Die befremdlichen Methoden von Podcast-Werbung

MedWatch berichtete kürzlich über den Nahrungsergänzungsmittelhersteller Athletic Greens, und dessen Werbung, die man derzeit in diversen deutschsprachigen Podcasts zu hören bekommt. Bekannte Podcaster wie Klaas Heufer-Umlauf (Baywatch Berlin), Micky Beisenherz (Apokalypse und Filterkaffee) oder Fußballer Toni Kroos (Einfach mal luppen) loben das Unternehmen auf eine, nun, besondere Art und Weise:

Schon die Form der Werbung ist speziell. Wäre der mehr als fünf Minuten lange Dialog zwischen Toni und Felix Kroos nicht als Werbung gekennzeichnet gewesen, die Zuhörer:innen müssten denken: Die reden einfach weiter. Auch andere bekannte Podcaster präsentierten ihre Produktempfehlung minutenlang und in der »Ich«-Form. Als subjektive, angeblich persönliche Erfahrungsberichte — natürlich in Abstimmung mit dem Werbepartner. Was zu dem skurrilen, aber natürlich nicht zufälligen Ergebnis führt, dass binnen weniger Tage im Mai nicht nur Toni Kroos, sondern auch Entertainer Klaas Heufer-Umlauf und Moderator Micky Beisenherz offenbar den dringenden Wunsch verspürten, Ratschläge für ihr jüngeres Ich zu erdenken.

MedWatch charakterisiert diese Werbestrategie als »an der Grenze zur Legalität«:

Geht es nach dem Hersteller, sollen Kund:innen das Pulver jeden Morgen mit Flüssigkeit anrühren und trinken. Dann trage AG1 — so das Etikett — »zu einem normalen Energiestoffwechsel«, »zur normalen hormonellen Funktion«, »zu einer normalen Funktion des Immunsystems«, »zu einer normalen kognitiven Funktion« und »zur Aufrechterhaltung eines normalen Blutzuckerspiegels« bei. Damit nutzt Athletic Greens gesundheitsbezogene Werbeaussagen (»Health Claims«), die zwar für einzelne Zutaten des Produkts EU-weit zugelassen sind. In der verwendeten Form jedoch hält der Health-Claim-Experte Alfred Hagen Meyer, Herausgeber juristischer Kommentare zum Lebensmittelrecht, die Werbeaussagen für »eindeutig unzulässig«. Auf MedWatch-Anfrage sagt er: »Health Claims dürfen sich nur auf einzelne Stoffe beziehen, aber keine Aussagen für die Wirkung des Endprodukts treffen.«

Außerdem schaut MedWatch sich die Inhaltsstoffe des beworbenen Produktes »AG1« an und stellt die Frage, wie sinnvoll die Einnahme eines solchen Nahrungsergänzungsmittels wirklich ist:

Tatsächlich sind einige Vitamine und Mineralien, darunter Folsäure und Zink, höher dosiert als vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfohlen. Auch Phosphor ist mit 130 Milligramm je Tagesportion enthalten — das BfR rät gänzlich von einem Zusatz ab. Zur Begründung gibt die Behörde an, dass die Referenzwerte für die Aufnahme des in Nahrungsmitteln weit verbreiteten Phosphors bzw. Phosphats im Mittel bereits überschritten würden. Eine zu hohe Aufnahme wiederum steht im — nicht abschließend geklärten — Verdacht, mit kardiovaskulären Risiken verbunden zu sein. Hersteller Athletic Greens verweist auf Anfrage darauf, dass es »keine europaweiten gesetzlichen Höchstmengenvorgaben für Vitamine und Mineralstoffe« gibt. Die Mengen seien so gewählt, dass »sinnvolle Effekte erzielt werden«.

Ich höre Baywatch Berlin regelmäßig und habe bei der Werbung für AG1 schon seit längerem ein mulmiges Gefühl. Man kommt bei solchen als gut gemeinte, persönliche Empfehlung getarnten Sales-Pitches, gerade, wenn es um irgendwelche dubiosen Pseudo-Gesundheitsprodukte geht, ja kaum umhin, an Multi-Level-Marketing-Programme zu denken: Man stellt sich Klaas Heufer-Umlauf umringt von Kartons voller Flaschen mit Nahrungsergänzungsmittelpulver vor, verzweifelt, dass er das Zeug, das er sich hat aufschwatzen lassen, nicht wieder loswird.

Insofern bin ich dankbar, dass MedWatch sich dem Thema angenommen hat. Der Fokus auf AG1 ist natürlich sinnvoll, es ist wichtig, über Sinn und Unsinn gerade dieser Art Produkt und die Validität solcher »Health-Claims« aufzuklären.

Was dabei allerdings unerwähnt bleibt: Während die Problematik bei solchen angeblich gesundheitsfördernden Produkten zweifelsohne eine besondere Brisanz hat, ist diese Art der Werbung in Podcasts alles andere als ein Ausnahmefall — eher der internationale Standard. Und vielleicht wäre es an der Zeit, mal ganz grundsätzlich zu fragen, ob solche Werbung zulässig ist, und wenn ja, ob sie es sein sollte.

Man muss sich das mal in irgendeinem anderen Medium vorstellen: Gäbe es etwa in Klaas Heufer-Umlaufs Fernsehsendung Late Night Berlin statt eines Werbeblocks eine Rubrik, in der Heufer-Umlauf persönlich irgendwelche Produkte empfiehlt, sie uns ans Herz liegt als wäre er nur ein begeisterter Nutzer anstatt ein bezahltes Werbegesicht, fänden die meisten Zuschauer*innen das wohl einigermaßen befremdlich — zweitranging, ob es sich um Werbung für ein Nahrungsergängzungsmittel handelt oder um Werbung für eine Kochbox, ein Hygieneprodukt oder eine Sprachlernapp (um auf ein paar andere Werbepartner von Baywatch Berlin anzuspielen). In Podcasts ist ähnliches aber Gang und Gäbe. Klar, die Werbeblocks sind (meistens) durch einen Jingle oder ähnliches vom restlichen Inhalt getrennt; aber Moderator*innen sprechen die Werbetexte in demselben Plauderton, in dem der Rest Podcasts gehalten ist, garnieren sie mit persönlichen Empfehlungen, die vielleicht manchmal sogar auf echter Erfahrung mit dem Produkt basieren (was es nicht weniger problematisch macht, sie so während bezahlter Werbeblocks zu geben), oft genug aber auch, wie im Falle von Athletic Greens, eindeutig zumindest in Eckpunkten geskriptet sind. Wäre jemand wie Heufer-Umlauf bereit, Werbung in seinen Fernsehshows ähnlich zu präsentieren?



Das ist übrigens kein speziell deutsches Problem: Amerikanische Podcaster*innen geben dieselben angeblich persönlichen Empfehlungen, für nicht immer unzweifelhafte Produkte. Unter anderem kann man namhafte Podcaster*innen regelmäßig, verpackt als gut gemeinte Empfehlung, irgendwelche »Therapie-Apps« bewerben hören, die kaum den Gang zum (in den USA natürlich teuren) Therapeuten ersetzen können dürften.

Legal ist das alles, gehe ich von aus (wenn auch in speziellen Fällen wie etwa bei Athletic Greens vielleicht »an der Grenze zur Legalität«). Aber es spricht für ein meiner Meinung nach etwas befremdliches Verhältnis einer Branche zu Werbung. Dieses Verhältnis lässt sich auch damit illustrieren, dass große Podcast-Awards wie etwa die Webbys oder die iHeart-Radio-Awards gar Kategorien wie »Best Ad Reads« haben, was unterstreicht, wie Werbung in der Branche wahrgenommen wird: nicht als ein notwendiges Übel, um die eigentlichen Inhalte zu finanzieren, sondern als Teil des Inhalts. Und entsprechend wird sie halt auch gestaltet.



Date
June 27, 2023