Actor Brain muss sich so gut anfühlen (eine Würdigung von Adrien Brodys Pop-Art)

Im Mai 2003, kurz nach seinem ersten Oscar-Gewinn für The Pianist, moderierte Adrien Brody Saturday Night Live. Bei der Ansage des Musikgasts Sean Paul – eigentlich ein eher routinemäßiger, in ein, zwei Sekunden erledigter Teil des Aufgabenbereichs eines SNL-Hosts – performte Brody, ohne Absprache mit Cast und Autoren/Produzenten der Show, ein spontanes Bit: Er setzte eine Dreadlock-Perücke und einen jamaikanischen Akzent auf und brabbelte Nonsens-Phrasen wie „respec’ my neck“. Seitdem, heißt es, ist Brody von erneuten Auftritten bei SNL ausgeschlossen.

Der Vorfall illustrierte ganz wunderbar die spezifische Kategorie von Actor Brain, die Brody hat, deren Grundgedanke in etwa so geht: Ich bin gut im Schauspiel. Das heißt, ich muss auch gut in allem anderen sein.1 Dieser Grundgedanke führt dann eben zu Folgegedanken wie, Sean Paul ist aus Jamaika, und das ist sehr witzig. Diese scharfsinnige komische Beobachtung muss ich mit der Welt teilen. Oder, zuletzt: Ich habe einen Oscar gewonnen und muss jetzt eine Rede halten. Ich habe der Welt etwas mitzuteilen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber wenn ich lang genug rede, kommt vielleicht was brauchbares dabei rum.

Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass ich Brodys Mindset für genau richtig halte und finde, alle Schauspieler sollten so ein. Wenn man sich als Schauspieler nicht aufführt wie Jenna Maroney aus 30 Rock, ist das als Arbeitsverweigerung zu werten. Ich kann das nicht so richtig erklären, ich bin einfach überzeugt, dass es irgendwie gesund für eine Gesellschaft ist, wenn ein paar Auserwählte den weltfremden Größenwahn ausleben, den sich diejenigen von uns, die für ihr Geld arbeiten müssen, nicht leisten können. Als Gesellschaft sollten wir also die Brodys und Eidingers dieser Welt enablen, wo wir nur können.

Entsprechend möchte ich an dieser Stelle etwas anderes würdigen, in dem Adrien Brody sehr gut zu sein glaubt: seine Kunst. Adrien Brody macht Pop-Art. Sie ist genau so, wie ihr es euch vorstellt, wenn ihr hört „Adrien Brody macht Pop-Art“.

Schauen wir uns eines seiner Werke an:

„Starbucks“ zu „Brodybucks“ – qualifiziert das schon als Wortspiel? Ist das Satire der Nathan-Fielder-Schule? Lassen wir uns von diesen Fragen nicht allzu lang ablenken, schauen wir stattdessen nochmal genauer hin, denn Brody hat auch eine grafische Veränderung am Starbuchs-Logo vorgenommen: Da sind sie also, die titelgebenden Handguns. Vielleicht also eher Satire der Michael-Scott-Schule? Auf jeden Fall zeigt sich hier bereits Brodys scharfsinnige Konsumkritik, die auch im folgenden Bild zur Geltung kommt:

Wer zu denjenigen gehört, denen Morgan Spurlock erst aufzeigen musste, dass es keine gute Idee ist, zu jeder Mahlzeit Fast Food zu essen, den wird dieses Werk Brodys vielleicht noch weiter wachrütteln. Und der sollte sich jetzt gut festhalten, denn das nächste Werk – vielleicht Brodys Meisterstück – ist noch erschütternder:

Es ist vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber in diesem Werk versteckt sich eine subtile Anti-Schusswaffen-Botschaft:

Als Betrachter mag man zunächst irritiert sein: Waffen sind doch alles andere als „Toys“? Ich glaube, dass Brody diesen Widerspruch bewusst einsetzt – das Labeln von gefährlichen Waffen als Spielzeuge, hat das nicht beinahe etwas ironisches?

Aufmerksame Beobachter werden erkannt haben, dass Brody sich gerne zusammen mit seinen Werken ablichten lässt, und hier entfaltet seine Kunst für mich erst ihre ganze Wirkung. Schaut in dieses Gesicht:

Stellt euch vor, wie es sein muss, durch diese Augen zu schauen, in diesem Kopf zu leben. Was in einem Menschen vorgehen muss, der „Toys“ neben ein Schusswaffen-Display schreibt, es in eine Kunstgalerie hängt und sich daneben ablichten lässt mit diesem „Ja, das hab ich mich getraut, was willst du dagegen tun?“-Gesicht. Keine Selbstzweifel. Kein Konzept davon, dass andere Menschen auch ein lebendiges Inneres haben, und dass nicht jeder Gedanke, den man hat, so noch nie von irgendjemandem auf der Welt gedacht worden ist. Es muss sich gut anfühlen in diesem Kopf. Aber wie ein anderer großer Künstler, The Great Gonzo, es einst formulierte: You can just visit, but I plan to stay. Die meisten von uns sind verdammt, mit Selbstzweifeln und dem Bewusstsein zu leben, dass wir nichts besonderes sind. Adrien Brodys Kunst jedoch lässt uns, nur für einen Moment, erleben, wie es wäre, davon befreit zu sein.


  1. Ebenfalls betroffen ist etwa Lars Eidinger. Spenden Sie jetzt. ↩︎

Merz' Verhalten seit der Wahl ist nicht impulsiv, sondern wohlkalkuliert

Hanlon’s Razor besagt ja: „Never attribute to malice that which is adequately explained by stupidity.“ Einer Variante dieses Grundsatzes scheint Sebastian Huld bei seiner Analyse bei n-tv von Friedrich Merz’ Verhalten seit der Bundestagswahl zu folgen. Er schreibt:

Merz gefährdet - wie schon bei seiner Abstimmung mit der AfD - den Erfolg seiner Kanzlerschaft, noch bevor er das Amt angetreten hat. Der CDU-Chef und seine Jungsbande trumpfen dieser Tage auf, als hätten CDU und CSU am Sonntag 40 Prozent der Stimmen eingefahren.

Dieses Verhalten erklärt er mit „[e]rschreckenden[n] Defizite[n] bei Empathie und Taktik“ seitens Merz. Mit seinen Beleidigungen gegen die Demonstranten gegen Rechts nach seiner gemeinsamen Abstimmung mit der AfD sowie der absurden kleinen Anfrage, in der Merz und die Unionsfraktion die staatliche Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen infrage stellen, gebe Merz einem „Impuls“ nach.

Dass Merz Defizite in Sachen Empathie hat, daran besteht kein Zweifel. In Sachen Taktik allerdings sollten wir zumindest in Erwägung ziehen, dass Merz hier überhaupt nicht impulsiv handelt, sondern wohlkalkuliert, und dass seine Taktik genau so aufgeht, wie ihm vorschwebt.

„Es hätte unmittelbar nach der Wahl vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung SPD gebraucht“, schreibt Huld, und das stimmt – nur nicht aus der Perspektive von Friedrich Merz. Denn Merz will insgeheim ja gar nicht mit der SPD regieren – er würde am liebsten allein regieren, und am zweitliebsten mit der AfD. Letzteres schließt er offiziell nur deshalb aus, weil er weiß, dass es starken Gegenwind, auch aus seiner eigenen Partei, geben würde – noch. Aber was, wenn die Union plötzlich (die folgenden Anführungszeichen bitte maximal sarkastisch lesen) „gezwungen“ wäre mit der AfD zu koalieren, weil sich kein anderer Partner findet? Vielleicht wäre das leichter zu verkaufen…

Merz’ Agieren macht aus seiner Sicht taktisch absolut Sinn, denn aus dieser Perspektive ist er in einer Win-Win-Situation. Mit seinem breitbeinigen Mackertum und offenem Kulturkampf signalisiert er der SPD: Wenn ihr mit mir regiert, dann so – als eine, wie Huld es formuliert, „dem künftigen Kanzler ausgelieferte CDU-Untergliederung“. Und wenn die SPD das nicht mitmacht, ja, wo wäre denn das Problem? Dann bleibt Friedrich Merz ja gar nichts anderes, als mit der AfD zu koalieren oder sich wenigstens von ihr wählen zu lassen.

Dürfte ich der SPD Ratschläge geben, würde ich ja sagen: Call his bluff. Für Friedrich Merz’ Koalitionsentscheidungen ist niemand verantwortlich außer Friedrich Merz und der Rest der Union, der sie mitträgt. Würde ich aber wetten, dann darauf, dass Deutschlands zweitrückgratloseste Partei nach den Grünen Merz am Ende so ziemlich alles geben wird, was er will, und das als heldenhaftes Opfer verkaufen wird, das uns vor einer AfD-Regierung bewahrt. Dass Merz dann, mit voller Unterstützung der SPD, weitestgehend dieselbe Politik machen wird, die wir auch mit der AfD bekommen hätten, soll dann wohl irgendwie das „kleinere Übel“ sein.

Das ist eine der großen Lektionen, die ich aus der ersten Trump-Amtszeit mitgenommen habe: dass Hanlon’s Razor, zumindest, wenn es um Politik geht, meistens Unsinn ist. Öfter als nicht ist selbst scheinbar „impulsives“ oder irrationales Handeln Ergebnis taktischen Kalküls. Merz weiß sehr genau, was er hier tut, und die Konsequenz – dass seine Union, wenn nicht jetzt dann spätestens zur nächsten Wahl, so inkompatibel mit allen anderen Parteien wird, dass es wirklich nur noch mit der AfD geht – nimmt er nicht nur in Kauf, er begrüßt sie.

📺 Andy Sambergs seltsamer Beitrag zum 50. Jubiläum von Saturday Night Live

SNL wird dieses Jahr 50 Jahre alt, und zu diesem Anlass gab es, neben diversen Dokus und einem Konzert-Special, natürlich auch eine Jubiläums-Show mit Auftritten und Beiträgen von Cast-Mitgliedern aus der gesamten Geschichte der Show. Trotz meiner Kritik am System SNL, und obwohl ich die Show seit Jahren nicht mehr gucke und die einzelnen Sketche, die ich sehe, nur selten lustig finde, kann ich nicht leugnen, dass mich solche Rückblicke immer ein Bisschen kriegen. Wie viele Comedy-Fans hatte ich eine Periode im Leben, in der ich die Show religiös geguckt habe, und verbinde dementsprechend doch einiges mit so manchem Sketch und Star der Show. Schon beim Special zu 40. Jubiläum vor 10 Jahren war ich seltsam berührt von Andy Sambergs und Adam Sandlers Digital Short, in dem sie die Momente besangen, in denen Cast-Mitglieder während der Live-Show nicht mehr an sich halten konnten und in Gelächter ausbrachen.

Diesmal performte Sandler live einen Song, in dem er die Show, ihre Geschichte und Stars besingt. Wie von Sandler gewohnt ist das schamlos sentimental und handwerklich so mittel — es gibt bestenfalls die vage Idee eines Versmaß’ —, aber die Emotionen sind offensichtlich ehrlich, und wen die Erwähnung des unvergessenen Phil Hartman und von Sandlers Freund Chris Farley, und die Reaktion des Publikums darauf, kalt lässt, der hat Comedy nie geliebt.

Samberg derweil steuerte einen neuen Digital Short bei, und der ist…seltsam. Gemeinsam mit Bowen Yang, einem der charismatischeren Mitglieder des aktuellen Casts, besingt Samberg eine angebliche Gemeinsamkeit aller, die je für SNL gearbeitet haben: „Everyone that ever worked at SNL had anxiety.“

Lustig ist der Short durchaus — wie so oft rettet Samberg die an sich mittelmäßig kreative Prämisse mit einem seiner typischen non-sequiturs, hier über die Sanitäranlagen im SNL-Studio („If these pipes could talk…“).

Aber ich kann nicht anders, als mir auszumalen, wie wir in einigen Jahren über einen solchen Short denken werden. Irgendwann – wohl erst nach seinem Tod, aber es ist nur eine Frage der Zeit – wird eine Aufarbeitung der Lorne-Michaels-Jahre stattfinden, von dem toxischen Arbeitsumfeld das er systematisch kreiert. Wie werden sich dann Textzeilen anhören, in denen Samberg besingt, was für ein „challenging place“ SNL ist, wie es sich anfühlt, „notes from Lorne“ zu erhalten?

Man sollte ein Comedy-Bit nicht zu ernst nehmen, Selbstironie ist eines der wichtigsten komödiantischen Stilmittel — geschenkt. Aber ein Bisschen was sagt es schon aus über Lorne Michaels und wie sicher er sich in seiner Machtposition fühlt, oder? Dass der verbuchte Kontrollfreak keine Probleme damit zu haben scheint, Beiträge zu senden, die offen auf den enormen Druck anspielen, dem er seinen Cast aussetzt, und die zukünftig als Beleg herhalten könnten, dass jeder über das „System Michaels“ Bescheid weiß und sich bewusst ist, was es mit Michaels’ Untergebenen macht?

Wie auch immer: Wer zusätzlich zu der, wie gesagt, durchaus emotional effektiven Selbstbeweihräucherung der Show anlässlich des Jubiläums auch eine kritischere Perspektive lesen will, dem sei diese Übersicht von Seth Simons über seine Berichterstattung über SNL und Lorne Michaels über die Jahre empfohlen.

🎙️📺 Worüber The Lonely Island und Seth Meyers in ihrem Podcast reden – und worüber nicht

Ich binge gerade den Podcast von The Lonely Island und Seth Meyers, und habe dabei immer wieder einen Gedanken, der mir oft kommt, wenn ich Ex-Castmitglieder oder -Autoren über Saturday Night Live sprechen höre: Ich kann es kaum abwarten, dass Lorne Michaels endlich stirbt. Also, nach langem, erfüllten Leben und an natürlichen Ursachen, falls Michaels’ Anwälte mitlesen.

Der Podcast selbst ist eine unterhaltsame Rückschau auf das Werk von The Lonely Island. Andy Samberg, Jorma Taccone und Akiva Schaeffer erinnern sich, angeleitet von Meyers, an die Inspirationen und Produktion ihrer Digital Shorts. Einen Blick hinter die Kulissen von Saturday Night Live hat ja schon so manche Dokumentation, manches Buch, mancher Spielfilm geworfen, aber The Lonely Island haben eine interessante, weniger verbrauchte Perspektive: Die Konzeption und Produktion ihrer Digital Shorts lief oft einigermaßen getrennt von der Arbeit an der Live-Show ab, und es ist durchaus spannend, nachzuvollziehen, wie die Gruppe das neue Format innerhalb der oft einigermaßen festgefahren wirkenden Show etabliert haben.1

The Lonely Island sind neben Tim Robinson und John Mulaney wohl das beste, was SNL in diesem Jahrtausend hervorgebracht hat, und anders als viele andere Stars der Show haben die drei Mitglieder nach ihrer Zeit bei SNL nichts an Relevanz verloren. Der Podcast liefert auch dafür eine gute Erklärung: weil sie nie so richtig Teil von SNL geworden waren. Nach ein paar mittelmäßig erfolgreichen Versuchen, Live-Sketche zur Show beizutragen, konzentrierten Samberg, Taccone and Schaeffer sich fast ausschließlich auf die Produktion ihrer Shorts. Anders als die Live-Sketche durchliefen die Shorts nicht die üblichen Aussiebe- und Überarbeitungs-Phasen – Pitch, Table-Read, Proben und schließlich eine Generalprobe vor Publikum –, sondern wurden von The Lonely Island weitgehend allein produziert und dann dem restlichen Team in fertiger Form vorgestellt. Während reguläre Castmitglieder und Autoren also ihre eigene Stimme der der Show unterordnen müssen – und dabei oft an Ecken und Kanten verlieren –, konnten The Lonely Island sich einigermaßen frei entfalten. Gleichzeitig schafften sie es, sich für die Show unersetzlich zu machen, was keine Selbstverständlichkeit ist: Andere Castmitglieder mit ähnlich spezifischem Humor, etwa Kyle Mooney oder Tim Robinson, haben oft Schwierigkeiten, in der Show Fuß zu fassen, und ihre Arbeit wird oft entweder ganz aus der Show geschnitten oder nimmt bestenfalls den „10 to 1“-Slot ein, wird also als letzter Sketch der Show gezeigt, zu einer Zeit, zu der, so die Theorie, ein großer Teil des Publikums bereits abgeschaltet hat.

Dass The Lonely Island ein anderes Schicksal hatten, ist zu einem guten Teil einfach glücklichem Timing geschuldet: Ihre Anfangszeit bei SNL fiel zusammen mit dem Aufkommen von YouTube. Die dort – von Fans, nicht SNL oder NBC selbst – hochgeladenen Digital Shorts gehörten zu den frühesten viralen Videos. Der Humor von The Lonely Island war die richtige Art von seltsam für das Internet der 00er Jahre, und so halfen ihre Shorts der Show, den Sprung ins Internet zu schaffen.

Auch hilft der Podcast, den Humor der Gruppe besser zu verstehen und einzuordnen, gerade im Vergleich mit anderen, zeitgleich erfolgreichen Filmemachern. Anders als etwa Judd Apatow oder Adam McKay begannen die Mitglieder von The Lonely Island nicht auf der Bühne, mit Live-Improv etwa bei Second City oder UCB. Ihr Weg ging stattdessen über Channel 101, die von Dan Harmon und Rob Schrab ins Leben gerufene Kurzfilm-Reihe/-Website. The Lonely Island waren also von Anfang an auch Filmemacher, und das sieht man in ihrem Ansatz bis heute. Wo Apatows und McKays oft mit langen, statischen Einstellungen arbeiten und eine Szene im Zweifelsfall eher länger laufen zu lassen, um ihren Schauspielern möglichst viel Raum für Improvisation zu geben, entsteht der Lonely-Island-Humor zu einem großen Teil auch im Schnitt. Einstellungen und Szenen sind kürzer, das Tempo höher – beide Filme von The Lonely Island, Hot Rod und Popstar, sind um die 90 Minuten kurz. Neben dem Drehbuch und der Improvisation der Darsteller wird auch mit filmischen Mitteln Comedy geschaffen, etwa in der „Cool beans“-Szene in Hot Rod, in der ein relativ belangloser Dialog zu einem Song umgeschnitten und so zu einem der absurdesten und witzigsten Momente des Films wurde.

Aber so interessant all das ist: Vielleicht noch aufschlussreicher ist, worüber The Lonely Island und Seth Meyers nicht reden, oder nur in Anspielungen und Bits. Regelmäßig spielt die Gruppe auf den Druck an, den SNL-Erfinder und -immer-noch-Produzent Lorne Michaels auf seinen Cast und seine Autoren ausübt – geht dann aber nicht näher darauf ein, wie ernstgemeint oder überzeichnet diese Bemerkungen sind. Solche scheinbar ironischen Anspielungen auf Michaels’, nun ja, altmodischen Führungsstil hört man fast immer, wenn irgendein Ex-Castmitglied oder -Autor einigermaßen ausführlich über seine Zeit bei SNL spricht. Aber dank den wenigen Cast- und Crewmitgliedern, die mal etwas offener, ohne Ironisieren, über Michaels und das Arbeitsklima bei SNL geredet haben, wissen wir, dass solche Witzeleien einen wahren Kern haben: Michaels kreiert mittels seltsamen Mindgames systematisch ein Arbeitsumfeld geprägt von Paranoia und Unsicherheit, bestraft kleinste (angebliche) „Fehltritte“ seiner Untergebenen – ein Sketch, der nicht funktioniert, ein Auftritt in einem nicht von Michaels produzierten Film, ein ungünstiger Kommentar in der Presse –, indem er ihre Sketche streicht oder sie gleich entlässt, und verschließt gleichzeitig die Augen vor wirklich problematischem Verhalten, etwa Horatio Santz’ angeblichem Grooming von Minderjährigen auf SNL-Afterpartys.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es schwer zu ertragen, Ex-SNL-Cast und -Autoren über Michaels reden zu hören, ohne dass sie wirklich darüber reden. Die Anspielungen sind Beleg dafür, dass Meyers und The Lonely Island (oder wer auch immer gerade über SNL spricht) Bescheid wissen über Michaels’ toxisches Verhalten – wie könnten sie das auch nicht? Aber die Anspielungen qualifizieren sicher nicht als eine echte Konfrontation des Themas. Das führt zu einer ablenkenden kognitiven Dissonanz beim Hören: Um einigermaßen Spaß am Podcast zu haben, muss man aktiv verdrängen, was hier bewusst nicht ausgeführt wird.

Comedy-Kritiker Seth Simons bemerkte 2020 ähnliches über das Bild von Michaels, das der aktuelle SNL-Chefautor Colin Jost in seinem Buch A Very Punchable Face zeichnet. Das Buch ist offenbar voll von Episoden, die Michaels’ toxischen Führungsstil offenlegen, aber präsentiert sind als amüsante Anekdoten. „If this is what Lorne Michaels does to people who thrive under his leadership“, schreibt Simons, „you have to wonder what he does to people who don’t.“

Jost ist noch immer Chefautor bei SNL, also direkt von Michaels angestellt. Warum aber schützen Meyers und The Lonely Island, die SNL schon lange verlassen haben, Michaels noch immer so? Sicher spielt einfach Loyalität mit rein, Dankbarkeit für die Chancen, die SNL ihnen geboten hat. Eine Rolle spielt aber sicher auch, dass die Karrieren der Gruppe, wie die der meisten Ex-SNL-Stars, auch Jahre nach dem Ende ihrer Zeit bei der Show scheinbar untrennbar mit ihrem alten Chef verknüpft sind. Michaels steht als Produzent in den Credits vieler Projekte ehemaliger SNL-Stars und -Autoren, darunter auch Seth Meyers’ Late-Night-Show, die von Jorma Taccone mitverantwortete MacGruber-Serie und das von The Lonely Island co-produzierte I Think You Should Leave. Ob und zu welchem Grade Michaels tatsächlich aktiv in diese Projekte involviert ist, ob etablierte Stars wie The Lonely Island Michaels tatsächlich noch brauchen, ist nebensächlich: Michaels’ Name öffnet Türen, und, davon muss man ausgehen, könnte sie auch wieder schließen. Eine Comedy-Karriere in Hollywood ist vielleicht nicht unmöglich ohne Michaels’ Unterstützung, aber wer sich mit ihm gutstellt, hat es zweifelsohne einfacher.

Nur offenbart der Unwille, über das toxische Verhalten ihres alten Chefs zu reden bzw. es ernstzunehmen, Seth Meyers und The Lonely Island halt als Heuchler. Meyers kommentiert in seiner Late-Night-Show die News aus einer links-liberalen Perspektive, solidarisierte sich in Strike Force Five, seinem gemeinsamen Podcast mit den anderen großen Late-Night-Hosts, mit streikenden Autoren; Samberg war acht Jahre lang Hauptdarsteller und ein Produzent von Brooklyn Nine-Nine, einer Show, die ebenfalls ein ausgeprägtes soziales Gewissen hatte, auch einige Geschichten über schlechte Chefs und toxische Arbeitsbedingungen erzählte. Dass die beiden das toxische Verhalten ihres alten Chefs verharmlosen, passt nicht zu den Werten, die sie in ihrer Arbeit zu vertreten behaupten.

Es gibt übrigens noch einen anderen sprichwörtlichen Elefanten im Zimmer, wenn über SNL geredet wird, der mir etwa den Spaß an John Mulaneys letztem Special Baby J ein Stück weit verdorben hat. Mulaney verarbeitet darin seine Drogensucht, die vor einigen Jahren zu einer Intervention durch befreundete Comedians und einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik führte. Diese Geschichte hat mehrere Berührungspunkte mit SNL: Einige seiner Ex-Kollegen sind Teil seiner star-studded Intervention, Pete Davidson ruft ihn in der Drogenklinik an, und in einer Anekdote setzt sich Mulaney im Kokainrausch in die SNL-Maske (als er schon lange nicht mehr dort arbeitet) und verlangt einen Haarschnitt.

Eine Verbindung zwischen seinem Beruf und seiner Suchterkrankung stellt Mulaney aber nicht her. Er erzählt seine Geschichte als eine seiner persönlichen Verfehlungen, und dass er für SNL arbeitet bzw. gearbeitet hat, ist demnach eher ein Zufall. Aber ist das wirklich so? Gibt es nicht vielmehr eine erkennbare Korrelation zwischen Arbeit bei SNL und Drogenproblemen? SNL-Legenden wie Chris Farley und John Belushi erlagen ihrer Suchtkrankheit, viele andere hatten Perioden von Drogenmissbrauch.

Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist: Ist diese Korrelation Zufall, oder begünstigt das Umfeld bei SNL Drogenmissbrauch? Für letzteres spricht durchaus einiges: Dass Kokain-Gebrauch am Arbeitsplatz in den Anfangstagen von SNL völlig normal war, ist mittlerweile ein hinreichend bekannter Fakt, den selbst ein Puff-Piece wie Jason Reitmans diesjähriges Starfucker-Biopic Saturday Night nicht verschweigen kann. Bis heute folgt die Arbeit an einer Folge von SNL einem Zeitplan, mit durchgearbeiteten Nächten, legendären After-Partys nach der Show und nur einem Tag Pause zwischen Episoden, den einzuhalten ohne Kokaineinfluss sicher nicht unmöglich, aber auch nicht unbedingt einfacher ist. Auch die Frage, inwieweit der Druck, den Michaels auf seine Angestellten ausübt, zu diesem Problem beiträgt, liegt nahe.

Aber solche Fragen stellt Mulaney nicht. Und nicht nur er: Auch Dokus über verstorbene SNL-Stars wie I Am Chris Farley von 2015 konfrontieren sie nicht.

Im Podcast von The Lonely Island und Seth Meyers geht es, natürlich, nicht um Drogenmissbrauch – aber so ganz ausblenden kann man das Thema beim Hören, wenn man einigermaßen Bescheid weiß, dann auch wieder nicht: Es ist irgendwie doch präsent, in den Anekdoten über lange Nächte und Last-Minute-Ideen, und eben in den Anspielungen auf Michaels’ Führungsstil. So ist es halt immer, wenn über SNL gesprochen wird: Die hässlicheren Seiten des Jobs sind immer präsent, immer direkt unter der Oberfläche, aber sie brechen nie durch, werden nie direkt thematisiert. Und so lange Lorne Michaels am Leben ist, braucht man sich wohl keine Hoffnungen zu machen auf einen wirklich ehrlichen Blick hinter die Kulissen der Show.


  1. Vorproduzierte Einspielfilme waren nicht ganz neu für SNL: Albert Brooks, Robert Smigl und zuletzt Adam McKay, der auch das Label „Digital Short“ einführte, hatten bereits Einspieler für SNL produziert. Aber erst mit der Arbeit von The Lonely Island wurden die „Digital Shorts“ ein festes Feature, das aus der Sendung nicht mehr wegzudenken war. ↩︎

📚 Paul Rousseaus Friendly Fire: A Fractured Memoir: Ein potenzieller Klassiker in der Literatur über Trauma und Behinderung

Früh in Friendly Fire, seinem Memoir über einen Unfall, von dem er permanente Hirnschäden davongetragen hat, beschreibt Paul Rousseau, wie sich die Verletzung auf sein Schreiben auswirkt:

My post-injury brain wants to fixate and obsess. I can’t focus for long, sometimes just fifteen-minute spurts here and there. The brevity of this book is an exact reflection, these fractured chapters a direct result. If I try to write for longer than my brain allows, it becomes hollow. I lose the ability to connect dots, maintain interest.

Es ist gerade diese fragmentarische Struktur, die Friendly Fire so effektiv macht. Rousseau bildet so ab, wie sein traumatisiertes Gehirn funktioniert, und wie »Heilen« wirklich aussieht – nicht ein linearer Prozess stetiger Besserung, sondern ein unordentliches, oft frustrierendes Auf-und-Ab ohne klaren Endpunkt.

Verantwortlich für Rousseaus Verletzung ist sein College-Mitbewohner und damaliger bester Freund, den er im Buch Mark nennt. Mark war ein Waffenentusiast und hatte – ein Verstoß gegen die Campus-Regeln – mehrere Schusswaffen in der gemeinsamen Wohnung. Eines Abends, als beide sich für gemeinsames Ausgehen zurechtmachten, drückte Mark den Abzug einer seiner Waffen, im Glauben, sie sei nicht geladen. Die Kugel durchschlug zwei Wände und traf Rousseau in den Kopf. Rousseaus Glück war, wie er später von seinen Ärzten hervor, ein ungewöhnlich dicker Schädel: Die Kugel zerschmetterte seinen Schädel, prallte aber ab, ohne in sein Gehirn zu dringen. Rousseau überlebte, aber mit bleibenden physischen und kognitiven Schäden und schwerem psychischen Trauma. Nach dem Unfall wartete Mark Stunden, bevor er Polizei und Ärzte informierte, kümmerte sich stattdessen darum, sich selbst zu schützen, indem er die Campus-Sicherheit belog und seine Waffen aus der Wohnung schaffte.

Die Kapitel, die den Unfall und die Ereignisse unmittelbar danach beschreiben, lesen sich nie ein Thriller. Rousseau bricht die Spannung allerdings immer wieder mit essayistischen Kapiteln, in denen er etwa auf seine Freundschaft mit Mark und seinem anderen Mitbewohner Keith zurückblickt, oder auf seine Erfahrungen als Teenager mit schlimmer Akne, die laut Rousseau den Beginn einer »seltsamen Beziehung« zur Medizin bedeuteten, die sich nach dem Unfall intensivieren sollte. Diese Einschübe reichern Rousseaus Geschichte mit Kontext an, geben ein Bild davon, welche Emotionen der Unfall in Rousseau aufgewühlt hat. Gleichzeitig spiegelt diese Struktur ein Stück weit den Verlauf der Ereignisse und hilft so, uns in Rousseaus Position zu versetzen: Wie Rousseau (zu) lange warten musste, bevor Mark Hilfe rief, lässt er uns immer wieder auf den nächsten Teil seiner Geschichte warten, indem er bewusst abschweift – »Is this a good time to talk about zits?« beginnt er etwa einen dieser Einschübe, gleich nach dem dramatischen Moment, als seine Freundin und Familie von dem Unfall erfahren.

Der Rest des Buches behandelt dann Rousseaus körperliche und geistige Verarbeitung des Traumas auf der einen und die lange gerichtliche Auseinandersetzung mit seiner Versicherung auf der anderen Seite. Die beiden Prozesse laufen gleichzeitig und arbeiten oft gegeneinander:

[My personal injury case] made progress—or at least the show of progress—my enemy. Any improvement, any impression that I wasn’t dumb and brain damaged, could undermine my case«[.]

Die Besuche bei Gutachtern und Anwälten schildert Rousseau oft mit bitterem Humor, doch er macht auch kein Geheimnis aus seiner Wut darüber, Energie für den kafkaesken Kampf um die ihm zustehende finanzielle Unterstützung aufbringen zu müssen, anstatt sich voll auf seine Genesung konzentrieren zu können.

Diese Kapitel wechseln sich mit introspektiveren ab, in denen Rousseau seine von Trauma gezeichnete Gedanken- und Gefühlswelt abbildet und seinen Alltag nach dem Unfall erzählt. Das Bild, dass er so zeichnet, ist eines innerer Zerrissenheit, einer Genesung, die unnötig dadurch erschwert und unterbrochen wird, dass Rousseau sein Trauma immer wieder neu durchleben muss. Besonders berührend sind Rousseaus Schilderungen davon, wie das Trauma und die Trigger, die es geschaffen hat, sein Leben und seine Erinnerungen überschatten. Bei der Abschlussfeier seines Studienjahrgangs versetzt der Anblick von Marks Auto ihn in Panik; beim Videospielen kann er sich nicht überwinden, seinen digitalen Feinden in den Kopf zu schießen. Vor allem trübt das Trauma auch seine Erinnerungen, zerstört die Freundschaften, die er während dem Studium geschlossen hat. Die zu Mark, natürlich:

If every good memory I had of us was a lake, April 7 dumped into it a vat of toxic waste, tainting the whole body of water. Maybe a few things can be filtered out, but that lake is beyond redemption. Are you happy I didn’t die?

Aber auch die Freundschaft zu Keith, der Mark nach dem Unfall zwang, endlich Hilfe zu rufen, kann Rousseau nicht wieder aufnehmen:

The thing is, Keith, there is no us without Mark. And Mark shot me in the head. It’s not a bygones situation, you know? Every second I saw you would remind me that I got shot, without fail. The two of us are only capable of the past, and I’m only in the mood for moving on. I hope you’ve moved on from this too.

Mark und Keith zu verlieren, schreibt Rousseau,

was losing my five senses. I was robbed of the primary way I perceived the world. They were my cues, my context.

Rousseau beschreibt eindringlich, wie die Effekte seiner Behinderung ihn von seinen Mitmenschen isolieren. Sie belasten die Beziehung mit seiner Freundin und seiner Familie, verhindern, dass er Verbindungen zu seinen neuen Kollegen knüpft. Gleichzeitig schärfen seine Erfahrungen auch seinen Blick für das Leid und die Herausforderungen anderer: Bei einer Untersuchung für seine Versicherung knüpft er eine stumme Verbindung zu einer anderen Patientin; wie die Anwälte über den Wert seines Lebens verhandeln vergleicht er damit, wie Männer über die körperliche Autonomie von Frauen entscheiden. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Impulsen, schreibt Rousseau, ist er seit dem Unfall hin- und hergerissen:

By many accounts, a near-death experience changes a person. Opens them up to life. Increases their compassion. It is also known that traumatic brain injury does just the opposite, decreasing emotional intelligence and empathy. I’ve been pulled by these opposing forces, not sure which team I play for. My life has been reduced to dualities. Life/death. Courage/fear. Forgiveness/hatred. Love/anger. Laugh/cry. I’m never sure if I’m supposed to wish April 7 never happened, or just adapt and be thankful. The answer is yes.

Friendly Fire ist, wie Rousseau an einer Stelle schreibt, kein »issue book«. Aber es sind gerade auch diese Momente, in denen Rousseau seinen Blick über seine eigene Geschichte hinaus erweitert, die Friendly Fire zu einem so wertvollen Beitrag zur Literatur über Trauma und Behinderung machen: Rousseaus Geschichte ist einzigartig, aber, schreibt er, »metaphorically, everyone gets shot in the head.«, und so schärft er auch unseren Blick, sensibilisiert uns für die oft unsichtbaren alltäglichen Herausforderungen unserer Mitmenschen.