Karl Lauterbach bedient gefährliche Narrative über die Pandemie und den Klimawandel

»Lesedauer: 2 Minuten«. Karl Lauterbachs Kommentar in, seufz, der Welt ist weniger als 500 Wörter lang, sagt entsprechend wenig von Wert —— und schafft es trotzdem irgendwie, gleich zwei gefährliche Narrative zu bedienen.

Es geht, natürlich, um Corona; es geht aber auch um den Klimawandel: Lauterbach ist pessimistisch, »ob es uns gelingen wird, den Klimawandel rechtzeitig erfolgreich zu bewältigen«. Warum? Wegen den »Erfahrungen mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie«.

Aha. Eine Analogie ziehen zwischen der Herausforderung der Pandemie und der des Klimawandel, zwei globale Krisen, die entschiedenes, radikales Handeln erfordern —— kann man machen, sollte man wahrscheinlich auch. Aber wo Lauterbach hier ansetzt, ist bemerkenswert.

Er beginnt den Text mit der Befürchtung, dass »die Bevölkerung diese Herausforderung [der zweiten Welle der Pandemie] nach wie vor unterschätzt«. Er warnt:

Die Gefahr, die ich sehe, liegt darin, dass wir bei einer nicht wirklich erfolgreichen Bekämpfung der zweiten Welle zu früh aus dem Lockdown herausgehen und dann quälende Wochen mit hohen Zahlen von Neuinfizierten, Sterblichkeit und Überlastung des Klinikpersonals befürchten müssen.

Diese Gefahr besteht, man muss kein Virologe oder Epidemiologe sein, um das zu sehen. Aber wenn dieser Fall eintritt: Wessen Schuld ist das dann? Die einer »Bevölkerung«, die den Lockdown mehrheitlich befürwortet? Oder doch die derjenigen, die darüber entscheiden, ob und wann wir aus dem Lockdown gehen —— die Volksentscheide dazu habe ich bisher verpasst, und sie würden halt pro Lockdown ausfallen.

Das ist der erste gefährliche Mythos, den Lauterbach hier perpetuiert: dass der entscheidende Faktor, der uns von einem erfolgreicheren Bewältigen der Pandemie abhält, das Verhalten der Bevölkerung wäre, und nicht die inkonsistenten und schlecht kommunizierten Entscheidungen der Politik. Das hab ich ja schon aufgearbeitet, aber ich sag das gerne nochmal: Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich zu jedem Zeitpunkt der Pandemie richtig verhalten, hat die Regeln befolgt, hat Einschränkungen mitgetragen, hat im Zweifel härtere gefordert. Das ist kein Bauchgefühl, sondern das, was die Datenlage —— Bewegungsdaten, Umfragedaten, Verkaufszahlen von Lebensmitteln und anderen Produkten, Fahrgastzahlen der öffentlichen Verkehrsmittel —— hergibt.

Lauterbach orakelt:

Denkbar wäre, dass in der Bevölkerung mit Beginn der Impfungen für ältere und pflegebedürftige Menschen eine Stimmung entsteht, in der die mittleren Altersgruppen und die noch nicht geimpften Bevölkerungsgruppen nicht mehr bereit sind, die Pandemie-Einschränkungen mitzutragen.

Und klar, denkbar wäre das. Bislang haben sich derlei Befürchtungen —— dass Menschen etwa jede Lockerung als »Yolo, Corona ist vorbei!« interpretieren würden, wie seit Frühjahr regelmäßig befürchtet und nie bestätigt wurde —— nie als wahr erwiesen. Mit dem Doomsday-Pessimismus sollten wir also vielleicht abwarten, bis ein Katastrophenfall tatsächlich eintritt, anstatt ihn ohne Anhaltspunkte herbeizuprophezeien.

Lauterbach macht nun also den Schlenker zum Klimawandel. Er schreibt:

Für mich bleibt der Eindruck, dass es uns in Deutschland und auch in Europa, geschweige denn in den Vereinigten Staaten, ohne die Entwicklung eines Impfstoffes nicht gelungen wäre, diese Pandemie zu besiegen. Eine Impfung gegen CO2 wird es allerdings niemals geben.

Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind. Ob das erreichbar ist, wage ich zunehmend zu bezweifeln.

Und darin stecken dann eben gleich zwei gefährliche Narrative. Zum Einen ist da wieder die Idee, dass die Bevölkerung »Einschränkungen« zum Aufhalten der Klimakatastrophe nicht mittragen würde. Ein Bundestagsabgeordneter einer Regierungspartei, der suggeriert, das Kernproblem bei der Bekämpfung des Klimawandels wäre der mangelnde Willen der Bevölkerung —— das ist schlicht beleidigend. Das Bewusstsein für die Schwere der Herausforderung und auch der Wille, persönliche Beiträge zu leisten, ist bei der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung da; man sieht es unter anderem auch daran, dass die Grünen bei der kommenden Bundestagswahl wohl deutlich besser abschneiden werden als Lauterbachs SPD —— die Bürger*innen sind so unzufrieden mit einer Regierung, die sich nicht ausreichend ehrgeizige Klimaziele setzt und diese dann auch noch verfehlt, dass sie sich mehr und mehr einer Partei zuwenden, deren Aushängeschild1 die Umwelt- und Klimapolitik ist.2

Viel gefährlicher noch als das »Wir würden ja, aber die Leute wollen halt nicht«-Narrativ ist aber eine viel grundlegendere Annahme, die Lauterbach hier suggeriert: dass im Kampf gegen den Klimawandel vor allem der persönliche Verzicht einzelner entscheidend wäre. Lauterbach sieht als entscheidenden Faktor, ob die Bevölkerung bereit ist, Maßnahmen »analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung« in Kauf zu nehmen.

Zweifelsohne würde es ja helfen, wenn wir dazu bereit sind —— entschieden wird der Kampf gegen die Klimakatastrophe aber anderswo, und ich unterstelle Lauterbach mit all seiner politischen und wissenschaftlichen Erfahrung, dass er das auch weiß. Entschieden wird der Kampf dadurch, ob Einschränkungen da durchgesetzt werden können, wo sich die Politik während der Pandemie selten überhaupt rangetraut hat: bei Konzernen und in Industrien. Was dem erfolgreichen Implementieren von radikalen Maßnahmen gegen den Klimawandel entgegensteht, ist nicht ein Unwillen der Bevölkerung, sondern das Einknicken der Politik vor Lobby- und Wirtschaftsinteressen —— ein Einknicken, das oft genug passiert, bevor überhaupt eine nennenswerte Auseinandersetzung stattfand, bevor überhaupt radikale Maßnahmen ins Gespräch gebracht wurden. Es ist zutiefst zynisch, herablassend, und ziemlich durchschaubar eigene Interessen bedienend —— Lauterbachs Regierungspartei trifft so schonmal keine Schuld, wenn wir das mit dem Klimaschutz nicht auf die Reihe kriegen ——, dass Lauterbach, wider, davon muss man ausgehen, besseres Wissen, ein Narrativ kreiert, dass die Verantwortung weg von den Entscheidungsträgern schiebt, hin zu einer Bevölkerung, die, im Kampf gegen die Pandemie wie dem gegen die Klimakatastrophe, mehrheitlich längst auf der richtigen Seite steht.


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  1. …ob das so verdient ist oder nicht.↩︎

  2. …obwohl diese in Medien der Gruppe, zu der auch die Welt gehört, gerne als »Verbotspartei« charakterisiert wird. Sagt vielleicht auch was zum angeblichen Unwillen, »Einschränkungen« zu akzeptieren, dass diese Partei dennoch so beliebt ist.↩︎



Date
December 28, 2020