive gehen.

OJ fasst hier aber auch kurz und bündig zusammen, warum Nope für mich im dritten Akt an Faszination verliert und nicht mit Peeles Vorgängerfilmen, Get Out und vor allem dem brillanten, endlos faszinierenden Us, mithalten kann. Peele nimmt diese Idee — »every animal has rules« — ein Bisschen zu buchstäblich, formuliert diese Regeln ein Bisschen zu konkret aus, und das nimmt seinem Film rätselhafte, das seltsame, das Unheimliche.1

OJ und Emerald haben die Ranch von ihrem Vater Otis Sr. (Keith David) geerbt. Die Haywoods behaupten, von dem unbekannten Jockey abzustammen, der das Pferd in Eadweard Muybridges Animal Locomotion reitet, dem wohl ersten Filmmaterial der Geschichte. Die Haywoods trainieren und betreuen Pferde für Filmproduktionen. Seit dem 2001er The Scorpion King finden sie jedoch nur noch selten Arbeit. OJ verkauft deswegen einige Pferde an Ricky Jupe” Park (Steven Yeun), ein ehemaliger Kinderstar, der nun einen kleinen Freizeitpark basierend auf seinem größten Erfolg leitet. Neben dem Cowboy-Film, von dem der Park inspiriert ist, ist es vor allem seine Hauptrolle in der Sitcom Gordy’s Home, für die Jupe noch einen Rest Bekanntheit hat, allerdings aus eher makabren Gründen: Einer der Schimpansen, die den titelgebenden Gordy spielten, geriet während der Aufnahme einer Folge in Rage, und tötete oder verletzte die anderen Cast-Mitglieder. Nur Jupe überlebte unbeschadet.

Als die Haywoods in den Wolken über ihrer Ranch ein mysteriöses, (auf den ersten Blick) untertassenförmiges Objekt entdecken, sehen sie eine Chance: Sie wollen das Objekt auf Video festhalten, das Bild einfangen, dass sie »zu Oprah« bringen, zu Stars machen wird.

Für gut die erste Hälfte von Nope ist es ein eher subtiler Horror, den Peele hier kreiert. Es gibt ein paar klassische »Schockmomente«, spwpjö kleine, blinzelt-und-ihr-verpasst-sie Momente, wenn wir etwa das fliegende Objekt von einer Wolke zur anderen huschen sehen und gemeinsam mit OJ und Emerald verstehen, dass es sich nicht um ein Raumschiff, sondern ein Lebewesen handelt, als auch größere, spektakulärere, wie wenn Jupe eine Show und das Publikum einer Show in seinem Park von dem Monster attackiert werden. Aber vor allem ist es ein unter allem liegendes Gefühl von Unwohlsein, das Peele hier kreiert und das dem Film seine Spannung gibt. Nope ist der erste Horrorfilm, der in 65mm IMAX gedreht wurde, und Peele komponiert viele Einstellungen, die für den riesigen IMAX-Bildschirm gemacht scheinen, die die Weite und Leere der kalifornischen Wüste einfangen, und die viel Raum lassen für die Vorstellungskraft der*des Zuschauer*in — Peele muss das Monster gar nicht oft zeigen, wir malen uns im Kopf schon selbst aus, wo es sich gerade verstecken könnte. Die Welt des Films hat eine seltsame Zeitlosigkeit: Er spielt schon irgendwie im Hier und Jetzt — es gibt etwa moderne Technologie — aber Elemente wie Jupes Freizeitpark scheinen aus einer anderen, unschuldigeren Zeit gefallen. OJ ist der ideale Point-of-View-Charakter für die Welt und Atmosphäre, die Peele hier kreiert: Er hat selbst etwas enigmatisches, will, scheint es, niemanden so ganz an sich ranlassen — inklusive dem Zuschauer. Kaluuya, in einer brillanten Performance, für die er seine gesamte Physiognomie zu verändern scheint, suggeriert, dass OJ immer über irgendetwas nachdenkt, irgendetwas in den Wolken oder der Weite der Wüste sieht, das wir noch nicht gesehen haben. Yeun liefert eine weitere seltsam-faszinierende Performance: Jupe hat die Attacke durch »Gordy« überlebt, aber sie hat ihn verändert, scheint es, und die Person, die er heute ist, ist so sehr eine Rolle die er spielt wie seine Figuren in Gordy’s Home und Kid Cowboy (oder wie der Kinderfilm hieß).

Vieles in diesem Film und in seiner Welt scheint einfach ein Bisschen off. Die Atmosphäre, die Peele hier schafft, erinnert an die besseren Geschichten von H.P. Lovecraft: Es ist kosmischer Horror, das Gefühl, Teil von etwas größerem, älterem zu sein — oder wenigstens von so etwas beobachtet zu werden —, das man nicht versteht und nie ganz verstehen kann.

Auch die Attacke am Set von Gordy’s Home passt in dieses Bild. Wir erleben sie zweimal im Film — einmal, recht spät im zweiten Akt, als eine der furchteinflößendsten Sequenzen, die Peele bislang inszeniert hat, eine Explosion von Gewalt, in der der Affe (per Motion Capture gespielt von Tery Notary) zugleich wie eine unaufhaltbare Naturgewalt und erschreckend menschlich wirkt. Das andere Mal hören wir den Großteil der Szene nur, bis auf eine Einstellung, aus der Perspektive des jungen Jupe. Unter einem Tisch versteckt schaut er auf die Ergebnisse von Gordy’s Rage — darunter der auf dem Boden liegende, leblose Körper seiner Serienmutter —, fokussiert sich aber auf ein seltsames Detail: Einer der Schuhe seiner Serienschwester steht senkrecht, auf der Spitze, mitten auf der Sitcom-Bühne. Diese Version der Sequenz eröffnet den Film — wir können es noch nicht einordnen, aber ein kurzer Dialog aus Gordy’s Home, der dann durch die Explosion von Gewalt unterbrochen wird, ist das erste, was wir im Film hören, diese eine Einstellung das erste, was wir sehen, und dieses bemerkenswerte Detail, der stehende Schuh, wahrscheinlich das erste, was wir bewusst wahrnehmen. Dieses unheimliche, unerklärliche Detail setzt den Ton für den ganzen Film.

Wenn OJ dann also letztlich so klar darlegt, was die »Regeln« des Monsters sind — es greift dich nicht an, wenn du es nicht ansiehst, und der Weg, es zu besiegen, ist, es mit Gegenständen zu »füttern«, die es nicht herunterschlucken kann —, dann macht es den Film irgendwie…kleiner. Prosaischer, leichter zu fassen. OJ zeigt, dass man etwas, was lange unmöglich zu verstehen schien, eben doch ziemlich genau verstehen kann, und das nimmt dem Horror des Films seine kosmische, existenzielle Dimension.

Laut Presseinterviews sehen Peele und der Cast Nope als einen Film über unser Verhältnis zu »Spektakeln«, und viele Reviews und Analysen des Films nehmen diesen Faden dankbar auf. Natürlich ist das Filmgeschäft irgendwie ein Thema, und dann ist da ein thematischer Strang über Raubtiere und die Hybris, die in dem menschlichen Glauben steckt, sie kontrollieren zu können. Und man kann, irgendwie, in der am Ende recht prosaischen Natur des Monsters — OJ gibt ihm ganz bewusst den Namen eines Pferdes, das er gemeinsam mit seinem Vater trainiert hatte — einen Kommentar über die ebenso prosaische Wahrheit hinter den Spektakeln lesen, die Hollywood uns verkauft. Wenn man denn unbedingt will.2 Und ich weiß, man muss jetzt halt Artikel schreiben, auf die Leser*innen stoßen können, wenn sie »nope ending explained« googeln, das ist SEO 101, also ist schon okay, dass diejenigen, die in den Content-Mühlen arbeiten, nach den Brotkrumen greifen, die Peele ihnen zur Interpretation seines Films hinwirft.

Aber ganz ehrlich: Ich finde Nope auf dieser Ebene ziemlich unbefriedigend. »Menschen sind fasziniert von spektakulären Dingen« und »Hollywoods Spektakel sind nicht echt«, viel mehr lässt sich hier nicht aus dem Film ziehen. Peele wirft auch einfach zu viele Definitionen von »Spektakel« durcheinander — Blockbuster, klar, aber auch…Familiensitcoms, und 80er-Jahre-Kinderfilme? —, als dass bei solchen Leseversuchen irgendwas spezifischeres, fokussierteres rauskommen könnte als Allgemeinplätze. Und, damit wir uns verstehen, das ist völlig okay: Ich weiß nicht, ob man zu diesem Thema viel interessantere, originellere Gedanken haben kann, und es ist ja auch völlig okay, wenn ein Film nicht viel mehr will als dieses Gefühl von kosmischem Unwohlsein zu erzeugen, das Nope für große Teile seiner Laufzeit so erfolgreich erzeugt. Peele hat in Interviews auch davon gesprochen, dass er Nope vor allem selbst als Spektakel verstanden wissen will, als einen Film, den man im Kino sehen muss, gerade nach einer langen Zeit, in der man Filme nicht im Kino sehen konnte, und dass der Film nicht viel mehr »Message« oder whatever braucht, und ich finde, er hat Recht. Ich bin nicht mit dem Wunsch aus Nope gegangen, dass Peele sich mehr darauf konzentriert hätte, irgendwas mit seinem Film zu »sagen«.

Sondern, im Gegenteil, mit dem Wunsch, dass Peele uns, im Film selbst und in der Promotion, noch weniger Brotkrumen gegeben hätte. Mir ist das ending von Nope ein Bisschen zu explained. Ich habe den Film nicht mit diesem Gefühl von Verstörung und Verwirrung verlassen. Am Ende war nichts mehr off für mich, es passte alles ein Bisschen zu gut zusammen, es war alles ein Bisschen zu sauber, zu ordentlich, zu, auf eine oberflächliche Weise, befriedigend. Wie OJ, Emerald und ihre Mitstreiter am Ende gegen das Monster kämpfen, das hat mich an Jaws erinnert, wenn die Protagonisten den Hai »markieren«, indem sie mittels Harpunen ein paar Fässer an ihn hängen, ihn so sichtbarer, seine Bewegungen vorhersehbarer machen. Das ist jetzt nicht die schlechteste Referenz — Jaws ist mein erklärter Lieblingsfilm —, und natürlich eine relevante, wenn man in Nope unbedingt ein Statement über Spektakel oder Blockbuster oder was auch immer sehen will; aber ein solches Finale wirkt halt anders, je nachdem, ob die Bedrohung ein weißer Hai ist oder, sagen wir, Cthulhu, und so ähnlich wirkte es auf mich in Nope: Es machte etwas bis dahin schwer fassbares sehr konkret, greifbar, und zerstörte so die faszinierende Atmosphäre, die der Film bis dahin aufgebaut hatte — ohne sie mit etwas anderem, ebenso interessantem zu ersetzen.


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  1. Dieses Problem ist übrigens nicht neu: Auch Get Out und Us haben ihre den-letzten-Akt-einleitenden exposition dumps. Dort wirkten diese allerdings mehr wie ein notwendiges Übel, man hatte das Gefühl, dass die Filme durch die vermittelten Informationen etwas gewannen anstatt, wie hier, etwas verloren.↩︎

  2. Mit dem Strang über Raubtiere und Hybris oder whatever steht das Finale dann wiederum ziemlich in Konflikt, denn das »Raubtier« lässt sich hier einigermaßen einfach kontrollieren.↩︎



Date
August 13, 2022