Das Hausboot: Kultig, auf so eine Jonestown-Art

Ich erinnere mich nicht, die Frage gestellt zu haben, wo das Venn-Diagramm von Jean Pütz, Sami Slimani und Jim Jones überlappt, aber dank Netflix’ neuer Doku-Reihe Das Hausboot habe ich jetzt die Antwort, und sie lautet »Fynn Kliemann«.

Kliemann, einer der Protagonisten der Reihe, ist DIY-YouTuber und -Influencer, Unternehmer, Musiker und Initiator des Kunstprojekts Kliemannsland, eine Art Kommune für Heimwerker*innen, die mit (für?) Kliemann unbezahlt an verschiedenen Projekten arbeiten, um Content für einen seiner YouTube-Channels — und, zeitweise, eine sicher nicht unbezahlte Webserie für Funk — zu liefern. Sein spezifischer Grift scheint zu sein, Startup-Jargon und Kreativindustrie-Ausbeutung mit einem Anstrich hamburger Schnoddrigkeit und Dilettantismus bekömmlich zu machen — »kultig« soll das wohl sein, ist es auch, nur eben auf die buchstäbliche, größenwahnsinnige Art. Der andere Protagonist der Reihe ist Olli Schulz, den man ja irgendwann mal sympathisch fand, bevor er anfing, mit Typen wie Fynn Kliemann rumzuhängen — oder vielleicht war »man«, also: ich, einfach noch nicht sensibilisiert genug für das Bro-Gehabe und die klaren Zeichen von arrested development, die dessen Schnoddrigkeit und Dilettantismus kaschieren. Vielleicht wächst hier einfach zusammen, was zusammengehört.

Schulz und Kliemann haben, nachdem Schulz eine Anzeige in der BILD-Zeitung gesehen hatte, das Hausboot des verstorbenen Schlager-Country-Sängers Gunter Gabriel gekauft. Die Netflix-Serie dokumentiert ihr Projekt, das einigermaßen runtergekommene Boot zu sanieren und zu einer Kombination aus Konzert- und Eventlocation und Tonstudio umzubauen. Irgendeine Art von kritischer Auseinandersetzung mit Gabriels Werk und Leben, das neben zweifelsohne wichtigen Beiträgen zur deutschen Musikgeschichte auch angedrohte und tatsächliche Gewalt gegen Frauen be­inhaltet, findet zumindest im Rahmen der Serie nicht statt, der Vorbesitzer des Bootes wird lediglich als skurril-witziges Detail geframet. Was für eine charmante Schnapsidee die beiden kultigen Nordlichter hier hatten, ist der Tonfall der Serie, und wie sympathisch-nahbar die Planlosigkeit, mit der sie an das Projekt gehen.

Das Ding ist aber: Dilettantismus ist genau so lange sympathisch, bis Hierarchien ins Spiel kommen. Wenn, sagen wir, Schulz und Kliemann ihr Boot erst für mehrere Tausend Euro neu lackieren lassen, um dann vom später dazugeholten Profi zu hören, dass erstmal aller alte Lack runter muss, damit der neue auch hält, die beiden also erneut ein paar Tausender investieren müssen, kann man das natürlich als witzige Anekdote inszenieren, die von liebenswerter Planlosig­keit zeugt; man kann aber auch fragen, ob die Helfer*innen, die Kliemann zu­sammentrommelt, diesmal eigentlich mit was anderem bezahlt wurden als dem Kasten Bier, den Schulz und Kliemann rumreichen, und wenn nicht, ob mit etwas professionellerem Management nicht doch ein paar Euro drin gewesen wären. Kliemann sagt es an einer Stelle selber: Was er und Schulz hier haben, ist im Grunde eine Firma, mit den beiden als Chefs. und lasst es mich aus Erfahrung sagen: Wenn der*die eigene Chef*in diese Mischung aus »einfach mal machen«-Attitüde, organisatorischer Inkompetenz und grober Fehleinschätzung der zu investierenden Zeit und Aufwand zeigt, ist das überhaupt nicht mehr charmant, sondern toxisch und ausbeuterisch. Es ist die Sorte Management-Versagen, die zu unbezahlten Über­stunden, Crunch und anderen ausbeuterischen Praktiken (nicht nur) der Kreativindustrie führt. Versteht sich von selbst, dass die Helfer*innen keine Stimme in der Doku haben — dafür darf Kliemann halbernst in die Kamera sagen, dass er von allen Beteiligten am meisten arbeite.

In einem viel kritisierten Interview mit der taz präsentierte Kliemann seine These, dass jeder alles schaffen könne: Dass er beispielsweise ein großes Grundstück hat, auf dem er seine Projekte verwirklichen kann, liege lediglich daran, dass er »klug« genug war, direkt nach dem Auszug bei den Eltern ein Haus zu kaufen. Muss man halt erstmal drauf kommen! Das Hausboot zeigt die Realität dahinter: Man kann tatsächlich alles schaffen — egal, wie fragwürdig die Idee von vornherein ist —, wenn man nur den Einfluss hat, nach Bedarf unbezahlte Arbeitskräfte mobilisieren zu können, und die Ressourcen, das Problem scheinbar unbegrenzt mit Geld zu bewerfen und im Zweifelsfall ein, zwei Profis anzuheuern, die die eigene Inkompetenz mit ihrer Expertise kaschieren und die eigenen Fehler korrigieren.


Wenn dir dieser Text gefällt, freue ich mich über eine kleine Unterstützung —— schon mit 1€ hilfst Du, meinen unabhängigen Journalismus und Kulturkritik zu finanzieren (und machst mir eine große Freude :)):



Date
March 12, 2021